Von Hund/Katz und Clicker
30. Dezember 1998 17:18

oder Wie ich wegen B und F zu C&B kam

Ausgangslage, die Mitspieler:
Ich, weiss viel, aber auch nicht alles (wie sich wieder einmal herausstellt, kann man dafür andere Fachleute (z.B. Martin) fragen).

9jährige Malinois-Hündin (cool smiley aus "Arbeitslinie" mit hoher Beuteaggression (Worterklärungen weiter unten) und leicht ansprechbarer Motivation. Als Erwachsene an Katzen gewöhnt, keine soziale Aggression gegen diese (kein Knurren, kein "Futterneid", keine "Eifersucht"winking smiley, aber Beuteaggression in "stark verdünnter" Form, wobei es zu Übrsprunghandlungen kommt aber ohne Körperkontakt.

Heute 7monatige Perserkätzin (F), von klein auf an Hunde gewöhnt. Zeigt kein Fluchtverhalten oder Aggression gegenüber Hunden, bei starker Bedrängung gehemmte Bewegungen oder Starre.

Ein Vari-Kennel: Hundebox, die man leicht vorne zuhängen kann, womit der Hund dann vorne raus nichts mehr sieht, Licht und Luft kommen von seitlich oben.

Clicker (falls nötig, selber nachlesen oben am Forum)

Stichwort-Definitionen, auf diesen Fall bezogen, um zu illustrieren, woher das Problem eigentlich kommt:

Beuteaggression: Form der Aggression, die (meist) durch Hetzen eingeleitet wird (weil z.B. ein Opfer wegläuft), es werden KEINE innerartlichen Kommunikationsformen eingesetzt (bellen, knurren etc.). Was ja biologisch auch unsinnig wäre, da das Opfer diese nicht versteht.

Übersprungshandlung (hier in Bezug auf Beuteaggression): wird das Opfer erreicht und der Hund weiss nicht, wie er es angreifen soll oder erkennt es als Nicht-Beute (z.B. Jogger), entlädt sich die Spannung in Form von bellen, knurrbellen o.ä. und die Handlung wird abgebrochen.

Motivation: Bereitschaft des Hundes zur Ausführung der Jagdhandlung. Durch die Endhandlung (s.u.) wird die Bereitschaft zu jagen für einige Zeit massiv herabgesetzt. Es ist eine Sättigung eingetreten.

Endhandlung: Durch den letzten Akt der Jagd, das Töten und Fressen, wird die Motivation fürs Jagen für einige Zeit stark herabgesetzt. Dies geschieht bei Hunden z.B. in Form von Reissspielen, wenn sie die Spielbeute schütteln und evtl. zerstören können.

Habituation: reizspezifische Ermüdung, weil ein wiederholt auftretender Reiz (z.B. Musik im Zimmer) weder mit positiven noch mit negativen Folgen verbunden ist. Eine zunächst vorhandene Antwortbereitschaft wird abgebaut (z.B. Ohrenspitzen wenn man Musik einstellt tritt nicht mehr auf).

Was vorher geschah (Erzählung):
Die neue Katze F kam hinzu, erst 14 Wochen alt und ca. 800 g schwer. Nichtsahnend freute ich mich (naiver Mensch) auf F. Die Hölle brach los.

12 Tage lang fand ich in meinem Wissen, in den Erfahrungen keinen Anhaltspunkt wie ich um Himmels willen die massive Reaktion von B in den Griff kriegen sollte, ohne grösste Gefahr zu laufen, ihr Vertrauen zu mir zu zerstören oder F's Leben unzumutbar einzuschränken. (Fachkundige Dritte wurden zugezogen (nicht Martin), die es sicher auch nicht leicht hatten mit mir.)

