Hallo Julia,
: Zu Jonas: er dürfte wohl jetzt 8 werden, ich habe ihn seit ca sechs Jahren, er stammt aus dem Tierheim, wo er als Fundhund abgeliefert wurde.
Dann hat sich Eure Konstellation also über 6 Jahre zementiert, dann wird es auch mit Clicker einige Zeit dauern, Jonas zu helfen, aber es ist nicht aussichtslos, denke ich.
: Weil Jonas im Tierheim sehr abgemagert war, kann man wohl schon daraus schließen, daß er eine ganze Zeit lang alleine unterwegs war, er hat ein sehr gefestigtes Jagdverhalten, jagt auf Sicht, auf Fährte...Er muß also meistens an der Leine bleiben, weshalb auch die Hundekontakte ziemlich beschränkt sind.
Zu Jagdverhalten und Clicker findest Du hier im Forum sehr gute Einträge, schau mal unter Jabberwocky oder unter Wildschweinjagd weggeclickert.
Wie Du einen ehemaligen Streuner weiter an Dich binden kannst, hat Thorben Anja vor wenigen Tagen ausführlich beschrieben, unter Anja, Lara und Leo.
Wenn Jonas schon fast immer angeleint bleiben muß, dann besorge Dir ein gepolstertes Geschirr, eine 10m-Flexigurtleine (in die kannst Du notfalls auch reingreifen) und einen Bauchgurt für Dich, damit Du die Hände für den Clicker und die Leckerli freihast.
Ich kenne nur Hunde (mit und ohne "Vorgeschichte"
, die durch fast ständiges Angeleintsein eine Leinenneurose entwickelt haben.
Die läßt sich durch mehr Freiheit an der Leine aber zumindest reduzieren.
: Dazu kam früher, daß Jonas, zumindest nicht erkennbar, in keiner weise auf Lob reagiert hat, auch nicht auf schimpfen, es war also schwer, überhaupt irgendwie einen Draht zu dem Hund zu bekommen, eine echte Bindung zu mir und meinen eltern aufzubauen, hat Jahre gedauert.
Dann habt Ihr doch schon sehr viel erreicht, wenn der Hund sich dann doch getraut hat, sich Euch zu öffnen.
: daß er einfach eine negative Grundeinstellung hat gegenüber Artgenossen (er zeigt auch ohne Leine ein Verhalten, das nicht ganz in Ordnung ist).
Ich schätze, wenn auch aus der Ferne, dass er nicht grundsätzlich negativ gegenüber Artgenossen eingestellt ist, sondern dass er sehr unsicher ist. Ich habe meinem Fundhund systematisch geholfen, spielen zu lernen, indem ich erstmal selbst mit ihm gerauft und gerangelt und getobt habe, anfangs natürlich sehr behutsam, aber mit der Zeit hat er mir gezeigt, dass es wilder zugehen darf.
: Aber jetzt endlich zur Leinenagression. Ich war anfangs mit Jonas auf dem Hundeplatz, der mir allerdings nicht zugesagt hat. Methode dort war die übliche: ein Leinenruck zur rechten Zeit, viel brüllen und am Hund rumzerren. Nach kurzer Zeit wollte Jonas nicht mehr auf den Platz, alles, was er von dort mitgenommen hat, ist, wie man sich an der Leine gegenüber seinen Kollegen so richtig ins Zeug legt.
Weiser Hund, Dein Jonas, und weise von Dir, dass Du auf ihn gehört hast und dort nicht mehr hingegangen bist.
: Nach langer Zeit war der nächst Versuch, das Problem zu lösen, das Halti.Jonas haßt das Halti, er geht lieber nicht gassi, als das Halti zu tragen, muß er es aber trotzdem, ist er natürlich von vornherein schlecht gelaunt, außerdem hat Jonas den Bogen raus, wie man auch mit Halti ziehen und "dicke Arme machen" kann, war also auch kein Erfolg.
Verstehe ich gut, wenn mir jemand als Verglich eine Ring durch die Nase ziehen und mich daran festhalten wollte, würde ich auch "abschalten".
: Mit langer Leine und Geschirr loszuziehen, traue ich mir nicht zu, ich habe dann das Gefühl, den Hund nicht unter Kontrolle zu haben.
Laß das Vertrauen in Deinen Hund wachsen, dann wächst auch das Vertrauen Deines Hundes in dich. mit Bauchgurt hast du mehr Halt, und mit kurzer Leine "bewaffnet" fehlt Jonas jede Fluchtmöglichkeit, es bleibt ihm also nur die Selbstverteidigungsagression.
: Bei Hundebegegnungen verhält Jonas sich sehr variabel, er zeigt eigentlich alle Abstufungen zwischen ruhig vorbei (heißt, alle Pfoten auf der Erde statt an meinen Schienbeinen, kein Bellen, kein Knurren) bis zum völligen ausflippen, wo es dann nicht möglich ist überhaupt irgendwie auf den Hund einzuwirken, sondern nur noch darum geht, den Kerl irgendwie festzuhalten.
Zum Thema Leinenagression gibt es hier auch schon viele Postings, Martin hat eine klasse Strategie mit seinem Hund Mirko beschrieben. Ansonsten gibt es dazu auch gute Einträge unter www.clicker.de im Forum unter Problemverhalten.
Am Geschirr kannst Du Jonas festhalten, ohne ihn immer wieder zu traumatisieren. Finde heraus, welche Arten von Hunden er nicht leiden kann, finde seine Individualdistanz heraus, und die haltet Ihr dann erstmal ein. Kommt unverhofft doch ein "Erzfeind" um die Ecke, dann tue so, als sei der andere Hund gar nicht da, lege einen Sprint in die entgegengesetzte Richtung ein und locke Jonas mit.
Im Forum gibt es auch Hilfen, wie Du den Blickkontakt zu dir festigen kannst, ich weiß die Daten nicht, habe aber etwas dazu gesehen, blätter einfach mal durch...
: In wirklich ruhiger Stimmung ist Jonas dabei nie. Ob der andere Hund ruhig ist oder nicht, männl. oder weibl., groß oder klein, spielt eigentlich keine Rolle, höchstens noch welche Laune Jonas hat und wie ich mich fühle...
Mit dem letzten Punkt hast Du den Nagel auf den Kopf getroffen. Hunde leben viel durch Stimmungsübertragung aus. Ist der Leithund Mensch ruhig und locker, ist es der Hund auch eher, ist der Leithund Mensch angespannt, überträgt sich das auf den Hund, das beobachte ich täglich wieder.
: C gibt es, wenn Jonas von dem anderen Hund wegschaut oder besser noch, mich anschaut und noch nicht pumpt wie ein Maikäfer, auf B legt er dann aber oft keinen Wert mehr- manchmal funktioniert es aber auch, ich kann nicht sagen, ob ich dann irgendwas anders mache.
Wenn er auf B in Form von Leckerli keinen Wert legt, ist er wahrscheinlich zu aufgeregt, um Leckerli zu nehmen, das B wird dann für ihn darin bestehen, dass Du Dich mit ihm wieder aus der Situation entfernst. Vielleicht gibt es ja auch andere B, Spielzeug...
: Irgendwie habe ich den verdacht, daß mein hund einfach Spaß an seinem Theater hat und frei Schnauze entscheidet, was ihm gerade genehmer ist: Toben oder Futter nach dem C.
Wenn er oft erfahren hat, dass das C kommt, obwohl er danach wieder lostobt, würde ich nur dann clicken, wenn Du sicher bist, dass er danach ruhig bleibt. Wie geschrieben, Ferndiagnosen sind schwierig, aber ich gehe immer erstmal von unsicherheit und Selbstverteidigungsagression aus, bevor ich Dominanz vermute.
Ein gutes Buch zu dem Thema gibt es, um dem Hund zu mehr Entspannung und Freiheit von Angst zu verhelfen, der Titel lautet "Gestörter Hund, was nun?" von Urs Brehm. Es kostet knapp 40 DM, eine Investition, die sich lohnt. Wenn Jonas mal an den falschen Hund gerät, wird die Tierarztrechnung garantiert teurer.
Und da Du mit C+B mit Jonas arbeitest, ist es eine gute Ergänzung auf dem Weg der positiven Bestärkung.
Und zu Deiner Entspannung würde ich raten, erstmal die großen auslastungsrunden dort abzuhalten, wo ihr wenige bis keine Hunde trefft, als ich meinen Hund "frisch gefunden" hatte, war er wesentlich lockerer bei hundekontakten, wenn er sich vorher 2 Stunden austoben konnte, und die 4 Stunden "Action" am tag haben wir beibehalten, die meiste Spannung baut sich halt bei caniden Laufraubtieren durch Bewewgung ab.
Ich drücke Euch beiden ganz fest die Daumen
Herzliche Grüße von Helke und dem ehemals sehr agressiven und nun nur noch mit einigen wenigen "Erzfeinden" im Clinch liegenden Lorbas