Willkommen! Anmelden Ein neues Profil erzeugen

Erweiterte Suche

Operante Konditionierung für Menschen?

geschrieben von Katrin+Vlin(YCH) 
Operante Konditionierung für Menschen?
29. Januar 2000 17:58

Hallo Clicker-Experten,

bei meinem neuesten Anliegen dreht es sich zwar nicht um Hunde, aber vielleicht hat doch der eine / die andere eine Idee.

Also es ist so: ich habe Schwierigkeiten bei einer meiner Schulklassen. Es handelt sich um 18 Jungen und 4 Mädchen, ca. 15-16 Jahre alt (9. Klasse Gymnasium). Die Klasse ist insgesamt sehr unruhig, zwar ganz nett und in meinem Fach Französisch auch ganz gut, aber wahnsinnig anstrengend. Ich habe wohl zu Anfang des Schuljahres den Fehler gemacht, nicht "streng" genug mit Strafen und so aufzutreten (das liegt mir nämlich nicht so), und jetzt habe ich sozusagen den Salat, dass während des Unterrichts immer ein gewisser Geräuschpegel herrscht, der mich sehr stört.

Meine Frage: könntet ihr euch vorstellen, da mit operanter Konditionierung was zu erreichen? Wenn ja, was und wie? Gestern (freitags ist es immer besonders schlimm) habe ich mich, als es mir zu dumm wurde, einfach wortlos auf einen Stuhl gesetzt und an die Decke gestarrt ("unerwünschtes Verhalten ignorieren"winking smiley. Erst als absolute Stille im Raum herrschte, habe ich den Unterricht fortgesetzt. Das kann aber Minuten dauern, und ich habe die Befürchtung, dass die Schüler, sobald sie merken, dass ihnen nichts passiert, diese Zeit dann beliebig für Privatgespräche und andere Aktivitäten ausdehnen.

Hat jemand eine Idee?

Grüße
Katrin + Vlin (den es diesmal aber nichts angeht)


30. Januar 2000 15:30

Ich würde den Schüler klar machen, dass jeder für seine eigene Zukunft in der Klasse ist und dass sie die Zeit nützen sollen zum arbeiten. Wenn jemand mit einem Kameraden ein privates Gespräch führen will, so solle er mit seinem Kollege, während dem Unterricht das Zimmer verlassen und sich mit diesem ausdiskutieren. Du verlangst, dass man im Zimmer ruhig ist, für die die was lernen wollen, aber Du verlangst nicht, dass man aktiv am Unterricht teilnehmen muss. Jeder der später gut vorbereidet sein will, für die Zukunft, dem versuchst Du zu helfen, die anderen sollen es sein lassen.

Oder Du kannst ja auch mal ein Tonbandgerät mitnehmen und den Geräuschepegel aufnehmen, so dass es die Schüler nicht merken. Danach lässt Du dass Tonband eine Viertelstunde sehr laut laufen und machst den Schülern klar, dass das sehr nervend sein kann, wenn man nicht selber in ein Gespräch verwickelt ist.
Gruss Kurt


31. Januar 2000 10:06

Hallo Katrin,

die Methoden, die Karen Pryor für lärmende Kinder im Auto beschreibt könnten hilfreich sein.
Das Ignorieren halte ich in Deinem Fall nicht für sinnvoll (jedenfalls nicht auf Dauer), da ich Lärmen und Quatschen für selbstbestärkend halte, dagegen hast Du keine Chance. Die Lehrer, die so etwas in meiner Klasse (früher...seufz) probiert haben, sind damit jedenfalls voll aufgelaufen.
Lärmen unter Signalkontrolle zu bringen (jetzt machen wir alle mal für fünf Minuten so viel Radau, wie es geht - vielleicht umliegende Lehrer vorwarnen ;o)) könnte erfolgreicher sein.
Vielleicht ist es auch möglich, kurze Momente der Ruhe zu bestärken, durch ein kurzes Spiel o.ä., je nachdem, wofür "die Süßen" zugänglich sind.
Eine "stille Zeit", die Du so aufgebaut hast, wird dann über ein Zeitfenster verlängerbar sein, wobei ich nicht denke, daß Du die Schüler für jede Stunde ruhig kriegst. Am Freitag ist die beste Bestärkung wahrscheinlich minimierte oder keine Hausaufgaben übers Wochenende...smiling smiley

Viel Glück und gute Nerven!
(Bloß gut, daß ich immer nur ein Kind auf einmal unterrichten muß!)
Juliane + MC

31. Januar 2000 12:06


Grüß Dich Katrin,

das problem ist gut bekannt.