B konnte sich bis zur völligen Erschöpfung nicht selbst von der Konzentration auf F lösen: Starren, Fiepen, Winseln, Zittern, starkes Hecheln, selbst wenn der Sichkontakt unterbunden wurde. (Ihr kennt das sicher auch: Hund vor Hasen-Gitter-Syndrom.) Grosse Gefahr, dass F von B erschlagen wird, da B's Übersprungshandlung um die Spannung loszuwerden, die durch Aug-in-Aug-Starren erzeugt wird, ein plötzliches, extrem heftiges Zustossen mit der Schnauze ist (geschlossener Kiefer). Die Reaktion auf die Aggression einer Katze ist blöderweise zubeissen. Kurzum, das Bild erinnerte stark an eine Kobra (cool smiley, die die Flöte (F) beissen will.

Per Zufall (?) kam mir der Titel einer Arbeit in den Sinn "Einsatz positiver Verstärkung zur Verhaltenstherapie" oder so ähnlich. Ich fand die Adresse der Verfasserin heraus und rief sie an. Leider war ich zu aufgeregt, um zu begreifen, worum es ging. Ich liess mir aber die Unterlagen zuschicken (es ging natürlich um den Einsatz des Clickers).

In der Zwischenzeit wollte ich das Risiko nicht mehr eingehen, Schuld am Tod dieses süssen Wesens F zu werden. Zudem wollte ich mein Privatleben wieder. Da sass ich nun mit der hübschesten Katze, die ich je gesehen hatte und liebenswert, dass einem die Tränen kamen, und einem Hund, der schlussendlich zu denken schien: hübsches Spielzeug, darf ich das auch mal haben, wenn Du nicht im Raum bist? (Denn ein bisschen entspannt hat sich die Situation dann schon.)

Ich gab das kleine Wesen zurück und studierte, studierte, studierte. Clicker-Listen rauf und runter. Manchmal sicher, ich könnte das nächste Mal das Problem "Beuteaggression gegenüber kleiner Katze" mittels Clicker lösen, manchmal ziemlich wankend. Da erzählte mir vor einigen Wochen jemand was von yorkie.ch: "Die reden da auch über diesen Clicker."

Diese Geschichte besteht aus ¾ Prolog und ¼ Hauptteil. Der Epilog ist noch nicht gelebt, der kommt in den folgenden Wochen. Die ¾ Prolog sind hiermit zu Ende, ich wechsle in die beinahe unmittelbare Gegenwart.

19. Dezember: Dieselbe süsse Katze F kommt zurück, allerdings nun 4 Monate älter (und ganz 800 g schwerer). Sie wiegt jetzt stolze 1600 g. Da war die ursprüngliche Überlegung, wenn sie grösser ist, kann ihr nicht soviel passieren wohl wieder völlig fehl am Platz (naiver Mensch). Gegen 23 hocherregte-kg "Sport"-Hund fallen nun 800 g nicht speziell ins Gewicht. Soviel kräftiger sind diese Rippen nun nicht gerade und der Kopf ist auch nicht viel grösser. Und der Schlag mit der berühmten Katzenpfote löst ja beim (echt sensiblen) Terrier zwar nur ein müdes "was?" aus, bei B aber eben ein schnelles, kräftiges Zuschlagen mit den Zähnen (man könnte auch beissen sagen).

Immer noch 19. Dezember. Grosser Vari-Kennel im Wohnzimmer installiert, B schon seit Monaten ans Schlafen in einem separaten Zimmer (das "ich habe alles im Griff, liege auf dem Sofa und schau auf die Haustüre-Zimmer"winking smiley gewöhnt. Man will ja Ihro Gnaden nicht vor den aufmerksamen Kopf stossen, damit sie denkt, die "Sch"-Katze F sei an der Verbannung schuld.

Clicker-Konditionierung erfolgreich durchgeführt, wie ihr anhand einer anderen Meldung meinerseits nachlesen könnt (da geht's ja grundsätzlich ums gleiche: Beuteaggression gegenüber Menschen mit Umschaltung in aggressiven, explosiven Spannungsabbau bei Augenkontakt, den der Mensch (oder die Katze, Schaf, Kuh etc.) nicht von sich aus unterbricht). Kurz gesagt, ambivalent bis zum geht nicht mehr und immer latent gefährlich bzw. zumindest bedrohlich und unangenehm. Als Opfer eines solchen "Spannungsabbaus" zittert man schätzungweise etwa so sehr, wie wenn einem das Auto gerade doch nicht erwischt hat, aber vor dem inneren Auge schon.

