Hallo Finn,
ich könnte mir vorstellen, dass Finn jetzt halt kein kleiner Welpe mehr ist, sondern ein Mann - möglicherweise einer, der jetzt erstmal kräftig die Muskeln spielen lässt. Ignorieren kannst du das nicht.
Respektiere es, dass er nicht so auf Kinder steht. Wenn er einen Bogen läuft, zeigt er noch sehr freundlich, dass er mehr Distanz wünscht. Wenn er sie dann nicht bekommt, wird er deutlicher und knurrt. Wenn er seine Distanz immer noch nicht bekommt, bleibt ihm irgendwann nur noch das Schnappen. Lass es dazu nicht kommen. Achte drauf, dass Fremde, insbesondere Kinder ihm nicht zu nahe kommen, wenn er das nicht will. Auch die Individualdistanz entwickelt sich, genau wie andere Eigenschaften, und was er als Welpe noch lustig fand, duldet er jetzt vielleicht nicht mehr.
Das mit den Erwachsenen kann viele Ursachen haben (Wachsamkeit, Unsicherheit, Territorialverhalten...). Ich könnte mir vorstellen, dass Finn glaubt, es sei sein Job, zu entscheiden, wer sich wo aufhalten darf. Das kommt häufig vor, und du schreibst, dass du ihn kaum erziehen musstest. Deswegen gehe ich davon aus, dass ihm bislang auch keine großartigen Grenzen gesteckt wurden und dass er glaubt, er sei überhaupt der Wichtigste (glauben Männer in der Pubertät ohnehin immer
).
In diesem Fall - aber auch bei anderen Ursachen würde ich auf jeden Fall Gehorsamtraining machen, und das jeden Tag. Freilauf, ein Spielchen, Streicheln - das sollte er nicht ganz selbstverständlich bekommen, wann immer er es will, sondern dann, wenn du es willst. Man kann sowas auch prima als Belohnung für gutes Verhalten einsetzen. Eigentlich ist es wie bei Kindern: Die verlieren die Orientierung, wenn sie keine Grenzen finden, denn Grenzen vermitteln auch Sicherheit.
Ich mache mit meinem Hund Dummytraining und spiele Frisbee und baue dabei immer Gehorsamsübungen mit ein. So trainieren wir täglich die verschiedensten Kommandos - alte und bekannte Kommandos, immer wieder aber auch neue Sachen, und es macht trotzdem Spaß. Durian bekommt viel Lob und Belohnung. Aber ob im Spiel oder nicht - ein "Sitz" oder "Hier" ist immer ernst gemeint, und er kommt nicht damit durch, es zu überhören oder zu ignorieren.
Mein Hund ist kein Typ, der ständig massiv austestet, wie weit er gehen kann, aber mit viel Charme versucht auch er, sich mal über die eine oder andere Grenze hinweg zu mogeln. Vermutlich ist er trotzdem leicht zum Gehorsam zu bringen, vielleicht ist es bei Finn schwieriger. Aber dadurch macht man dem Hund klar: "Ich gebe die Regeln vor" und man kann so auch viele Situationen leichter managen.
Ich würde dir auch empfehlen, dass du dir die Situationen, die du ansprichst, nochmal ganz genau in Erinnerung holst und auch künftige Situationen genau beobachtest, um rauszufinden, was genau die Auslöser für Finn's Verhalten sind.
Ich habe so übrigens ein Belltagebuch geführt. Mein Hund ist ein eher unsicherer Hund. Fremde Rüden, Menschen, die komisch aussehen, komisch gehen oder so - all das ist ihm nicht geheuer, und da kann es schon mal sein, dass er rein prophylaktisch so tut, als wäre er King Kong. Er war früher nicht gut gehalten worden und meine Vorgängerin hat schon intensiv mit ihm an seinen Macken gearbeitet, aber er wird wohl nie ein sehr selbstsicherer Hund werden.
Ich selbst hatte mir viel Fachwissen über Hunde angelesen, hatte aber keine großen praktischen Erfahrungen und ich glaube, dass Durian bei mir zunächst wieder verstärkt einige Macken gezeigt hat, die vorher eigentlich nicht mehr so vorhanden waren. Ich bin auch immer noch nicht am Ziel - so können wir z.B. nicht immer an fremden, intakten Rüden vorbei gehen, ohne dass er sich mit Getöse ins Zeug - sprich: In die Leine schmeißt. Und dann hört er auch nicht mehr auf mich.
Aber ich bin wie oben beschrieben vorgegangen und habe sehr gute Erfolge. Es gibt immer wieder auch Tage, wo doch andere Rüden angemacht werden. Heute beispielsweise - wo mir dann auch noch die Leine aus der Hand fiel und mein Fahrrad umkippte.
Aber es gibt immer mehr Tage, an denen alles prima läuft. Das führe ich darauf zurück, dass ich durch mein Tagebuch immer besser vorhersehen kann, was gleich passieren wird - und dann kann ich rechtzeitig reagieren. Das führe ich auch darauf zurück, dass er gut gehorcht und zumindest in den allermeisten Fällen nicht einfach abschaltet und durchstartet, und das führe ich darauf zurück, dass ich solche Situationen immer noch täglich trainiere, indem ich versuche, sie langsam für ihn immer schwieriger zu machen. Er hat viel Freilauf dort, wo er entspannt ist: Das ist überall da, wo er Fluchtmöglichkeiten hat. Auf engen Wegen drehe ich oft ab, bevor er sich in irgendwas reinsteigert, aber nachdem er den fremden Hund gesehen hat. Wenn er ruhig bleibt, gibt's ein Leckerchen.
Ich übe zusätzlich täglich auch die Leinenführung, also das "bei Fuß"-gehen und mit seiner Aufmerksamkeit bei mir sein und das Kommando "Schau" - mich anschauen. So habe ich dann ein Werkzeug, was ich ebenfalls einsetzen kann.
Aber wie gesagt - am Ziel bin ich nicht, aber auf einem guten Weg.
Viele Grüße
Anila