: Also es ist so: ich habe Schwierigkeiten bei einer meiner Schulklassen. Es handelt sich um 18 Jungen und 4 Mädchen, ca. 15-16 Jahre alt (9. Klasse Gymnasium). Die Klasse ist insgesamt sehr unruhig, zwar ganz nett und in meinem Fach Französisch auch ganz gut, aber wahnsinnig anstrengend.

Du kannst versuchen mit dem Premack-Prinzip zu arbeiten: selteneres verhalten wird durch häufiges verhalten bestärkt. Im klartext, wenn die klasse einige zeit sehr ruhig war und erste schwache anzeichen für aufkommende unruhe da ist, sagtst du etwa "Ihr wart eben wirklich großartig und könnt mal eben miteinander ungezwungen reden, ich muss gerade einmal etwas in meiner tasche suchen."

Dann wird es kurz sehr heftig werden und wenn sich das gelegt hat, heißt es etwas "Prima, jetzt können wir uns wieder konzentrieren!".

Den text kannst du von mal zu mal variieren. Wenn du etwa 5 - 7 minuten vom unterricht bewußt dafür opferst wirst du wahrscheinlich erfolg haben:
- weil es als bestärkung funktioniert (habe das mit studenten und mit kindergartenkindern ausprobiert. Es ist auch in den 50er/60er jahren als wiss.veröffentlichung erschienen.)
- weil du es bewusst tust, ärgerst du dich nicht. Die schüler bemerken, dass sie jetzt keinen einfluss, keine macht über dich haben. Das wirkt so wie ignorieren nur überzeugender, weil sie die absicht nicht erkennen.
Aber du darfst ihnen NIE sagen, dass du versuchst, sie auf diese art zu lenken.
Mich würde deine erfahrung nach etwa einer woche interessieren. Kannst du sie mitteilen?

tschüß martin & mirko










31. Januar 2000 19:17

Hallo Martin und ihr anderen,

zunächst vielen Dank für eure Antworten!

: Du kannst versuchen mit dem Premack-Prinzip zu arbeiten: selteneres verhalten wird durch häufiges verhalten bestärkt. Im klartext, wenn die klasse einige zeit sehr ruhig war und erste schwache anzeichen für aufkommende unruhe da ist, sagtst du etwa "Ihr wart eben wirklich großartig und könnt mal eben miteinander ungezwungen reden, ich muss gerade einmal etwas in meiner tasche suchen."
:
: Dann wird es kurz sehr heftig werden und wenn sich das gelegt hat, heißt es etwas "Prima, jetzt können wir uns wieder konzentrieren!".

Besteht da nicht die Gefahr, dass die das ausnutzen und sich das "Heftige" auch dann nicht legt, wenn ich mit "Suchen" eigentlich schon lange fertig bin?

: Den text kannst du von mal zu mal variieren. Wenn du etwa 5 - 7 minuten vom unterricht bewußt dafür opferst wirst du wahrscheinlich erfolg haben:

Mit meinen Ermahnungen und Donnerwettern :-( geht ja auch ganz schön viel Zeit drauf. An Zeit mangelt es nicht.

: - weil es als bestärkung funktioniert (habe das mit studenten und mit kindergartenkindern ausprobiert. Es ist auch in den 50er/60er jahren als wiss.veröffentlichung erschienen.)
: - weil du es bewusst tust, ärgerst du dich nicht. Die schüler bemerken, dass sie jetzt keinen einfluss, keine macht über dich haben. Das wirkt so wie ignorieren nur überzeugender, weil sie die absicht nicht erkennen.

