Hallo Merle,
Hallo Martin,
ich möchte in Ergänzung zu Martins Antwort schildern, wie ich dieses
Problem bei einem Welpen / Junghund angehe. Ich greife, wenn immer
möglich, *nicht* zur Sprühflasche. Mein Ziel ist es eine zuverlässige
vertrauensvolle Kooperation mit dem Hund aufzubauen.
Merle schreibt:
...... was mache ich jetzt in der Trainingsphase,
wenn unerwartet ein Mensch vorbeikommt .............
Was du machst? Umdenken ! :-)
Es kommt in Zukunft nie mehr "unerwartet" ein Mensch vorbei.
In Zukunft sind alle Ablenkungen "erwartet", --- also einkalkuliert. :-)))))
Warum ? Weil man darauf immer vorbereitet sein muss,
damit rechnen muss, --- und sie in das Training einplanen muss
bzw. kann..
Ich gehe zum Üben raus aus dem Dorf / der Stadt auf eine möglichst einsame
grüne Wiese. Möglichst etwas abseits der ausgetretenen Spazierwege. Einige
hundert Meter neben einem wenig frequentierten Spazierweg sind ideal.
Ich pflege bei meinen Trainingseinheiten den wachsamen Rundumblick,
denn ich erwarte immer und überall Ablenkungen, deshalb sehe ich
als Augentier (((fast))) alle nahenden Ablenkungen *vor* meinem
Hund und dann unterbreche ich die Trainingseinheit ganz einfach rechtzeitig,
nehme meinen schlappohrigen Quirl mit der linken Hand am Halsband und
lege den rechten Arm kameradschaftlich um seinen Nacken. Wir setzen uns
dann gemeinsam auf die Übungswiese und dann gucken wir in sonniger
Harmonie und in aller Ruhe der Ablenkung nach, bis sie am Horizont
verschwunden ist. So lernen wir, dass vorbeigehende Spaziergänger absolut
langweilig sind. Beim Nachgucken gibt es keinerlei (!) Action ("Äkschen"
,
bloß gucken, gucken, gucken, gucken, langweiliges gucken .........
Auf die Dauer wird das jedem Durchschnittshund stiiiiiiiiiiinkfaaaaaaaaad.
Parallel dazu (das heißt, sobald die Ablenkung aus dem Blickfeld
verschwunden ist) baue ich als Kontrastprogramm eine spannende und
lustige Übungssession auf, die viel Action bietet und den Hund mental
fesselt. Üben bedeuted Action, Spaziergänger bedeuten langweilige
Unterbrechung der Action.
Uns ist klar, dass wir im Anfangsstadium auf gar keinen Fall unter
Ablenkungen trainieren können. Uns ist klar, dass wir beim Üben unter
Ablenkung mehr kaputt machen würden, als wir in einer Woche wieder
an den Junghund hinkriegen können.
Beim Trainieren muss ich mir ganz sicher sein, dass * ich* als HF der
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit meines Hundes bin. Bestehen daran
irgendwelche Zweifel, dann fange ich erst gar nicht an zu trainieren. Dann
kommt der Hund mit Leine an einen Pflock und bleibt sich selbst überlassen.
Er darf schnüffeln, spazieren gucken, sich hinlegen, hinsitzen, aufstehen, im
Kreis laufen usw. usw. bis ihm so richtig langweilig wird. Ein Hund der seine
Umgebung genügend erforscht hat, dem es in dieser (künftigen) Trainingsumgebung
stinklangweilig ist und der zudem noch ordentlich Kohldampf (Hunger) hat oder
"Hunger" nach sozialem Kontakt oder "Hunger" nach spielerischer Action mit
seinem menschlichen Partner hat, der bringt genau die richtigen Voraussetzungen
mit für ein effektives Training. Wenn der Hund seine Umgebung genügend
erforscht hat, sagt man auch: Der Hund ist an seine Umgebung "adaptiert".
Und der "Hunger", welcher Art auch immer er ist, sorgt für eine prächtige Motivation.
Wenn ich in diesem Zustand mit meinem fiktiven "Tombola-Eimerchen", in dem sich
die "Nieten", die langweiligen Trockenfutterpellets und die höchst interessanten,
(leicht angegammelten) Hühnchenfleisch-Brocken befinden, in sein Blickfeld trete,
dann bin ich für ihn der absolute Mittelpunkt seines Interesses; auf Neudeutsch sagt
man auch: "Der absolute King." Das ist die unabdingbare Voraussetzung für ein
effektives Hundetraining. Hundetraining muss den Vierbeiner fesseln, es muss
spannend sein. Wenn sich mein Hund mehr um andere Reize kümmert (Ablenkungen
von außen, Duftspuren am Boden usw.), dann stehe ich auf verlorenem Posten.
Das gilt im Besonderen für meine Setter mit ihren feinen Nasen.
