Hallo Cindy,
ich hätte nichts gegen gegen privaten Austausch, ich stelle meine Antwort aber doch noch mal hier rein, weil die "Trickfrage" ja schon irgendwie zum Thema gehört und ich bisher auf meine doch eher pauschal formulierte Ablehnung eine Erklärung schuldig geblieben bin.
Wie in vielen anderen Fragen auch ist meine Einstellung zum Thema "Tricks" aus verschiedenen Komponenten zusammengemischt. Ich werde mal versuchen, das aufzudröseln :-).
Ich bin nicht grundsätzlich gegen das Lernen von Tricks. Was mir nicht gefällt, ist der Hype, der darum gemacht wird (nicht von den meisten Leuten, mit denen ich mich hier im Forum auseinandergesetzt habe, sondern allgemein). Ich bekomme in Gesprächen mit Interessierten immer mehr den Eindruck, dass Hunde zunehmend weniger nach ihren Gesamteigenschaften ausgewählt werden sondern nach ihrem "Trickpotential" oder ihrer daraus abgeleiteten "Intelligenz". Der Border bei Günther Jauch hat seinen Rassegenossen ganz sicher keinen Gefallen getan, ich kenne nicht wenige, die jetzt ohne Aufgabe bei ihren Leuten versauern (zum Teil haben selbst die das eingesehen, dass sie ihrem Hund nicht genug bieten können (oder wollen)). Ich weiss auch, dass das Thema Modehunde kein neues ist (Dalmatiner, Collies und was nicht alles schon hat dran glauben müssen). Für mich heizt aber eine (nach meinem Empfinden) übermässige Betonung von Tricklernen diese Unsitte mit an.
Auch wenn man sich der „natürlichen Verhaltensweisen“ von Hunden als Trickvorlage bedient, vielen ist gar nicht bewusst, dass die Verhaltensweisen der Hunde ja in einem sozialen Kontext stehen. Ein einfaches und lang verbreitetes Beispiel ist das Pfötchen geben. Im Kontext von Hundesozialverhalten wird das als Beschwichtigungsgeste eingesetzt. Achtet mal darauf, viele Hunde sehen beim Pfötchen geben auch gar nicht glücklich aus, sondern lassen die Ohren in Demutsgebärde hängen. Mir bleibt die Freude an einer „Erziehungsleistung“ im Hals stecken, wenn ich das sehe: Ich kann mich nicht darüber freuen, meinen Hund „zum Spass“ zur Unterwerfung zu bewegen. (Nicht gleich drauf los stürmen, ich schildere meine Erfahrungen, das heißt nicht, so ist es ausnahmslos und ihr macht das so!)
Ich empfinde es so, dass die Fixierung auf Tricks den Blick auf das vom Hund selbst initiierte Verhalten verstellt (Bei mir tat sie das!). Anstatt das Verhalten des Hundes, das auf den ersten Blick oft nicht so leicht erkennbar ist, zu beobachten und zu versuchen, es zu entschlüsseln (Was eine hochspannende und interessante Aufgabe ist), wird die Aufmerksamkeit auf vordergründige, für den Hund an sich bedeutungslose „Vorführungen“ gerichtet.