Ach so!! Jetzt kapiere ich! :-)

: Aber du darfst ihnen NIE sagen, dass du versuchst, sie auf diese art zu lenken.
: Mich würde deine erfahrung nach etwa einer woche interessieren. Kannst du sie mitteilen?

Das kann ich gern tun. Vielleicht dauert es auch etwas länger. Die Arbeitshaltung in der Klasse ist immer stark abhängig von der Tageszeit, und da von 4 Wochenstunden zwei ungünstig liegen (d.h. am späten Vormittag) und diese Woche auch noch eine Stunde ausfällt, weiß ich noch nicht, wann ich davon berichten kann.
Schließlich muss ich mich auch erst einmal daran gewöhnen...seltsam: bei meinem Hund ist mir das inzwischen sozusagen "in Fleisch und Blut" übergegangen, was ich tun muss, um ein erwünschtes Verhalten zu "formen", aber hier sehe ich quasi den Wald vor Bäumen nicht!

Ich hatte eher in die Richtung überlegt: ich gebe zu Beginn der Stunde einen "advance organizer", also eine Liste, was heute alles erledigt werden soll, und je schneller wir sind, d.h. je besser und konzentrierter die Schüler mitarbeiten, um so weniger Arbeit bleibt für die Hausaufgaben übrig. Was haltet ihr davon?

Grüße
Katrin

31. Januar 2000 21:15

Hallo Martin, Katrin und die Anderen,

sehr interessantes Thema und gerade deshalb, weil wir schneller in der Lage sind oder eher bereitwilliger(?) operantes Verhalten im Umgang mit Vierbeinern als mit den uns umgebenden Zweibeinern zu "pflegen".

Ich glaube, daß die Sprache(das gesprochene Wort besonders) im Umgang mit Menschen, besonders mit Menschengruppen(Familie, Arbeitskollegen, Angestellte, Schüler usw.)mittlerweile zum Hindernis geworden ist, sie kann den technischen Fortschritt, die Schnellebigkeit nicht mehr ausgleichen, auch Sprache ist schneller und kürzer geworden, dazu kommen aufgrund unseres aufrechten Ganges noch zahlreiche überflüssige Bewegunsgmuster unser oberen Extremitäten hinzu, die, so habe ich manchal den Eindruck, neben Nahrungsaufnahme und einigen anderen existentiellen Verrichtungen, lediglich noch dazu da sind, menschliche Unsicherheiten auszudrücken, zu überdecken, wegzuwischen, die verbale Kommunikation zusätzlich zu banalisieren und
die Konzentration auf das Wesentliche verloren gehen zu lassen. Der Umgang mit unseren Hunden zeigt uns eigentlich, wie sich Kompetenz verhaltensbestimmend auswirkt. Also:
halten wir unsere verbale Oppulenz, ebenfalls unsere Emotionsschwankungen im Zaum, wenn es darum geht, die alltäglichen Anforderungen im Zusammenwirken mit Wesen der gleichen Spezies erfolgreich zu überstehen.
Gerade im Umgang mit Jugendlichen(meine Hunde haben mir gezeigt , wie ich mit meinem halbstarken Sohn umzugehen haben, wenn ich nicht nur Widerstand und Widerspruch ernten will- merkwürdig, dass mancher erst über den Umweg durchs Tierreich Erkenntnisse über menschliches Verhalten in der Praxis umsetzen lernt...) ist es außerordentlich wichtig, dass man als Teacher nicht permanent Schwächen zeigt. Ermahnungen, Gängeleien, Drohungen, Strafdurchführungen, mannigfaltige verbale Einflußnahmen(monologisierende) sind IMMER ein Ausdruck von Schwäche.
Auch hier heißt es deeskalieren.
Katrin, beobachte Dich doch mal, eventuell kannst Du sogar mal ganz offen eine Videokamera aufstellen. Den Schülern mußt Du nicht sagen, dass Du Dich sehen willst, sondern mal Bewegungen, Geräusche, Rhythmus so einer Unterrichtsstunde aufnehmen möchtest, das können sie sich auch ansehen und darüber diskutieren(auch wenn sie dann wohl vornehmlich kichern, anfangs).
Zeig ihnen die unterschiedliche Bedeutung der Sprache(hier der französischen) im Zusammenhang mit Stimmlage, Körperhaltung, Gesten, sie können es selbst ausprobieren, wenn sie Aufmerksamkeit zeigen. Sie werden dafür mit einem Interessanten Unterricht belohnt. Das müssen sie halt erkennen lernen.