Hat sich der Hund also gut an seine Umgebung "adaptiert", dann beginne ich das
Training zunächst mit einigen ganz einfachen Übungen, die er schon beherrscht
(Sitz, Platz usw.) und schon bin ich mittendrin in meiner Hunde-Tombola und ich
habe ganz schnell einen Hund, der sich total auf mich konzentriert.
Versuch´s einfach einige Male auf diese Art und Weise. Dabei darf es ruhig lustig
und übermütig zugehen, es soll dir und deiner Akira ganz großen Spass machen !
Akiras Hauptgewinne sollten z.B. ausgiebige Ballspiele sein, jedenfalls etwas,
bei dem sie total ausflippt. Bei uns ist das Hühnchenfleisch oder Romadur oder
ein tolles, total ausgelassenes Zerrspiel mit dem dicken Baumwoll-Strick oder
ganz einfach Rennen, was das Zeug hält..
Es folgen einige Tage eifrigen Übens, jeweils 5.....7 Minuten pro Session. Nicht mehr!
Nach einigen Tagen beobachtest du sorgfältig, wie deine Vierbeinerin auf ganz leichte
Ablenkungen beim Üben reagiert.
Den Erfolg deiner Arbeit kannst du daran erkennen, dass sie zunächst *leichteste*
Ablenkungen nicht mehr interessieren.
Wenn ein Spaziergänger in größerer Entfernung vorbeigeht und du die Übungssession
deswegen unterbrichst, dann wirst du vielleicht irgendwann einmal merken, dass deinem
Hund diese Unterbrechung lästig wird. Er guckt nicht mehr dem Spaziergänger nach,
denn das ist langweilig, er will viel lieber weitermachen und mit dir üben und wenn du
ihn genau beobachtest, dann merkst du irgendwann diese Veränderung. Genau das ist
der springende Punkt. Genau hier hast du den Fuß in der Türe zu einer zuverlässigen
Kooperation mit deinem Hund. Von da ab verlegst du deine Übungswiese immer
dichter ran an die Spazierwege. Bislang war sie ja recht weit weg davon, wie ich
oben erwähnt habe. Jetzt gehst du ganz sachte immer dichter ran, je nach Fortschritt
deiner Bemühungen. Dieses Vorgehen versuche ich möglichst überall anzwenden,
nicht nur beim zuverlässigen Herankommen. Dieses Vorgehen erspart mir die
Sprühflasche bei der Ausbildung / Erziehung eines Hundes. Genaues Beobachten
des Lernfortschrittes steht bei mir weit, weit über der Sprühflasche. Für mich ist
das einfach der klarere Weg zum Erfolg. Die Sprühflasche ist ein Umweg.
Lies nach, was es hier auf www.yorkie-hundeforum.com oder anderswo über das
Premack-Prinzip zu lesen gibt. Eine spannende Hunde-Tombola macht gemäß
Premack das Üben, also die Kooperation mit dir immer interessanter. Du wirst
merken, dass Akira diese Übungen mit dir immer mehr Spass machen. Du wirst
merken, dass du im Laufe der Zeit bei konsequentem, regelmäßigem Üben enorme
Fortschritte erzielst. Das Üben mit dir wird zum Selbstläufer, d.h. das Üben selber
wird zum Bestärker, die Leckerchen oder die Ballspiele, mit denen du anfänglich
die Motivation aufgebaut hast, treten ganz langsam immer mehr in den Hintergrund.
Schließlich sind es die Übungen selbst (zum Beispiel das schnelle Herankommen
und das damit verbundene Rennen zu dir), die deinen Hund motivieren.
Du kannst dann ganz vorsichtig und stufenweise immer stärkere Ablenkungen mit
einbauen, ohne dass sich deine Akira dafür interessieren wird. Herankommen zu
dir ist einfach super für den Hund.
Dieses langsame "Treppensteigen", beginnend von ganz unten, - ohne jede
Ablenkung -, aufsteigend zu immer stärkeren Ablenkungen, genau an das habe ich
gedacht, als Martin geschrieben hat:
Was am anfang geschieht, ist genau das, was z.Zt. ohnehin geschieht.
Aber du bleibst nicht auf dieser stufe stehen.
Du bewegst dich auf einer Treppe ganz, ganz langsam nach oben,
--- vom Üben ohne jede Ablenkung zum Üben unter starken Ablenkungen.
Viele Grüße
aus dem sonnigen Wilden Südwesten
Reinhold + Ayko
PS: Ich habe versucht so konkret wie möglich zu schildern.
Abstrakte Verallgemeinerungen habe ich versucht zu vermeiden.
Mir ist klar, dass jedes Hund/Mensch-Team anders ist
und dass letzten Endes jedes Team seinen eigenen Weg suchen
und finden muss. Insofern ist meine Schilderung nur als Anregung
zu betrachten.