Ich will mal erzählen, wie ich dazu gekommen bin, auf Tricks gänzlich zu verzichten: Meine Hündin Sunny habe ich mit 13 Wochen aus einer schlechten Haltung bekommen, sie war Menschen gegenüber sehr scheu und zurückhaltend und litt obendrein, wie wir nach einer dreimonatigen Odyssee zu Tierärzten herausbekommen haben, an einer Hüftgelenksentzündung, die sie in ihrer Entwicklung natürlich massiv behinderte. Trotz ihrer Scheue hing sie aber von Anfang an wie ein Schatten an mir, nur eben ihrerseits auf (räumliche) Distanz. Von Anfang an war sie geradezu gespenstisch gehorsam. Ich hatte nicht selten den Eindruck, dass sie hat die meisten Kommandos schon ausführt, bevor ich sie ausgesprochen habe (oder handzeichen gebe). Zuverlässig sitz und platz war jeweils eine Frage von 10 Minuten und 3 Kaustreifen. Rolle hat ein bisschen länger gedauert. Mit vier Monaten ging sie schon ganz ordentlich bei Fuss, obwohl ich gar nicht vor hatte, das so früh zu üben, aber der Hund hat alles, was man ihr anbot, förmlich aufgesogen. Allerdings hatte sie von Anfang an die Einstellung Kommandos exakt oder gar nicht auszuführen
(zwei Beispiele aus späterem Verhalten: Auf das Kommando: such den Ball ist sie losgelaufen und hat ihr Spielzeug, dass wir zum Spazierengehen mitnahmen, gesucht. Wusste sie allerdings, dass sie das Spielzeug im Garten liegen lassen hatte und die Türen zu waren, hat sie sich nicht einen Millimeter von der Stelle bewegt. Zuverlässig. Immer. Ihr könnt argumentieren über versteckte Botschaften so viel ihr wollt, der Hund wusste das. Ich wusste es am Anfang nämlich nicht, sonst hätte ich sie zum suchen ja gar nicht losgeschickt. Ich habe mich nur gewundert, warum sich der Hund nicht muckst und mich nur anstarrt. Wir haben das dann in unterschiedlichsten Situationen immer wieder erlebt. Ohne dass wir das beabsichtigt hatten, war hopp am Anfang immer mit „auf etwas springen“ verbunden (Couch etc.). Dann kam irgendwann der Tag, als sie gesund und etwas älter war, als ich sie auffordern wollte, mit einer Hundefreundin über eine Balkenabsperrung zu springen. Mein Hund blieb stehen und sah mich nur an. Nix zu wollen. Nach einigen Wiederholungen legte sie die Vorderpfoten auf den Balken, hopste ein bisschen und guckte mich unglücklich an. Da fiel endlich auch bei mir der Groschen: AUF diesen Balken konnte sie nicht springen, und sie wusste nicht, dass ich drüber meinte. Neues Kommando „spring“ eingeführt, kurz selbst mit demonstriert, 5 Minuten später saß es bombenfest und mein Hund hopste fröhlich hin und zurück)
Ihr könnt bestimmt nachvollziehen, dass ein so lernwilliger und leichtlernender Hund einen in Versuchung führt, ohne nachzudenken alles mögliche mit ihr zu üben, mich damals auch. Auf Kommando linkes oder rechtes Pfötchen geben: kein Problem. Dann kam mir die Idee, dass ich ihr ja eine Bestätigung beibringen könnte, wenn sie etwas will und ich ihr den Vorschlag dazu mache (dazu muss ich vorausschicken, dass sie immer genau wusste, was sie fressen wollte (z.B. an Obst oder Gemüse zum Futter dazu, Joghurt oder Hüttenkäse, egal. Ich habe mir dann angewöhnt, ihr die Auswahl (auch bei Leckerlis) vor die Nase zu halten, sie hat kurz geschnüffelt und dann zielstrebig eins ausgewählt. Dabei ist sie dann auch immer geblieben (wir haben natürlich auch aus Neugier die Versuche wiederholt, kamen aber situativ immer zum gleichen Ergebnis: Sunny wusste, was sie wollte). Ich hatte mir dann überlegt, ihr Kopfnicken als Bestätigung beizubringen, wenn sie das Angebot, das ihr zusagte, sah oder hörte. Natürlich hatte ich dabei auch den Vorführeffekt im Kopf, der die Intelligenz meines Hundes unterstreichen würde. Ich habe dann ein weilchen mit ihr geübt. Ergebnis: Mein Hund sah mich die meiste Zeit ratlos und traurig (nicht wegen Strafe oder so, falls ihr das meint. Mein Hund guckt immer traurig, wenn sie merkt, dass ich was von ihr möchte und sie nicht weiss, was) an, obwohl sie die Situation „Auswahl“ kannte und durchaus auch schon mit dem Kopf genickt hatte. Aber sie konnte die Verbindung zwischen den beiden Sachen nicht begreifen (Sie