von Constanze+Jule(YCH) am 26. Juli 2000 21:50
Hallo Andreas,
ich lese jetzt die ganze Zeit schon Eure Diskussion, ohne mich dazu noch mal eingeklinkt zu haben. Dabei ist mir aufgefallen, dass Ihr teilweise scheinbar (ich kann ja nicht in Eure Köpfe gucken) nicht die selbe Ausgangssituation zugrunde legt. So ist mir z.B. Folgendes in Deinem Posting aufgefallen:
: Dennoch zeigen uns unsere Hunde tagtäglich, dass sie unerwünschte Überschreitung von Individualdistanz im allgemeinen und Handlungen wie Aufreiten, Futterkonkurrenz etc. im Besonderen ganz klar mit Drohung und körperlicher Einwirkung durch Schnappen und Wegbeissen beantworten. Da wird massiv körperlich eingewirkt und dann soll ein Wasserstrahl vom Hund nicht zu verkraften sein?
Du sprichst hier vom Nichteinhalten der Individualdistanz und von dem oft törichten (falls ich das hier mal so menschlich ;-) ausdrücken darf) Verhalten einiger Jungtiere einem überlegenen Alttier gegenüber. Dass hier oft Grenzen gesetzt werden durch Drohverhalten und Wegschnappen beobachten wir sicher alle. Ich habe aber bei sich sozial intakt verhaltenden Hunden noch nie erlebt, dass die typische Begrüßungszeremonie, die ein Junghund o. ein unterlegener Hund einem Alttier gegenüber zeigt, womit ich konkret das Lefzenstupsen und -lecken meine, von diesem als Einbruch in die Individualdistanz körperlich oder drohend geahndet wurde. Zumindest nicht, wenn danach Schluss ist mit Körperkontakt. Was darüber hinausgeht und (auch hier mit menschlicher Terminologie beschrieben) als nervend oder anmaßend empfunden wird, o.k., da kann es dann auch mal krachen.
Ich habe aber Connys Posting so verstanden und scheinbar einige andere auch (auch wenn diese Interpretation, wie Reinhold schon sagte, ohne genauere Infos spekulativ sein mag), dass Leica eben das typische Begrüßungszeremoniell durchführt und die Körpergröße eines Menschen sie dabei zwingt, diesen anzuspringen. Aus diesem Grund bin ich auch der Meinung, dass negative Einwirkung in diesem Fall, so er denn richtig interpretiert ist, nicht die richtige Reaktion, oder besser nicht die beste Reaktion ist, wenn man dieses Verhalten auch anders in den Griff kriegen kann.
An anderer Stelle schreibst Du, dass Hunde manchmal massiv auf den Körperkontakt anderer Hunde reagieren, während das am nächsten Tag wieder ganz anders aussehen kann und sie dem Kontaktliegen in der Sonne fröhnen.
Hier ist für mich eine ganz entscheidende Beobachtung gemacht worden. Nämlich, dass Caniden vieles sind, aber eines nicht!: konsequent. Sie sind aber bereit, sich, wenn die Situation und die Stimmungslage dies erfordern, immer wieder auch massiv miteinander auseinanderzusetzen. Wäre diese Inkonsequenz und diese Auseinandersetzungsbereitschaft nicht vorhanden, würde es in m.E. auch nie zu den notwendigen Rangfolgeveränderungen in einem Rudel kommen.
In einer Mensch-Hund-Gemeinschaft sollte es Rangfolgeveränderungen jedoch nicht geben, zumindest nicht in die falsche Richtung. Genau deshalb findest Du das Wort Konsequenz auch in jedem Buch über Hundeerziehung bzw. -ausbildung mehr als einmal.
Warum das an dieser Stelle wichtig ist? Ich habe bisher all meinen Hunden bestimmte Tabus, wo es notwendig war mit negativer Einwirkug verdeutlichen müssen, da bin ich bestimmt kein Softie. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie diese in meiner Abwesenheit bei anderen Personen auch immer eingehalten haben. Wechselt ein Hund seine Familie oder ist vorübergehend woanders untergebracht, ist es nicht selten, ich würde sagen, sogar meistens der Fall, dass er die Grenzen, die ihm ehemals deutlich gezeigt wurden (mit neg. Einwirkung) erneut austestet und sich auseinandersetzt. Mit Ausnahme vielleicht der Dinge, die er über "Aberglaube" (wie bei dem Beispiel mit der Katze, die aus heiterem Himmel von einem Wasserstrahl getroffen wurde) erlernt hat zu meiden.