Also immer noch Samstag (ich schweife ab, ich weiss): B wird an eine sehr leichte Leine mit losem Lederhalsband und ans Halti mit ebenso leichter Leine "befestigt" (kennt B auch, nie für "Korrektur" gebraucht). Es geht hin zur im Körbchen liegenden F (die ab Tag 1 ihres jungen Lebens mit 2 Doberleuten aufgewachsen ist und dementsprechend uninteressiert ist). Sobald B Richtung F guckt, sanftes Wegzupfen am Halti, B schaut weg von F - C&B, B schaut hin, sanftes Wegzupfen am Halti, B schaut weg - C&B, ca. 5 mal, ich sage nichts. B bleibt recht ruhig. (Wir arbeiten ja seit Jahren beinahe täglich zusammen.) Ich rede anschliessend freundlich mit B und versorge sie im Vari-Kennel und hänge vorne zu. Sichtkontakt unmöglich. Gebe ihr noch Futterbelohnung mit. Ich setze mich zum Vari-Kennel hin und lese. (Hier setze ich auf eine beschleunigte Habituation, da B vom Geruch von F allein schon fiept.)

F wird neugierig und kommt auch mal vorbei (sehr, sehr menschenfreundlich). B wurde vorher fürs ruhig im Vari-Kennel liegen immer wieder mal mit C&B bestärkt. B regt sich auf (Geruch, Geräusch, Erfahrung, was auch immer), fängt an zu fiepen und wird ignoriert. Kein Laut im Zimmer, aber auch kein angehaltener Atem. B stellt fiepen ein und C&B. Ich zwinge mich, nicht menschlich zu reagieren. Kein Nein, kein Hör auf, nichts solches, keine Spur. Schliesslich sollen sie ja unbeaufsichtigt zusammensein können, da sage ich dann ja auch nichts. Persönliches Verbieten geht eben nur bei Anwesenheit. Indirekte Strafen werden aus Erfahrung abgelehnt (u.a. weil B sie immer wieder "abbaut"winking smiley.

Sonntag und Montag: Leine und Halti wurden nur am Samstag benutzt, ich hatte so ein Gefühl, es sei nicht mehr nötig. Erst in einer nächsten Phase wieder. Wunder über Wunder: B schafft es tatsächlich innert 24 Std., freilaufend für 3 bis 5 Minuten aktiv den Blick zur Katze zu meiden (viel C&cool smiley. Wenn mein Gefühl mir sagt, nicht länger, sonst wird's zu schwierig, wird B wieder weggebeten (in den Vari-Kennel) oder wir gehen spazieren etc.

Wenn ich nicht zuhause bin, sind B und der Terrier im Übersichts-Zimmer eingesperrt. Natürlich muss ich noch andere Fakten berücksichtigen, um die Gewöhnung an F zu beschleunigen. Der Vari-Kennel ist vorne fast dauernd verhängt (niedrige Reizlage für die Habituation), damit B sich nicht übermässig aufregt. Solange B ohne Sichtkontakt schon anfängt zu fiepen, wenn F herumrennt oder vorbeigeht, wäre es für die Gewöhnung (Habituation) an den neuen Reiz der von F ausgeht kontraproduktiv, denke ich mir. (Mensch, beherrsche Dich, je mehr Geduld jetzt, desto weniger lange wird sie strapaziert, die Geduld.)

B wird immer wieder fürs ruhig und entspannt im Vari-Kennel liegen oder Knochen kauen etc. mit C&B bestärkt, freundliches Ansprechen. So baut sich auch keine negative Verbindung zum Vari-Kennel auf. Sie geht jederzeit ohne zögern hinein. Ich "sperre" sie auch nicht weg. Für sie wird es eindeutig bald zur Routine. Wenn B sich im Vari-Kennel aufregt, wird sie ignoriert. Ich lasse sie in diesem Zustand auch nicht raus. Rauskommen und spielen etc. gibt es immer nur, wenn sie entspannt ist.