wusste, was ich wollte, aber für sie hatte das keine Bedeutung). Ich habe nach relativ kurzer Zeit meine Bemühungen eingestellt, weil ich angefangen habe, mich in Grund und Boden vor meinem Hund zu schämen. Statt auf das einzugehen, was sie selbst anbietet, habe ich versucht, aus ihr einen vermenschlichten Clown zu machen. Die Hundeverhaltensweise und ihr eigenes Verstehen habe ich völlig ausser acht gelassen, sondern ich wollte, dass sie „meine Sprache“ lernt, obwohl sie damit nichts anfangen konnte. Ich habe danach auch auf die anderen Tricks (Pfötchen, Rolle, usw.) verzichtet und statt dessen angefangen, ihre Ausdrucksweisen genauer zu studieren und heraus zu finden, was sie mir damit sagen will. Daran, am gegenseitigen Verstehen, haben wir dann wechselseitig weiter gearbeitet. Und an die Stelle meiner Selbstbeweihräucherung wegen „Trickserei“ und der Akzeptanz von Sunnys Lernbereitschaft ist immer mehr der Respekt vor Sunnys Leistungen getreten. Je mehr ich beobachtet habe, und versucht habe, zu verstehen, desto mehr habe ich gesehen. Und desto mehr habe ich gelernt, auch auf ihre Äußerungen zu reagieren. Sie weiß genau, dass in puncto Straßensicherheit ich die uneingeschränkte Leitung habe und sie mir klar folgt. Sie weiß aber auch, dass sie in Sport und Freizeit gleichberechtigt ist. Wenn sie nicht will, bestehe ich auch nicht drauf. Und wenn sie irgend was nicht macht (z.B. in der BH-Sichtung und Prüfung war die Freifolge ein Fiasko, was umso erstaunlicher war, da sie doch schon so lange ohne Probleme bei Fuss geht, ist vorher nie aufgetreten (Bestanden haben wir trotzdem)), dann ist nicht als erstes der Hund schuld, dann gehe ich hin und überlege, was das mit mir und den Umständen zu tun haben könnte. Da werde ich dann auch meistens fündig, wenn ich das dann ändere, ist das Problem in der Regel auch verschwunden. In dem Falle war es wohl so, dass Sunny sich in der Gruppe mit ihren zwei Juhus etwas zurückgesetzt gefühlt hat, weil die beiden, bei uns aufgewachsen, völlig unbefangen und anhänglich sind und jederzeit auf Spiel- und Schmusekurs gehen, während sie durch ihre Vorgeschichte doch immer noch etwas zurückhaltender ist. Ich habe dann die „jetzt nur die mama“ Begrüßung (Die ist übrigens nicht Anfang der Begrüßung) eingeführt und siehe da, das Folgeproblem war weg (Bevor ihr jetzt sagt: Klar, Standardsituation (was in gewisser Weise auch stimmt), müsste ich dazu noch präzisieren, dass die Anforderungen an Spiel- und Kuschel- und Bestätigungsverhalten in unserem (und vermutlich auch in anderen) Rudeln durchaus unterschiedlich sind, und zwar sowohl nach Individuum, Alter, Entwicklungsstand und anderen Umständen (vor-während-nach Läufigkeit etc.) Es gilt halt IMMER zu beobachten und Schlüsse zu ziehen, auch wenn man denkt, man verteile die Aufmerksamkeit gleich, das wird nicht unbedingt auch so empfunden. Die Standardregeln zur Rudelhaltung (Reihenfolge etc.) sind zwar im Kopf zu behalten und zu prüfen, sie werden aber nach unserer Erfahrung durchaus gruppenindividuell variiert.
Uff, ein langer Text, ich weiß :-)). Ich wollte damit versuchen, die Beweggründe für meine Skepsis bei Tricks zu erläutern. Es soll ein Angebot sein, meine Erfahrungen zu teilen (und auch für sich zu beurteilen), kein Dogma. Hieraus resultiert eben meine Unentschlossenheit und teilweise Aversion gegen Tricks. Ich glaube nicht, dass jeder, der das nicht genau so sieht oder genau so denkt, auf jeden Fall im Unrecht und ein schlechter Hundehalter ist. Ich denke, die Frage, Tricks ja oder nein und wie viel muss sich jeder, gemeinsam mit seinem Hund, selbst be- und verantworten. Das ist individuell verschieden. Schlecht finde ich, wenn man gar nicht darüber nachdenkt und vollkommen unbefangen daran geht, in dem man sagt: Es ist völlig egal, was und wie viele Tricks ich meinem Hund beizubringen versuche, Hauptsache ich schlage ihn nicht, schaden kann ihm das auf keinen Fall. Sicherlich kann man durch Beschäftigungsmangel oder ungeeignete Methoden dem Hund noch deutlich mehr schaden, aber: Das Bessere ist der Feind des Guten.
Liebe Grüße Antje