Die zehnjährige Hündin meines Vaters z.B. hat sich bei mir immer wie ein Lämmchen benommen, weil sie von mir deutliche Grenzen erfahren hat. Bei anderen erlaubt sie sich manchmal Dinge, da fällt einem nichts mehr dazu ein. Sie überträgt meine neg. Reaktionen nicht auf andere Personen. Kommandos aber, die sie von mir vor über neun Jahren durch positive Verstärkung erlernt hat, führt sie auch bei einem fünfjährigen Kind im Flüsterton sofort aus, obwohl sie seit Jahren nicht mehr von ihr gefordert wurden. Ich beschreibe hier zwar eine! meiner persönlichen Erfahrungen, die sich aber (und da bin ich mir mehr als sicher) auf unzählige andere Hunde übertragen lässt.
Was das Anspringen betrifft, so gibt es tatsächlich immer wieder Situationen, in denen der Hund auf einen unbekannten Menschen trifft, ohne dass der Hundeführer daneben steht. Das sollte nicht zur Regelmäßigleit werden, aber ausgeschlossen ist das nie. Man braucht nur zwei Hunde zu besitzen und der eine baut gerade Blödsinn, fordert die volle Aufmerksamkeit, während der andere ein paar Meter weiter schnüffelt, ein unbemerkter Jogger naht. Es kommt vor, da müssen wir uns auch in den verantwortungsbewusstesten Kreisen nix vormachen.
Ich kenne nun zahlreiche Hunde (wie von mir erwähnte liebe aber stürmische junge Hündin), denen das Anspringen mit neg. Reaktion abgewöhnt wurde, die sekundenschnell erfassen, dass Chef oder Chefin nicht guckt und es dann doch mal eben probieren.
Bei Verhaltensweisen, die der Hund über negative Reaktionen zu unterlassen gelernt hat, sucht er nach Schlupflöchern, wenn die Situation sich verändert. Wie stark die Situation sich verändern muss (bei manchen reicht es halt, wenn das Auge des Chefs nicht auf ihnen ruht), das hängt vom Wesen, der Selbstsicherheit eines Hundes und zahlreichen anderen Dingen ab.
Diese Eigenschaft resultiert m.E. daraus, dass diesbezüglich unter Caniden eben keine Konsequenz herrscht, jedenfalls sind das meine Beobachtungen.
Das ist mit ein Grund, warum ich bei der Problematik des Anspringens eine Lösung mittels Ignorieren, oder nennen wir es nach dieser Diskussion mittels konkreter Verstärkerkontrolle und positiver Verstärkung des Alternativverhaltens favorisiere. Ich spreche hier wohlgemerkt von einem friedlichen Junghund, der lediglich seinem freundlichen Begrüßungsritual nachgehen möchte. Anspringen aus ganz anderen Gründen, evtl. im Zusammenhang mit Aggressivität erfordert ganz andere Ansätze, das ist mir klar.
Auch die Tatsache, dass op./pos. Konditionierung kein Allheilmittel ist und keinesfalls als alleinige! Methode angesehen werden kann (weil Du Bloch so schön zitiert hast), ja bei ausschließlicher Anwendung sogar als völlig wider der Canidennatur anzusehen ist (wie jede andere Methode, ausschließlich angewand, auch), bleibt von mir unbestritten. Es gibt Bereiche, da hat der Clicker nichts verloren, sondern dort ist eine unmissverständliche Zurechtweisung das einzige Mittel der Wahl.
Ich für meinen Teil versuche an dieser Stelle immer zwischen Erziehung und Ausbildung zu unterscheiden.
Op. Konditionierung unter Einsatz eines positiven Verstärkers ist für mich die! Methode der AUSBILDUNG, mal von dem abgesehen, was so nebenher erlernt wird. ERZIEHUNG regelt in meiner Terminologie das direkte Zusammenleben zwischen meinem Hund und mir, sprich die Dinge, die er zu unterlassen hat, weil es absolut inakzeptabel ist. Alles was so unter Chefallüren fallen würde einschließlich der Zerstörung meines Eigentums. Auch wenn es Überschneidungsbereiche gibt, finde ich, dass diese beiden Begriffe viel zu oft miteinander in einen Topf geworfen werden.
