Hallo Sandra,
: erstmal vielen Dank für Deinen Beitrag. Wirklich sehr interessant und lehrreich. Ich hätte
einige Fragen und wäre Dir sehr für Deine Hilfe dankbar.
: Also *lufthol*, Du schreibst:
: "Bei der Mehrzahl derer, die sich mit Lob & Strafe versucht haben, konnte ich in dieser
oder jener Situation sehen, daß der Hund seinem Führer nicht bedingungslos traute,
besonders auffällig bei ungewohnten, neuen, leicht stressigen Umständen."
: Ist nicht nur dann Strafe vertrauensschädigend, wenn Sie unverhältnismäßig ist oder zum
falschen Zeitpunkt stattfindet? Oder siehst Du das auch so, befürchtest aber, daß man
(Otto-normal-Hundehalter
) diese Dosierung nicht oder nicht konsequent beherrscht?
Im folgenden steht das Wort Strafe nur für additive Strafen, also Zufügung von etwas Schmerz, Schock, Schreck.
Wirklich richtig dosiert und im richtigen Moment angewandt halte ich Strafen nicht für vertrauensschädigend, bei Hunden untereinander klappt es ja auch. (Meine Definition von "Strafe" und "Gewalt" habe ich ja bereits gegeben).
Bloß darf ich mir beim Strafen keinen Fehler leisten, sonst habe ich ein Problem.
Wie beim positiven Bestärken ist auch beim negativen Bestärken das Timing extrem wichtig, da liegt schon bei vielen der Hase im Pfeffer. Bis ich realisiert habe, daß jetzt was geschehen muß und ich es dann auch tue, ist die Situation, der Moment in dem noch eine richtige Verknüpfung möglich ist, schon lange vorbei. Lange heißt mehr als 2 Sekunden. Ich strafe demnach tendenziell zu spät, somit unwirksam, also gehört es in dem Moment eigentlich schon zu Gewalt.
Ich kann aber nicht nur beim Timing Fehler machen, sondern auch in der Dosierung der Strafe. Dosiere ich zu schwach, erfolgt keine dauerhafte Verhaltensänderung, die Strafe ist sinnlos, zählt m.E. unter Gewalt. Dosiere ich zu hoch, erzeuge ich Angst, Verunsicherung und somit Vertrauensverlust. Das gilt auch, wenn die Strafe nicht von mir, sondern einem Objekt oder "gott ähnlich" per Verbedienung kommt, dann verliert das Tier z.B das Vertrauen in die Umwelt. Das das auch unter Gewalt fällt, leuchtet ein.
Bei so vielen Möglichkeiten etwas falsch zu machen, was leicht gravierende Folgen haben kann, verzichte ich lieber auf die Anwendung von additiven Strafen und empfehle sie auch keinem weiter. Wenn jemand die Technik beherrscht, spricht nichts dagegen sie anzuwenden, aber im Zweifel gehe ich davon aus, daß ich es eher nicht kann, bin schließlich nur ein Mensch.
: Habe ich Dich richtig verstanden, daß Du allein durch Ignorieren strafst?
Ich bemühe mich zumindest, nutze aber auch andere subtraktive Strafen, also Wegnahme von anderen Annehmlichkeiten.
Ignorieren ist natürlich nur dann eine Strafe, wenn der Hund überhaupt Kontakt zu mir haben will. Ich muß mich also interessant machen, der Chef hat die Macht über das Futter, das Spielzeug, die freiheitseinschränkende Leine, die Haustür, die Sozialkontakte etc.
: Wie strafst Du denn zum Beispiel ein nicht herkommen? Ignorieren ist da doch irgendwie nicht anwendbar
oder?
Stimmt, Ignorieren wirkt hier nicht als Strafe, der Hund zeigt ja eh gerade kein Interesse an mir..
Früher als ich noch mit der klassischen Ruck-Methode arbeitete, dachte ich immer, mein Hund wisse genau was ich wollte, würde aber einfach seinen Kopf durchsetzten, sozusagen um mich zu ärgern. Aber warum sollte er das tun wollen, was bringt ihm das außer anschließender unangenehmer Korrektur?
Heute sage ich, er hat noch nicht richtig gelernt, auch bei stärkster Ablenkung meine Signale auszuführen. Mein Fehler, ich muß entsprechend üben.
Und da ich
a) aus Erfahrung weiß, daß ich nicht sauber mit additiven Strafen umgehen kann und ich
b) eh lieber möchte, daß mein Hund Spaß hat, meine Forderungen zu erfüllen (meine private Einstellung, die man nicht teilen muß)
arbeite ich mit positiver Bestärkung des gewünschten Verhaltens. Die Belohnung muß in Augen des Hundes natürlich deutlich mehr wert sein, als die Ablenkung (in meinem Lieblingsfall der Hase). Je häufiger er diese bessere Belohnung für die richtige Reaktion einstreicht, um so häufiger wird er wie gewünscht reagieren.
Ich hatte es bei der Hasen-Geschichte übrigens früher mit additiver Strafe versucht, die Dosierung aber leider zu hoch gewählt und noch dazu eine ungewollte Fehlverknüpfung geschaffen. Ich bin geheilt, da laß ich die Finger von. Die jetzt erreichten Erfolge stehen für Interessierte im Clicker-Forum.
