Hallo Verona,
Du schreibst, Du wärst bei Rüdenbegegnungen nicht mehr der Rudelchef und würdest die Oberhand verlieren. Was lässt Dich zu dieser Erkenntnis kommen? Leider vertreten immer noch viele die Meinung, dass man als Rudelchef von Natur aus der einzige sein dürfte, der Aggressionen zeigt. Zeigt ein Hund dann dennoch Abwehrverhalten (z.B. gegenüber Artgenossen), wird durch Strafe (Leinenrucken, Schimpfen) und durch Unterordnungsübungen (die hier als Fügung des Hundes unter seinen Herrn verstanden werden) versucht, den Hund von seinem Verhalten abzubringen, um zu beweisen, wer hier der Chef ist. Mal abgesehen davon, dass ich eigentlich keinen Fall kenne, bei dem eine grundsätzliche Verhaltensänderung des Hundes auf diesem Wege erzielt wurde, kann man es nicht oft genug sagen: wenn ein Hund sich persönlich bedroht fühlt (z.B. durch einen Artgenossen), bleiben ihm völlig unabhängig von seinem Platz in der Rangfolge nur zwei Möglichkeiten. Entweder Flucht oder Aggression. Eins von beidem wird er zeigen und das ist auch völlig normal. Wie oft und wie stark er dieses Verhalten nun weiterhin zeigen wird, hängt von der Konsequenz ab, die aus diesem Verhalten resultiert. Ein Hund der flüchtet, lernt, dass er der Bedrohung so aus dem Wege geht und wird es in Zukunft in ähnlichen Situationen wieder tun. Ein Hund, der Aggressivität zeigt, erfährt, dass der Gegner tatsächlich in die Flucht geschlagen wird (er verschwindet ja irgendwann) und wird dann eben dieses Verhalten öfter zeigen.
Die Tendenz zu Flucht oder Aggression ist dem Hund von Natur aus mitgegeben. Wie ausgeprägt sich dieses Verhalten nun äußern wird, ist erlernt, weil damit ein bestimmter Erfolg erreicht wird.
Reagierst Du nun auf die Rüdenaggressivität Deines Hundes mit Schimpfen und Strafen, erreichst Du damit entweder, dass er das Gefühl hat "Frauchen ist ja genauso aufgeregt und zerrt an mir rum, also muss was an der Gefahr dran sein", oder aber Du trittst Deinem Hund gegenüber aggressiv genug auf, dass er es aus Angst vor Strafe lässt und die Klappe hält. Ersteres verstärkt sein Verhalten sofort, letzteres lässt es zwar zunächst eine Verbesserung nach Deinen Wünschen erkennen, im Prinzip unterdrückst Du das Verhalten aber nur und es wird, wenn der Druck durch die vermeintliche Bedrohung eines anderen Rüden mal größer ist als die Angst vor Deiner Strafe, wieder ausbrechen und umso stärker gezeigt werden. Früher oder später wird es zu so einer Situation mit Sicherheit kommen.
Um einen wirklich stabilen Erfolg zu erzielen, muss man sich also klar machen, dass die Häufigkeit und Intensität seines unerwünschten Verhaltens bereits durch die erlebten Konsequenzen erlernt und gefestigt ist. Um das Verhalten umzulenken, ist es also notwendig, dem Hund ein erwünschtes Alternativverhalten anzutrainieren, welches belohnt wird und genauso zu seinem erwünschten Ziel (die Bedrohung verschwindet, es passiert uns nichts) führt. Ohne die Möglichkeit eines Alternativverhaltens bewirkt Strafe und durch Druck herbeigeführte Unterordnung nur eine Unterdrückung und führt damit zu einem Pulverfass.
Ich würde Dir daher dringend eine Desensibilisierung gegenüber Rüden gekoppelt mit dem Erlernen eines von Dir erwünschten Alternativverhaltens empfehlen.
Du benötigst dafür einen Halter eines ruhigen Rüden, der bereit ist, mit Euch zu üben. Der Halter mit seinem ruhigen Rüden wird irgenwo postiert (eine große Wiese ist gut) und Du näherst Dich mit Deinem Rüden so nah, wie Deiner es noch ertragen kann, ohne unerwünschtes Verhalten zu zeigen. Ist diese Distanz erreicht (wohlgemerkt, so weit weg, dass Dein Hund noch keine! Anzeichen von aufkeimendem Abwehrverhalten zeigt), leitest Du ein erwünschtes Alternativverhalten ein (z.B. "Fuß" oder einfach "sei eng bei mir und konzentriere Dich auf mich"
welches Du überschwänglich belohnst, während der andere Halter sich mit seinem Hund in weitem Abstand von Euch entfernt und verschwindet. Auf diese Weise kannst Du Schritt für Schritt ganz langsam die Distanz zu dem anderen Hund verkleinern, bis ihr schließlich so weit seid, dass der andere Hund und ihr euch sogar auf einem Weg entgegenkommen und einander passieren könnt.
Wichtig ist, dass Du auf jeden Fall darauf achtest, dass die steigenden Ansprüche so behutsam gewählt sind, dass immer eine noch locker vom Hund tolerierte Distanz eingehalten wird. Verkleinert man die Distanz zu schnell, ruft der zu große Druck zwangsläufig Abwehrverhalten vor und ihr macht Rückschritte.
KLappt es mit diesem einen Hund irgendwann sehr gut und sicher, wäre es klasse, wenn man noch ein paar weitere Rüdenbesitzer dazu bewegen könnte, mit einem zu trainieren, damit sich das erlernte Verhalten nicht auf diesen einen speziellen Hund reduziert.
Bei diesem Training verfolgt man zwei Ziele auf einmal. Erstens lernt der Hund so, dass ein anderer Hund gar keine so große Bedrohung ist. Zweitens lernt er, dass das von Dir erwünschte Alternativverhalten "Fuß" oder "enge Nähe zu Dir und Konzentration auf Dich" zu seinem Ziel (der andere Rüde verschwindet wieder) führt.
Eins ist noch ganz ganz wichtig. Solange ihr euch noch im Training befindet, darf es auf Spaziergängen nicht zu seinem alten Abwehrverhalten kommen, weil er dann darin wieder bestärkt wird. Kommt Dir unteregs ein Hund entgegen und ihr seid noch nicht so weit, dass du sicher sein kannst, ihn durch das Alternativverhalten daran vorbeizulotsenm, musst Du Dich früh genug rumdrehen und einen anderen Weg wählen (bevor er sich aufregt!!!). Ich weiß, das kann eine Zeit lang sehr lästig sein. Aber bei konsequentem Training und Vermeidung von Rückfällen, werdet ihr schnell gute Erfolge erzielen und es wird nicht unerträglich lange dauern, bis ihr Rüdenbegegnungen lässig entgegensehen könnt.
Viel Erfolg und liebe Grüße
Conny