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Vorurteile in die Mottenkiste!

geschrieben von Reinhold + Ayko(YCH) 
Vorurteile in die Mottenkiste!
04. März 2000 12:34

Jürgen schrieb am 03.03.2000 11:49 im Thread "Ruhiges Warten clicken?"

: Du schreibst, dass Du durch Deine Autorität Rudelführer bist.
: Autorität und Gehorsam gehören doch zusammen, oder?

: Du bist für Deinen Hund keine Autorität.
: Du hast Deinem Hund beigebracht, dass er für alle Deine Forderungen
: positiv bestärkt wird. Du bestichst Deinen Hund!
: Du prostituierst Dich!



Hallo Jürgen,

Clickertraining ist in meinen Augen eine hervorragende Methode um Hunde (oder andere Tiere) zu erziehen und auszubilden. Durch meine Arbeit mit pos.op.Konditionierung und dem Clicker habe ich gelernt, dass ich nahezu alle Ausbildungsziele, die ich vorher mit Zuckerbrot und Peitsche erreicht habe, schneller und besser erreichen kann, wenn ich die Peitsche weglasse, bzw. so ausbilde, dass Absichern nicht mehr nötig ist.

Das magst du nun glauben oder nicht. Das ist mir egal. Ich (wie viele, viele andere in diesem Forum) gebe nur meine eigenen faszinierenden Erfahrungen mit dieser Methode weiter. Wenn Du das als Märchen oder Sektierertum oder Geldmacherei auffasst, ist das Deine Sache. Schade. Vor allem schade für die Zeit, die ich hier (unentgeltlich) an der Tastatur verbringe.

Wer sich mit dem nötigen Sachverstand in die Materie der pos.op.Konditionierung und in die Clickerregeln einarbeitet, der wird den Gedanken an Sektierertum ganz schnell verwerfen oder er dokumentiert, dass er die Materie nicht verstanden hat.

Deine obigen Vorurteile gegen das Clickertraining treffen so nicht zu. Sie zeigen mir, dass noch großer Informationsbedarf besteht. Clickertraining läuft immer in mehreren, verschiedenen, aufeinanderfolgenden Phasen ab. In einer anfänglichen Phase ist der Ausbilder in der Tat derjenige, der auf die Aktion des Hundes reagiert, aber nur weil er damit einen ganz bestimmten Zweck verfolgt. (rasche Wiederholungen des Erlernten, Aufbau der Motivation). Im Gegensatz zur Ausbildung mit der Peitsche, kannst Du hier Hunde erleben, die mit Begeisterung bei der Sache sind, weil sie selber agieren können und der Mensch darauf reagiert. Ist das verwerflich? Oder könntest Du das vielleicht auch als interessantes Spiel auffassen? Versuch doch einfach einmal das alles etwas lockerer zu sehen. Klar, Deine Bedenken muss man im Auge behalten. Das ist wichtig. Ich traue Dir aber zu, das richtige, das geeignete Maß zu finden. Lies mal hier im Forum nach unter dem Stichwort "Explorationsverhalten", "Exploration".

Ist der verfolgte Zweck (Wiederholungen, Motivationsaufbau) erreicht, dreht man schon beim Shapen, auf jeden Fall aber allerspätestens mit der Einführung des Signals den Spieß wieder um und der Hund wird zum Befehlsempfänger. Die Futterbelohnung wird während des Werdegangs einer neuen Übung systematisch bis auf ein absolutes Minimum abgebaut. Wenn das Ausbildungsziel erreicht ist, hast Du einen Hund, der auf Dein Signal hin zuverlässig und freudig gehorcht, auch - oder besser gesagt, gerade weil - er überhaupt nicht immer dafür belohnt wird. Bitte versenke dieses Vorurteil, dass ein Hund beim Clickertraining für alle meine Forderungen positiv bestärkt wird, ganz ganz schnell in der Mottenkiste. Das entspricht nämlich nicht den Regeln und wäre ein fatales Motivationsgrab. Darüber wurde hier im Forum schon viel berichtet.

Zu keinem Zeitpunkt hatte ich jemals den Eindruck, dass meine Autorität beim (oder durch das) Clickertraining irgendeine Einbuße erleidet. Ganz im Gegenteil. Beim Clickern erlebe ich einen Hund, der seine ungeteilte, freudige Aufmerksamkeit ganz dem schenkt, was ich von ihm will. Aber ich glaube, wir haben ziemlich unterschiedliche Vorstellungen von Autorität. Deine Frage:

: Autorität und Gehorsam gehören doch zusammen, oder?

zeigt mir das überdeutlich. Gehorsam entsteht beim Clickertraining durch ganz andere Mechanismen, als durch diejenigen, die Du immer präsent hast (Zwang, Absichern) und von denen Du glaubst, nicht ohne sie auszukommen. Clickertraining erfordert Umdenken ! Vorgefertigte Meinungen muss man auch mal über Bord werfen können um empfänglich für andere Gedanken zu werden.