F ist nun 3 Tage hier. Wow, ich konnte B schon über 2x mehr als 1 Stunde freilassen ohne dass sie auch nur 1mal F gesucht hätte (die natürlich irgendwo schlief). C&B hat bewirkt, dass die Nicht-Beachtung der Katze wichtiger wurde und ich mich nicht aufrege.

Mittwoch und Donnerstag: Sind es erst 5 Tage? B entspannt sich immer mehr, ich habe es bisher geschafft, dass B F nicht rennen sah, sondern nur hörte. Ab und zu unterlaufen mir sicher andere Fehler (es ist so hart ein Mensch zu sein), die den ganzen Gewöhnungsprozess verlangsamen. Aber löblicherweise sind Hunde flexibel und positive Bestärkung auch.

Jetzt weiss ich endlich, wie diese Geschichte heissen soll "Jekhill und Hyde", genauso ist es. Das lezte mal war B wie Mr. Hyde und dieses mal, dank C&B, ist sie Dr. Jekhill. Und ich bin reformiet. Die letzten Reste des menschlichen Erziehungskonzepts sind über Bord (fast, man hat seine Einschränkungen in schlechten Momenten und will verbieten/strafen).

Also, hat wer bis hierhin gelesen? Ich weiss, als Video wäre es eindrücklicher, aber dazu fehlt mir die Technik.

Warum das ganze Theater? Weil meine liebe B z.B. mit 9 Monaten aufgrund von Blickkontakt mit voller Wucht meiner Nichte ins Gesicht sprang, geschlossener Kiefer voraus. B beim letzten Mal F trotz Maulkorb beinahe die Pfote abgebissen hätte (explosiver Spannungsabbau). Sie auch mit geschlossenem Kiefer / Pfote genug Wucht hat, kleinen 1600 g Katzen den Brustkorb einzudrücken. B bei einer Aggression der Katze selbst sofort zuschlägt. Sinn und Zweck des ganzen ein Zusammenleben ist und ich nicht Zoowärter spielen will.

F lieg gerade jetzt dösend neben der Tastatur und B liegt 2 Meter daneben und leckt sich die Pfoten. Nein, stimmt nicht, jetzt hat sie sich gerade zum Schlafen hingelegt. Welch eitel Freude mit ein wenig Kontrolle (des Menschen) und C&B.

Es sind nun "schon" 9 Tage (28.12.) und wir leben noch und immer entspannter. Es fällt mir immer schwerer, B fürs entspannt sein zu beachten (Aufmerksamkeit, C&cool smiley, denn schliesslich habe ich Ferien. Ich eigne mich nicht zum "Wärter". Natürlich bin ich dankbar, denn B hat noch kein einziges mal F auch nur geknufft, sie jammert und winselt massiv weniger wegen F (Habituation) und wenn F nicht so klein wäre, müsste ich eigentlich gar nicht mehr aufpassen, sondern nur noch Wegschauen, entspannt sein etc. bestärken, damit sich der "Katze-ist-nicht-so-wichtig-Effekt" aufrechterhält und zur Gewohnheit wird.

Übrigens: Wenn F spielt, winselt B zwar wie blöde, aber sie geht nicht hin sondern holt sich ihr Spielzeug und reagiert sich an dem ab (was ich auch unterstütze). Zudem hatte ich heute Besuch, ein Augenzeuge, der das letzte Mal dabei war. Grosses Staunen, auch da. "Wie ausgewechselt, ich glaub's nicht." Ich eben auch fast nicht.

Liebe, beruhigte Grüsse
Roswitha

PS: Mein Chef kam gerade ein paarmal rein (wir haben beide Ferien). B hat praktisch gar nicht geknurrt, nur ansatzweise. Sonst war immer grosser Bahnhof. Ein Zufall?