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Mißverständnis Leinenruck

geschrieben von Briard-Jutta(YCH) 
Mißverständnis Leinenruck
31. Dezember 1998 12:09

Hallo liebe Yorkies,

mal wieder ein Artikelchen von mir:

Vielleicht kennt Ihr das: Ihr arbeitet mit Eurem Hund auf dem Hundeplatz, aber irgendwie will Euer Vierbeiner heute nicht so, wie er soll. Abgesehen davon, daß er plötzlich massive Anzeichen von Taubheit zeigt und sich erst nach dem fünften Mal "Sitz" auf seinen Popo bequemt, scheint er neuerdings stark mit den Schlittenhunden zu sympathisieren und zieht, was die Leine hält. Seine Nase wird von einem Duft auf dem Boden sichtlich stärker angezogen als von dem Leckerle in Eurer Hand, und der Versuch, ihn mit einem Spielchen neu zu motivieren, endet im Chaos. Und obwohl Euer Ausbilder sich das Etikett "gewaltfrei" auf die Brust geheftet hat, beäugt er Euch mit zunehmenden Anzeichen von Nervosität. Handelt es sich bei ihm um ein eher vorsichtiges Exemplar, wird er Euch behutsam nahelegen, daß es jetzt langsam an der Zeit wäre, sich mal durchzusetzen. Gehört er aber zu der temperamentvolleren Gattung und hat er auch noch in der letzten Nacht schlecht geschlafen, dann kommt die präzise Anweisung: "Jetzt zeig' Deinem Hund aber mal, wer der Boß ist und gib ihm einen ordentlichen Ruck!" Tja, und das tut Ihr denn auch, aus welchen Gründen auch immer. Der Hund beißt in die Leine: Ruck. Er zerrt wie ein Wilder: Ruck. Er verweigert das Hinsetzen: Ruck. War Euer Krafteinsatz entsprechend, ist er inzwischen massiv "beeindruckt" (will sagen: er hat Angst) und schleicht mit möglichst großem Abstand neben Euch her. Er soll aber dicht am Bein gehen: Ruck. Lassen wir nun zunächst einmal sämtliche Aspekte von Gewalt oder nicht Gewalt außer Acht und betrachten das Ganze rein lerntechnisch. Jeder Hundebesitzer, der zumindest eine Kurzanleitung über Hundeerziehung gelesen hat, weiß, daß er für ein bestimmtes Kommando immer den selben Befehl verwenden muß, damit sein Hund versteht, was von ihm verlangt wird. So sagt er also "Sitz", wenn der Hund sich setzen, "Platz", wenn er sich legen und "Fuß" wenn er ordentlich an der Leine gehen soll. Den Befehl "Leinenruck" aber wendet er, quasi als "Überbefehl", in zig verschiedenen Situationen an. In den Augen des Hundebesitzers ist das jeweilige Anliegen klar, der Ruck soll einfach einen anderen gegebenen Befehl verstärken. Wie das aber sein Hund begreifen soll, darüber macht er sich keine Gedanken. Es reicht ihm die Bestätigung, daß der Hund aufgrund des Rucks ja schließlich doch noch tut, was er ursprünglich sollte. Da stellt sich nun die Frage nach dem Warum. Wenn wir davon ausgehen, daß unser Hund in allen anderen Fällen klare Anweisungen braucht, können wir ja nun nicht einfach voraussetzen, daß beim Leinenruck diese Gesetze außer Kraft gesetzt sind, und der Hund dank seiner Intelligenz plötzlich erkennt, was er jeweils zu tun (oder zu lassen) hat. Da wohl außer Zweifel steht, daß ein Leinenruck für den Hund zumindest unangenehm ist (warum sonst würden wir ihn anwenden?), liegt die Erkenntnis nahe, daß der Hund reagiert, um dieses unangenehme Erlebnis zu beenden bzw. zu vermeiden. Die nächste wesentliche Einsicht ist nun also, daß unser Hund aus Angst "gehorcht". Dabei ist er allerdings auf zufällige Erfolge angewiesen, da er die Ursache des Rucks ja nicht verstehen kann. Am ehesten "klappt" das Ganze beim "Sitz" und zwar deswegen, weil jeder Hund, der nicht so recht weiß, was er tun soll, sich erst mal hinsetzt. Ein Besipiel: Ein Hund, der gerade einen Artgenossen verbellt, soll mit Hilfe eines Leinenrucks dazu gebracht werden, das Bellen einzustellen. Er setzt sich brav hin - und bellt weiter. Die Folge ist ein weiterer Leinenruck, der unseren Vierbeiner nun möglicherweise veranlaßt, sich hinzulegen. Allerdings kann er auch im Liegen prima bellen. Der nächste Leinenruck reißt vielleicht den Hund wieder hoch und er steht bellend auf allen Vieren. In den Augen des Hundebesitzers verweigert der Hund stur den Gehorsam, dabei bemüht der sich ja ständig, das Richtige zu tun, damit das Gerucke aufhört. Nach etlichen weiteren Rucken "erwischt" der Hund dann vielleicht endlich das Richtige, mit großer Wahrscheinlichkeit deswegen, weil er inzwischen so verängstigt ist, daß er in absoluter Demutshaltung neben seinem Herrn kauert. Für diesen hat sich bestätigt: "Ich muß nur hart genug rucken, dann gehorcht der sture Kerl irgendwann schon!" Ein fragwürdiger Erfolg für jeden denkenden (und fühlenden!) Menschen oder?

Liebe Grüße,
Jutta



31. Dezember 1998 17:39

Liebe Jutta

Deine Artikel sind immer wieder Lesenswert.
Du sprichst mir mit dem Leinengerucke aus der Seele. Ich weiß nicht
wie viele Leute ich am Tag mit Hunden treffe, die wie die Irren an
ihren Hunden Rumrucken. Ein kleiner Ruck hier und ein großer Ruck da.
Zusätzlich wird dann noch ordentlich rumgequarkt in einer Lautstärke,
die auch Tote erweckt. Haben sie dann genug Rumgeruckt, sind sie bis
über beide Ohren zufrieden.

Empfiehlt man ihnen gute Hundeausbilder, schauen sie einen nur
Entgeistert an und sind überzeugt, das der Ruck doch die richtige
Wirkung hatte.

Liebe Grüße
Sissy




02. Januar 1999 11:30

Liebe Jutta,
netter Gedankenansatz, aber für meine Begriffe ist die humansoziale Übertragung in´s Kynologische hier etwas mißglückt.

Ist das Rucken an der Leine nicht eigentlich eine Bestärkung des bereits gegebenen Befehles?
Geht es hier nicht lediglich darum, die Aufmerksamkeit des Hundes auf den gegebenen Befehl zu lenken? Ist es nicht nur eine Reaktion auf ein nicht erfülltes Kommando?

Davon abgesehen, daß der Leinenruck immer nur Bestärkung einer verbal erbrachten Zurechtweisung sein sollte, die sehr wohl berechtigt ist, wenn der Hund das gegebene Kommando kennt, versteht und trotzdem nicht ausführt, kann ich nicht nachvollziehen, daß das Tier hier plötzlich vor der Wand der Unwissenheit stehen soll.

Viel destruktiver ist wohl die vielfache Wiederholung des Kommandos, da ich dadurch jedwede zukünftige Konsequenz untergrabe. (Immer davon ausgegangen, der Hund kennt das Kommando)


Noch etwas verstehe ich nicht ganz.

Auf der einen Seite bist Du - Deinen Ausführungen nach zu urteilen - ein absoluter Verfechter "gewaltfreier" Hundeerziehung, andererseits lese ich in Deiner Antwort zu " Hund beißt Halter" ein recht denkwürdiges Zitat. Nämlich, daß es vollkommen verständlich ist, daß der Hund irgendwann mal "zubeißt", wenn all die anderen "Warnungen" seinerseits nichts gebracht haben. (Hast Du ja auch absolut Recht)

Das aber heißt im Endeffekt, daß es für den Hund absolut naturgegeben ist, in bestimmten Situationen körperliche Gewalt einzusetzen( stimmt auch) - Und somit, daß er auch im umgekehrten Fall damit umgehen kann, da er sie ja selbst gezielt und "wohltemperiert" (zurechtweisend) einsetzt. (Was im Übrigen Fakt ist). # q.e.d.


Was jetzt?
Ist körperliche Gewalt (wir sprechen hier nicht von Mißhandlung) verwerflich, oder nicht?
Wenn ja, dann ist auch das Wesen eines Hundes als verwerflich zu betrachten, da körperliche Gewalt zum täglichen Leben dieser Tiere gehört - nur eben "wohltemperiert" und zweckgerichtet eingesetzt.
Wenn nicht, so ist es eine letzte Konsequenz in der Zurechtweisung, die auch für den Hund nachvollziehbar, da wesensentsprechend ist.

Also???

Grüße

Daniel


02. Januar 1999 12:15

Hallo Daniel

Ich MUSS Dir einfach antworten!!! Es ist ein Klassebeispiel gerade für die humansoziale Übertragung (oder antropomorphes Verhalten). Dir fehlen noch ca. 2 Gedankenschritte und dann bist Du ein ganz neuer Hundehalter. Ich hoffe, ich schaffe es, Dich zu überzeugen!

:Ist das Rucken an der Leine nicht eigentlich eine Bestärkung des bereits gegebenen Befehles?
:Geht es hier nicht lediglich darum, die Aufmerksamkeit des Hundes auf den gegebenen Befehl zu lenken? Ist es nicht nur eine Reaktion auf ein nicht erfülltes Kommando?

Klar, hast Du völlig recht. Es ist eine "Korrektur". Aber damit lieferst Du Dich gewaltig aus. Was machst Du die restlichen 23 Stunden, in denen der Hund nicht in Deiner Leinengewalt ist? Ich will mich hier nicht darüber streiten, wie der Hund das Halsbandrucken empfindet. Ich kann ja auch Menschen dazu bringen zu glauben, geschlagen zu werden sei normal. Das ist kein Abschwenker, sondern das Grundübel. Nur weil man sich an etwas gewöhnt, Mensch oder Tier, heisst das nicht, dass es gut ist.

Gehst Du nun also einen Schritt weiter und bringst den Hund dazu, dass er Dein Kommando ausführen WILL, kannst Du den Leinenruck wegschmeissen. Du brauchst dann auch keine Angst zu haben, dass der Hund im Notfall "versagt". Man kann jeden Hund dazu bringen, praktisch jederzeit zu tun was man will. Man muss aber sein Wollen in den Griff kriegen, sozusagen richtig fördern. Deshalb sind ja Zirkustiere heute so zuverlässig. Sie haben gelernt zu wollen und nicht zu müssen.

grinning smileyavon abgesehen, daß der Leinenruck immer nur Bestärkung einer verbal erbrachten Zurechtweisung sein sollte, die sehr wohl berechtigt ist, wenn der Hund das gegebene Kommando kennt, versteht und trotzdem nicht ausführt, kann ich nicht nachvollziehen, daß das Tier hier plötzlich vor der Wand der Unwissenheit stehen soll.

Weshalb, glaubst Du, dass zurechtgewiesene Hunde so langsam lernen, unzuverlässig reagieren und nur wenige von Ihnen etwas "taugen"?

:Viel destruktiver ist wohl die vielfache Wiederholung des Kommandos, da ich dadurch jedwede zukünftige Konsequenz untergrabe. (Immer davon ausgegangen, der Hund kennt das Kommando)

Das ist aber ein ganz anderes Problem. Leute, die ihren Hund förmlich anbetteln, etwas zu tun, sind ein ganz anderes Kapitel.


:Noch etwas verstehe ich nicht ganz.
:Auf der einen Seite bist Du - Deinen Ausführungen nach zu urteilen - ein absoluter Verfechter "gewaltfreier" Hundeerziehung, andererseits lese ich in Deiner Antwort zu " Hund beißt Halter" ein recht denkwürdiges Zitat. Nämlich, daß es vollkommen verständlich ist, daß der Hund irgendwann mal "zubeißt", wenn all die anderen "Warnungen" seinerseits nichts gebracht haben. (Hast Du ja auch absolut Recht)
Das aber heißt im Endeffekt, daß es für den Hund absolut naturgegeben ist, in bestimmten Situationen körperliche Gewalt einzusetzen( stimmt auch) - Und somit, daß er auch im umgekehrten Fall damit umgehen kann, da er sie ja selbst gezielt und "wohltemperiert" (zurechtweisend) einsetzt. (Was im Übrigen Fakt ist). # q.e.d.

Da liegt ein weiteres Problem. Vielleicht ein Mensch unter 100'000 kann lernen, genau zu imitieren, wie Hunde sich untereinander zurechtweisen. Und wenn das könnte, müsste er sich auch noch den ganzen Tag lang wie ein Hund benehmen, dass die Botschaft klar bleibt (Rangordnungen sind nicht stabil, sie werden täglich bestätitigt). Ein Ding der Unmöglichkeit. Da ist es einfacher, auf nicht-aggressiver Ebene zu arbeiten und sich Respekt zu verschaffen statt Dominanz und dem Hund eben beizubringen, Schritt-für-Schritt, dass wir das gleiche wollen.

Begebe Dich nie auf die Ebene des Hundes, in Auseinandersetzungen sondern benutze Dein Hirn. Entferne Dich vor allem von der menschlichen Erziehungsmethode: böses = strafen, gutes = belohnen.

Im Welpen-Forum hat's eine Übersetzung (Ende Dezember) über Aggressions-Prävention. Ich hatte zugegebenermassen anfangs auch Mühe mit dieser Idee, aber nur wegen des Verlusts des "Schutzhundes", weil ich darauf angewiesen bin, dass mein Hund die Wohnung bewacht.

:Ist körperliche Gewalt (wir sprechen hier nicht von Mißhandlung) verwerflich, oder nicht?
:Wenn ja, dann ist auch das Wesen eines Hundes als verwerflich zu betrachten, da körperliche Gewalt zum täglichen Leben dieser Tiere gehört - nur eben "wohltemperiert" und zweckgerichtet eingesetzt.

Der Hund ist nicht-verbal kommunikativ und der Mensch hat das Hirn. Seine Haltung ist sicher nicht verwerflich, unsere hingegen schon, wenn wir ihn dazu zwingen, soweit zu gehen.

:Wenn nicht, so ist es eine letzte Konsequenz in der Zurechtweisung, die auch für den Hund nachvollziehbar, da wesensentsprechend ist.

Ja, aber auch s.o. Wir können nun mal auf der aggressiven Ebene nicht mithalten. Da setzen wir sozusagen mitten im Text ein und kommen zu keinem klaren Schluss.

Ich könnte Dir das täglich beweisen, weil ich soviele Fälle kenne und Zugang zu neusten Fallstudien aus aller Welt habe.

WICHTIGER ASPEKT:
Übrigens sind bei Hunden, die andere Hunde spitalreif beissen jene Besitzer übervertreten, die daran glauben, sie hätten ihren Hund nur dann im Griff, wenn sie ihn über körperliche Strafen einordnen (mein Lieblingsspruch zurzeit: Aggression breeds Aggression, frei übersetzt: Aus Gewalt entsteht Gewalt).

Gruss
Roswitha



02. Januar 1999 13:51

Lieber Daniel,

sieh bitte unter "Hundeerziehung" nach, habe meine Antwort leider falsch plaziert.

Jutta