:: Jede Art von Angst erzeugt ein schlechtes Arbeitsklima.
:: Nicht nur beim Menschen, auch beim Hund.

: Nun denke doch bitte mal um die Ecke.
: Natürlich haut im Arbeitsleben der Chef nicht auf den Kopf.
: Aber nehmen wir nicht jeden Tag Unanehmlichkeiten in Kauf,
: um unsere Arbeitsstelle zu behalten?

Sorry, wenn ich darauf nicht eingehe, ich möchte streng beim Thema Clickertraining bleiben:
Warum soll ich mir irgendwelche Unanehmlichkeiten mit in die Hundeausbildung nehmen? Es geht nämlich auch anders. Clickertraining erfordert eine gedankliche Vorbereitung: Was will ich heute erreichen und wie kann ich das erreichen ohne zu Druckmitteln oder gar Strafen zu greifen? Das ist eine tägliche Denksportaufgabe, die meist für jeden Hund individuell gelöst werden muss. Dann kommt die tägliche Praxis: Die Peitsche bleibt zuhause. Eingepackt werden gute Laune, Leckerchen, Spielzeuge als MOs und der Clicker. Clickertraining läuft ab wie ein Spiel. Es herrscht ein hervorragendes Arbeitsklima, das nicht durch irgendwelche Einschüchterungen, Gebrüll oder Strafen gestört wird.

:: Wie bringt der Leitwolf seinem Nachwuchs das Jagen bei?
:: Mit dem Schnauzgriff oder mit Teletakt?

: Aber Reinhold, ich spreche von negativen Einwirkungen, mit denen ich
: meinem Hund erkläre, dass ich dieses oder jenes NICHT möchte.

Fallen Dir dazu nur negative Einwirkungen ein???

Als Clickertrainer verzichtet man freiwillig auf negative Einwirkungen, man verzichtet darauf, einem Hund durch negative Einwirkung etwas "erklären" zu wollen. Clickertraining lebt von der Erkenntnis, dass man mit Bestätigungen dem Hund besser "erklären" kann, wann man von ihm will. Für jedes unerwünschte Verhalten sucht man nach einem unvereinbaren, erwünschten Verhalten. Das erfordert Fantasie und Zielstrebigkeit, aber das Ziel läßt sich durch pos.op.Kond. erreichen: Das unerwünschte Verhalten verschwindet zwangsläufig durch das Bestärken eines erwünschten Verhaltens.

So ersetzt man beim Clickern durch entsprechende menschliche Intelligenz, Fantasie und Raffinesse unerwünschtes Verhalten durch erwünschtes. Das ist oft eine anspruchsvolle Denksportaufgabe (so wie die, die Birgit Laser uns mit dem singenden Jagdterrier aufgegeben hat).
Schade, dass das alles f´ür Dich nur eine Märchenwelt ist. Ich meine,es lohnt sich manchmal mit offenen Augen über den eigenen Tellerrand zu gucken oder seine eigenen Hemmschwellen ganz einfach abzulegen.

Strafen, Einschüchterungen, Verbote hemmen oder blockieren das Lernvermögen.



: Mein Hund ist z.B. sehr freundlich und will jede Person anspringen.
: Jetzt kann ich mir einen Wolf clicken, oder ich erkläre ihm, dass ich
: als Rudelführer das verbiete (Stimme oder Schnauzengriff).

: Du hast mir bisher nicht erklären können, was daran so verwerflich ist.
: In jedem Rudel, welches ich beobachten konnte, habe ich "schlimmere"
: Einwirkungen gesehen, als ich sie mache.

Ich will nicht das, was ich in einer Wolfsmeute (im Tierpark mit Käfigwölfen) zwischen Wölfen beobachtet habe, auf das Verhältnis zwischen meinem Hund und mir übertragen. Ich will das nicht!!!! Aus, fertig ! Ende dieser Diskussion. Es gibt bessere Methoden, wie ich als Mensch mit meinem Hund zurecht komme. Ich muß mich doch nicht krampfhaft an dem orientieren, was Wölfe mit Wölfen machen. Ich bin ein vernunftbegabtes Wesen und möchte mit Vernunft handeln, also agiere ich anders als ein Leitwolf.