: Insgesamt frage ich mich, ob ignorieren nicht sogar etwas ist, was meinem Hund
zeitweise gefällt, zum Beispiel beim spazieren. Ich glaube, Enya würde sich manchmal
regelrecht wünschen, daß ich sie ignoriere, zum Beispiel, wenn irgendwo ein Vierbeiner
rumrennt und sie liebend gerne hinrennen würde um die nächsten 12 Stunden (mindestens !
) mit ihm zu spielen. Dann wäre doch Ignorieren keine Strafe oder?
Wie oben ausgeführt funktioniert eine subtraktive Strafe nur, wenn der Hund das was jetzt weggenommen wird auch begehrt.
Du könntest aber durch einen kleinen Kunstgriff, die Erlaubnis zum Spiel mit anderen Hunden als Belohnung für richtiges Verhalten nutzen. Wenn Du die Entscheidung über Erlaubnis oder nicht erteilst, stärkt dies auch Deine Führungsposition.
: Wie sieht Dein Ignorieren praktisch aus? Einfach nur nicht beachten ? Das habe ich nämlich zum Beispiel
auch beim ewigen Thema hochhupsen probiert, was aber nur bewirkt hat, daß Enya sich
immer neue Formen überlegt hat. Das sah dann so aus: hochhupsen- ignoriert- an der
Jacke ziehen- ignoriert- jaulen, bellen -ignoriert und die Unterhaltung schreiend
fortgesetzt- in den Hintern kneifen - da war dann meistens ignorieren nicht mehr möglich.
Wobei bei den meisten Besuchern schon bei den ersten Schritten Schluß war.
Die Problematik kenne ich. Wenn ich mit dem Ignorieren anfange, kommt es oft vor, daß der entsprechende Hund sein Fehlverhalten (mit der Motivation meine Aufmerksamkeit zu bekommen) intensiviert, schließlich hat er doch sonst immer Zuwendung damit erzwingen können. Also versucht er es jetzt intensiver oder probiert andere Verhaltensweisen, die früher auch schon mal zum Erfolg geführt haben. Reagiere ich jetzt mit einer zu schwach dosierten additiven Strafe, hatte er Erfolg, wird im Fehler bestätigt. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber unter bestimmten Umständen kann auch eine (zu schwache) additive Strafe als Belohnung aufgefaßt werden.
Natürlich beendet die richtig dosierte, zeitlich korrekte additive Strafe das Fehlverhalten, aber wie gesagt, ich persönlich beherrsch das (leider?) nicht. Deshalb gehe ich die Sache verhältnismäßig umständlich, aber auch erfolgreich an.
In Deinem Fall versuchte ich es entweder mit einem entsprechend geschützten Figuranten, damit auch das Kneifen ohne Schäden ignoriert werden kann. Irgendwann wird Enya aufgeben, sich nicht mehr für Euch interessieren, aber gleich der Hinweis: das kann seeehr lange dauern, je nach Ausdauer und Vorerfahrung des Hundes. (Das pure "Auswarten" sprich ignorien eines beutegeilen Schutzhundes kann bis zu einer Stunde dauern, bis er den Ärmel von selbst wieder ausspuckt). Wenn ich das aber konsequent durchführe, d.h. auch ohne Besuch auf entsprechende Belästigung des Hundes nicht eingehe, ist die Sache relativ schnell erfolgreich. (Gleichzeitig verschiebt es das Rangverhältnis zu Deinen Gunsten, Alpha agiert der Rest reagiert.)
Findet sich kein passender Figurant oder reicht die eigene Ausdauer und Zeit nicht, kann ich auch durch langsames Formen das Wunschverhalten fördern. Anfangs belohnst Du den kleinsten Ansatz, sprich wenn Enya ca. zwei Sekunden niemanden angebellt, angesprungen, angeschubst, gekniffen oder sonst unerwünscht belästigt hat. Diese "Minipausen" zwischen verschiedenen Verhaltensweisen muß man erkennen und nutzen. Nach und nach steigerst Du die Länge der Pause.
Weiterhin kannst Du die Pause nutzen, ein mehr oder minder bekanntes Hörzeichen ausführen zu lassen, hat Enya dies getan, wird sie von Dir und dem Besuch belohnt. Bisher ist es doch wahrscheinlich so, daß Enya vor "Aufregung" nicht auf Signale Deinerseits reagiert, sonst hättest Du ja einen wirksamen Weg das Fehlverhalten zu unterdrücken.
Nutzt Du in der Pause immer dasselbe Signal, wird irgendwann die Situation an sich zum Auslöser, das an das Signal gekoppelte Verhalten ohne Aufforderung zu zeigen. Meine ebenfalls anspringfreudige Schäferhündin setzt sich z.B. immer öfter bei Fuß und lehnt ihren Kopf an meinen Oberschenkel, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Einer solchen netten, zurückhaltenden, vorsichtigen Bitte entspreche ich (später beim gefestigten Verhalten nicht mehr immer), ohne das ich glaube mir als Alpha was zu vergeben, dreiste, drängende Aufforderungen ignoriere ich.
Ich denke, insgesamt ist zu erkennen, daß auch diese Beeinflussung (additive Belohnung und subtraktive Strafe) um so besser funktioniert, um so mehr ich eine verläßliche, echte Führungsfigur für meinen Hund darstelle.
Ist der Hund aber ständig pappsatt, hat sein Spielzeug zur eigenen Verfügung und bekommt dazu nach seinem Willen Sozialkontakte, hab ich ihm das Zepter überlassen und mir bleibt natürlich nichts mehr, um ihn positiv zu motivieren. Also alle Punkte ändern, dann mit dem Training beginnen.
das war´s mal wieder,
Anke