Der Unterschied zwischen den beiden konträren Auffassungen in dieser Diskussion ist meiner Meinung nach lediglich, dass die eine Seite das Anspringen in den Bereich der Erziehung nimmt, die andere Seite die Lösung in der Ausbildung sucht. Somit wird eine unterschiedliche Reaktion auf dieses Verhalten mehr als logisch, ohne dass grundsätzliche Auffassungen voneinander entfernt sein müssen.
So, um jetz mal wieder zur harten Wirklichkeit zurückzukommen, die jedem! Ansatz ein Schnippchen schlagen kann, möchte ich kurz von unserem Anspringproblem berichten. Ich habe nämlich tatsächlich beide Ansätze nacheinander ausprobiert und habe dabei wirklich keine Faulheit an den Tag gelegt. Meine Jule kann sich nicht mit besonderer Körpergröße rühmen. Um ihr Streicheleinheiten oder sonstiges zukommen zu lassen während alle vier Pfoten den Boden berühren, muss man sich zumindest ein klein wenig bücken. Das erweist sich als ein besonders tückisches Hindernis bei einer erfolgreichen Anti-Anspring-Therapie. Denn es gibt einen zahlenmäßig recht ausgeprägten Personenkreis, dem ich täglich mit Jule begegne, der mit diesem Bücken seine Probleme hat. Und mit dem Ignoriern meises Hundes ebenfalls. Dieser Kreis rekrutiert sich zu 100% aus netten älteren Damen. Wäre diesen mein Hund schnuppe, hätte ich kein Problem. Aber sie lieben Hunde, zumindest 80% dieser Personengruppe in unserem Spaziergebiet. Wenn nun diese in höchsten, verzückten Tönen zu meinem Hund sprechen, dabei mit irgendwelchen Leckereien rumwinken und dies in einer Höhe, die für meinen Hund nur auf den Hinterbeinen erreichbar ist, weil es tiefer eben nicht mehr geht, habe ich völlig verloren. Warum brav vorsitzen, für ein Leckerchen oder ein Spiel, wenn dort oben streichelnde Hände samt Hühnchenfleisch warten? Und unten bleiben, weil die Chefin sonst Ärger macht? Pah, ich wäre als Baby beinahe verhungert, so schnell guckt die gar nicht, wie das Hühnchen da oben meins ist. Und die nette ältere Frau lockt auch noch so herzzerreißend.
Leute, ich habe den Damen vieles erklärt, dass das nicht alle Menschen so toll finden wie sie, wenn man die Anzahl der Hundebegegnungen an den Pfotenabdrücken auf der Kittelschürze nachzählen kann, ich habe gebeten, gebettelt und gefleht, sich ein wenig kooperativ zu zeigen. Aber hundeliebende ältere Damen lassen sich nicht erweichen, es sei denn von zwei treuen Hundeaugen, die in Aussicht einer leckeren Begrüßung besonders eindrucksvoll aufgeschlagen werden."Sie können ihr das Hühnchen ja geben, wenn sie sich brav hingesetzt hat." "Aber dann kann ich sie ja gar nicht streicheln, wenn sie da unten sitzt, ich mag Hunde doch so gern, wir hatten früher immer Hunde, jetzt bin ich zu alt für einen eigenen, wissen sie?!" In der Stimme schwingt es dann mit, dieses "sie herzloses junges Ding, einer alten Frau die letzten Freuden zu verderben".
Und mich mit den heimlichen Herrscherinnen unserer Straße anlegen, "bloß" weil es mir nicht passt, wenn andere meinen Hund ungefragt füttern und wenn dieser dafür hochspringen muss? Never!!!!
Ich bin jetzt übrigens bei der dritten Möglichkeit angelangt. Ich stell das Anspringen jetzt unter Kommando. Mir fehlen allerdings noch ein paar kooperative ältere Damen. Vielleicht sollte ich eine Suchanzeige starten.
Soviel für heute, liebe Grüße von Constanze und einen lehmigen Pfotenabdruck von Jule.