Ich will Dir auch sehr gerne erklären, was ich an Deinem konkreten Beispiel verwerflich finde: Du hast - genauso wie ich - einen freundlichen Hund. Das finde ich toll. Zeigt er aber seine Freude an fremden Menschen, dann bestrafst Du ihn. Das finde ich verwerflich. Warum soll er seine Freude nicht zeigen dürfen? Ist das nicht frustrierend für ein Tier, wenn es für seine Freudenäußerung bestraft wird? Würde ich das machen, würdest Du mich garantiert für verrückt erklären. Wieviel verkorkste Hunde braucht es noch, bis wir umdenken? Seine Freude soll er / darf er zeigen. Hochspringen soll er nicht! Fällt Dir dazu nur ein Verbot ein? Schade. Mir fällt mehr ein.

Deine Aufgabe wäre es, Deinem Hund von Anfang an *ohne* Strafen beizubringen, wie er seine Freude Fremden gegenüber zum Ausdruck bringen kann, ohne hochzuspringen. DAS verstehe ich unter Erziehung. Alles andere nenne ich Verkorksen eines Hundes.

Die Lösung ist einfach und Du kennst sie. Sie funktioniert ohne negative Einwirkungen. Es geht schneller als Du denkst.

: Jetzt kann ich mir einen Wolf clicken.......

Diese innere Einstellung ist Dein Hemmschuh, den Du vermutlich leicht ablegen könntest.


:: Klar mag ein solcher Reiz verstaerlend wirken, aber er wurde nicht
:: zwangslaeufig so eingesetzt. Wie also wollte jemand alle neg. Reize
:: eliminieren? Das behauptet niemand zu koennen, ich glaube nicht mal
:: zu wollen.

: Doch, Reinhold, wenn ich ihn richtig verstanden habe.

Lieber Jürgen, ich bin oft 24 Stunden am Tag mit meinem Hund zusammen. Cirka 3 mal 5 Minuten am Tag betreibe ich mit ihm Clickertraining. Das ist gerade mal 1% der Zeit. Innerhalb des Clickertrainings lehne ich (gemäß den Clicker-Regeln) jede negative Einwirkung auf den Hund ab. Nicht einmal angefaßt wird er ! Daraus den Schluß zu ziehen, dass ich generell negative Einwirkungen auf den Hund ablehne, halte ich für absurd. Auch dieses Vorurteil gehört in die Mottenkiste.

Aber auch die restlichen 23 Stunden 45 Minuten erziehe ich meinen Hund lieber mit Köpfchen, als mit der Peitsche, laufe aber deshalb noch lange nicht mit einem Heiligenschein durch die Gegend. Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch und durchaus mal sehr impulsiv dem Hund und auch meinen Kindern gegenüber. Aber wenn ich mir dann meine Aktionen nachträglich nochmals gründlich durch den Kopf gehen lasse, dann fällt mir meist ein, dass es auch anders ---, besser(!!!) ---, gegangen wäre. Dann ärgere ich mich über mich selbst. Ich glaube darin unterscheiden wir uns auch.

Wenn ich Deine letzten Beiträge lese, dann denke ich, sind wir gar nicht soweit auseinander, reden bloß immer an einander vorbei. Du legst Wert auf "Absichern", wir legen Wert auf richtiges "Ausbilden".

Viele Grüße
aus dem Wilden Südwesten
Reinhold + Ayko



08. März 2000 06:30

Hallo Reinhold!

Ich bin in diesem Zusammenhang gerade evor ein paar Tagen nochmal auf eine interessante Stelle von Turid Rugaas gestossen:

Sie schreibt: Hunde sind Konfliktlöser, sie beugen Konflikten vor. Indem wir ständig Konflikte erschaffen zeigen wir nur, was für ein schwacher Leithund wir sind.

Das ergibt keine Autorität, sondern wir zeigen, dass wir mit einer Situation als Leithund völlig überfordert sind (z.B. Hund springt Spaziergänger an und ich schreie rum, was eh nichts bringt!)
Ich kann dir nur beipflichten: Ich habe einen Crossover-Hund und einen von anfang an "geclickten" Hund. Mit der Kurzen gibt es viele Probleme überhaupt nicht, weil sie nicht durch die Grenzen des Zwangs ihren Spielraum so ausloten konnte wie der Große. Der weiß genau, wann Zwang greift und wann nicht. Und er wäre ja schön dösig, wenn er sich diese Spielräume nicht immer schön ein- und ausgebaut hätte!

Tschüssi, Kirstin