Reduziere Deine Gesten, Deine gesamte Kommunikation unbedingt auf das Wesentliche, arbeite mit Wechsel Deines Sprachrhythmusses, der Lautstärke der Stimme, wechsel Deine räumliche Position spontan aber beiläufig, schau den Schülern ins Gesicht, freundlich, offen, vermittle auch Leistungsforderungen- das auch eher beiläufig.
Den Vorschlag, den Martin gemacht hat,finde ich gut, aber wie beim Hund solltest Du bei diesen Geistern mit der Bestärkung schon kommen, wenn sie noch ganz still sind, BEVOR die erste Unruhe auftritt, das wirkt wie ein Jackpot beim ersten Mal- ganz sicher. Bei den Jugendlichen mußt Du sehr variabel sein, das ist wichtig, sie sollen Dich nicht unbedingt vorhersehen können, Dein Prinzip ruhig kennen, aber nicht die genauen Zeitabläufe. Sie werden Dich beobachten wie die Luxe, schon dadurch wird es ruhiger, das ist dann die erste Stufe, auf der Du dieses freiwillig gezeigte Verhalten durch eine Abwechslung bestärken kannst. Kündige Belohnungen niemals an( so etwa: wenn ihr jetzt viel arbeitet , gibt es wenig Hausaufgaben) da erlahmt die Motivation sehr schnell. Da nehmen sie lieber die Hausaufgaben in kauf, die sie dann ohnehin nicht machen oder kurz vor Unterrichtsbeginn vom Primus abschreiben.
Also zeig Dich in jeder Hinsicht kompetent, konditioniere vielleicht auch eine Strafe: beispielsweise kannst Du sie recht leise dazu auffordern, wenn der Pegel noch erträglich ist, jetzt eine Leistungskontrolle zu schreiben, das braucht etwas Fingerspitzengefühl und Du mußt da an so einem Tag sehr gut drauf sein, es liegt auch an Dir, ob Du sie dann bewertest oder nicht(das wäre schon wieder ein Jackpot!)
Jedenfalls würde ich Aufmerksamkeit und Ruhe im Unterricht verstärken und bei den Zweibeinern eventuell schnell zu variabler Verstärkung übergehen.

Wie gesagt, setz Deine Mittel der Verstärkung und des Abbruchs auch bei den Schülern sehr präzise ein. Reduziere Dich zunächst auf das Wesentliche, wozu aus meiner Sicht immer Freundlichkeit und Achtung vor dem Schüler neben der eigenen Kompetenz gehört.
Sei interresant-nicht schwatzhaft, sei konsequent-nicht zornig, freundlich-aber nicht anbiedernd.
HALTE IHNEN DAS LECKERCHEN NICHT DIREKT VOR DIE NASE!!!

Natürlich hast Du es als Französischlehrerin nicht leicht, ich kenne kaum einen Gymnasiasten, der dieses Fach liebt. Mein Sohn konnte es überhaupt nicht leiden und hat es abgewählt nach der 10. Klasse, aber:
er fand die Lehrerin aus oben beschriebenen Gründen toll, den Unterricht nicht schlecht, aber die Sprache eben grausam- leider....


Also viel Glück, auch wenn die Ausführungen vielleicht ein wenig allgemein gehalten sind, aber ich denke das Konkrete mußt Du bei den Dir bekannten Schülern umsetzen- ganzheitlich- wie immer....


Herzliche Grüße


Carola


:
: