Hallo Marion,
zunächst kann ich mal Doris komplett zustimmen. Solch komplexe Probleme kann man online nur sehr schwer einschätzen, schon allein deshalb, weil man, um eine Idee zu bekommen, was die Motivation des Hundes für das Verhalten ist, wann er welche Anzeichen zeigt, wie der Halter reagiert, etc. das Hund/Halter-Gespann sehen muss. Ein paar Einzelstunden bei einem guten Hundetrainer/in oder Verhaltenstherapeuten/in sind da tatsächlich meist am besten.
Hinzu kommt, dass es gerade bei Leinenaggression viele Möglichkeiten gibt, Alternativverhalten zu trainieren bzw. das ruhige Verhalten zu belohnen, aber keine Non-Plus-Ultra-Methode, die bei jedem Hund funktioniert. Zum einen ist die Auswahl der Therapie je nach Motivation unterschiedlich, zum anderen ist es schlicht Ausprobieren und schauen was hilft und was nicht. Wobei es hier auch wieder Abstufungen gibt, denn gerade bei so fest eingefahrenen Verhalten dauert es häufig lange, bis man wirklich gravierende Fortschritte erreicht.
Aber trotzdem noch einige Antworten auf deine konkreten Fragen:
: - verstärkt die gestraffte Leine denn nicht doch das Aggressionsverhalten?
Jein. So wie ich deine Antwort an Helmuth verstanden habe, führst du deinen Hund am Geschirr. Dann wird die Aggression normalerweise nicht verstärkt. Sie wird verstärkt, wenn durch den Zug am Hals (also beim Führen am Halsband) die Luft knapp wird und der Hund dadurch zunehmend in Panik gerät.
: - Sollte ich vorläufig dies nur üben, mit Rüden, die sich neutral verhalten?
Ja, im Prinzip schon, aber man kann sich ja im wirklichen Leben nicht aussuchen, wem man begegnet. Aber man muss sich im Klaren darüber sein, dass der Hund viel heftiger reagiert, wenn der Gegenüber auch 'rumpöbelt.
Bei vielen Hunden ist es allerdings sehr schlecht, irgendwelche statischen Dinge (stehenbleiben, sitzen oder liegen lassen) zu versuchen, da sie hierbei leicht in zunehmende Frustration kommen können, zum anderen haben sie alle Zeit der Welt, sich auf ihr Gegenüber "einzuschießen". Das Stehenbleiben hat oft nur Sinn in Übungssituationen, wo der entgegenkommende Hund ein eingeweihter "Statist" ist und ebenfalls so lange ruhig! stehenbleibt, bis der eigene Hund ruhig ist und sich erst dann entfernt. Fängt der eigene Hund dann wieder an, bleibt der andere wieder stehen(damit der eigene lernt, durch pöbeln geht der andere Hund nicht weg, nur durch ruhigsein)(Aber einen entsprechend ignoranten Sparings-Partner muss man erstmal finden). Im "Real-Life" geht der andere Halter mit seinem Hund ja für gewöhnlich weg und dein Hund hat genau das, was er wollte: Er hat den anderen Hund vertrieben.
In diesem Fall ist das Ignorieren in der Art, das man den eigenen Hund gar nicht beachtet sondern einfach weitergeht und ihn mitnimmt wesentlich besser. Und nur, wenn das kräftemäßig ein Problem ist, würde ich das Halti nehmen. Wenn du unbeeindruckt weitergehen kannst und den Hund mitziehen, ohne dass es in einen Kampf ausartet, bleib ruhig beim Geschirr. Dann bringt das Halti keinen Vorteil. Das das Halti zum Blickkontakt mit dem Besitzer durch 'rumführen des Kopfes oder sogar zum Unterbrechen des Verhaltens führt, halte ich persönlich für Unsinn, mein Hund kann seinen Kopf auch mit Halti wunderbar gerade halten. Und um so daran zu reißen, dass man den Kopf vielleicht 'rumgerissen bekommt, ist ein Halti nicht gedacht.
: Bin etwas ratlos, da wir uns ja schon so weit vor gearbeitet (in Richtung anderen Rüden) haben (früher hat er sich schon über einen Hund am weiten Horizont aufgeregt) und nur diese "Hinterhaltsmacke" nicht abzustellen ist.
Hast du schonmal daran gedacht, dass du einfach aus dem Verhalten "aus weiter Entfernung pöbeln" das Alternativverhalten "abliegen und aus dem Hinterhalt angreifen" gemacht hast, und sich an der Intention und Motivation des Hundes bisher noch überhaupt nichts geändert hat? Ich glaube, noch einmal einen völlig anderen Weg einzuschlagen wäre sehr sinnvoll. Zumal ich Helmuth recht gebe, hinlegen ist wirklich das schlechteste Alternativverhalten, da es Stress nicht abbaut, sondern in Situationen, wo man lieber weglaufen bzw. angreifen will, Stress aufbaut.
Ich denke, eine Beratung bei einem guten Trainer, wäre wirklich das beste für euch beide.
Viele Grüße
Susanne