Der Begriff Aggression wird in der Sprachverwendung meist im negativen Sinne benutzt, dabei ist die im Grunde der Motor jedes höheren Lebewesens. Die Aggression ist auch nicht gleichzusetzen mit aggressivem Verhalten, sondern kann sowohl der Auslöser dafür sein wie für genau das Gegenteil, der Passivität.
Positive, wünschenswerte Aggression beginnt als Arterhaltungstrieb. Paarung erfordert Aggression, menschlich ausgedrückt: die Hündin ziert sich, wehrt den Partner ab. Das ist gute Aggression, denn in der Natur paaren sich nur dominante, starke, gesunde Tiere. Der Rüde, der sich beeindrucken lässt und kneift, hat nicht für das nun folgen müssende Balzverhalten, in dessen Verlauf der Rüde letztlich über die Hündin dominiert in Form des Deckaktes, das nötige Triebverhalten, das auf Dominanzaggression beruht. Eine Hündin, die ihren Wurf erziehungstechnisch nicht im Griff hat, ihn nicht verteidigt gegen Eindringlinge von außen, hat nicht die nötige Aggression, um mit Instinktsicherheit den Wurf zu prägen. Eine andere Verhaltensweise, die durch Dominanzaggression ausgelöst wird, ist das Ignorieren. Dieses betont gleichgültige Verhalten eines ranghohen Hundes gegenüber einem aufmüpfigen Pöbler ist ein Ausdruck aufgestauter Aggression. Ein Vergleich zu uns Menschen: der muskelbepackte Schrank, der als Türsteher vor uns aufgebaut ist und uns mit verschränkten Armen von oben bis unten mustert. Der sagt nix, der tut nix, aber wir haben entweder Angst oder in uns brodelt unterschwellige Wut. Da er mental dominant ist, lassen wir uns jedoch schon auf keinen Kampf mehr ein und erfahren nie, ob er nicht doch weinend zu Mami läuft, wenn wir ihm gegen das Schienbein treten. Außer man ist seeeehr von sich überzeugt, also selbst ein Alpha, dann lassen wir es darauf ankommen, man kann sich ja immer noch unterwerfen.
Es gibt auch Aggressionen, die als vom Menschen gewünschte durch Selektion verstärkt oder umgeleitet wurden. Zwei Beispiele dazu: die Kampfhunde- und die Schutzhundezucht. Die Kampfhunderassen wurden damals durch züchterische Selektion in ihrem Aggressionsverhalten dahingehend umgeleitet, dass das soziale Verhalten auf den artfremden Sozialpartner Mensch besser prägbar war, während Aggressionsverhalten gegenüber Artgenossen verstärkt und natürliche Hemmschwellen wie Vermeidung von Beschädigungskämpfen, Kehlbisshemmung, Welpenschutz und Verteidigungsbereitschaft für eigene Nachkommen, teilweise bis vollständig weggezüchtet wurden. Zum Glück ist Kampfhundezucht schon seit Jahrzehnten verboten, die seit etlichen Jahrzehnten erfolgte Wandlung der Zuchtselektion bei den Hunderassen, die früher mal für Kampfhundezucht missbrauchen, hat zum Erfolg geführt, aber bei einzelnen Exemplaren tritt auch heute noch das alte Kampfhundeerbe in Erscheinung. Diese Hunde fallen allerdings aus der Zucht dank der praktizierten heutigen Selektion auf Wesen.
In der Schutzhundezucht wurde durch Auswahl der Beutetrieb verstärkt und gleichzeitig der Fluchttrieb reduziert, was zu einer Potenzierung der Beuteaggression und der Verteidigungsbereitschaft führte, bei gleichbleibendem Meutetriebverhalten. Die Beuteaggression ist das, was Diensthunde im Grunde von Jagdhunden unterscheidet, denn diese haben einen gleichen bis höheren Beutetrieb, aber zurückgezüchtete Beuteaggression macht es dem Menschen möglich, die Beute auf den eigenen Teller zu bringen.
Diese beiden Beispiele zeigen, das Aggressionszucht im Prinzip sogar gut für die Umwelt ist, denn mit ihr erfolgt eine umso höhere Toleranz zum Sozialpartner Mensch. Erst durch falschen Umgang, schlechte Haltung oder gar Misshandlung/Missbrauch kann sich diese angezüchtete, erwünschte Aggression in ein unerwünschtes aggressives Verhalten wandeln.
Dann gibt es noch Verhaltensweisen, die eigentlich gar nicht in der Natur liegen, eher sich durch Evolution und menschlichen Einfluss entwickelt haben und umgangssprachlich "Angstaggression" und "Leinenaggression". Diese beiden Fälle kann man durchaus "negative, unerwünschte Aggression" nennen, meiner Meinung nach sind sie keine Aggressionen. Es sind nur unerwünschte aggressive Verhaltensweisen, die durch Unterdrückung des natürlichen Triebverhaltens und Trieblebens zum Ausdruck kommen.
Fazit: alles was unsere Hunde an Verhalten an den Tag legen, ist der Verdienst oder die Schuld des Menschens, egal wie man es dreht und wendet. Aggression ist weder schlecht noch falsch noch unerwünscht, schlecht und falsch und unerwünscht kann nur das Verhalten sein, das durch unseren Umgang mit den Aggressionen des Hundes verursacht wird.
Der Fehler hängt immer an der Schlaufe der Leine, nie am Haken
LG, Liesel