Hallo Juliane,
Da Youri nach Deiner Aussage gut sozialisiert ist und, wenn ich das richtig interpretiere, kein Angstbeißer (gegenüber Artgenossen), hättest Du ihn gewähren lassen können und sollen. Er hat dem jungen Neuling kurz vorher klar gemacht, daß er in Ruhe gelassen werden möchte. Dieser hat die erste Warnung nicht richtig ernst genommen, daß kommt in dem Alter vor. Stattdessen hat er sozusagen die Konsequenz des Älteren getestet (so ein Verhalten kann man auch bei menschlichen Kindern oft beobachten). Youri hat deshalb beim zweitenmal eine noch deutlichere Unterwerfung verlangt, nach dem Motto "Ich hab dir´s schon einmal gesagt, laß mich in Ruhe!". Wahrscheinlich hätte er so lange über dem jungen gestanden, bis dieser auch nicht mehr zappelt. Denn solang der scheinbar Unterlegene noch hampelt, hat er sich noch nicht total unterworfen, sondern versucht vielleicht eine taktisch bessere Position zu erlangen. Es kann sogar sein, daß der Stärkere den Unterlegenen über mehrere Minuten zwingt, bewegungslos zu verharren.
Die gleiche Situation erlebt man in vielen Variationen. Hund A (der Neuling in Deinem Beispiel) kann schon die erste leichte Warnung akzeptieren, oder einer stärkere brauchen (wie Youris erster Versuch), oder eine extreme (wie Youris zweiter Versuch), oder sogar mehrere extreme. Hund B (Youri) kann sehr geduldig sein und versucht es x-fach mit einer im Endeffekt zu schwachen Warnung, oder besonders konsequent (wie Youri, schon beim 2.ten mit entsprechend heftiger Warnung). Das nur als grobe Möglichkeiten.
Bei Hunden, die ein "normales" Sozialverhalten zeigen, greife ich möglichst nie in die Kommunikation ein, da es leicht zu Störungen in der Zukunft führen kann. Der Neuling könnte durch das Eingreifen gelernt haben, sich nicht unbedingt zu unterwerfen, da er von umstehenden Menschen Hilfe erwarten kann. Youri könnte gelernt haben, daß es nicht ungefährlich ist, sich mit Artgenossen normal auseinanderzusetzen, da Frauchen einem in den Rücken fällt. Beides muß nicht, kann aber und je häufiger sich solche Situationen wiederholen, um so eher entwickelt sich Problemverhalten.
Das größte Problem bei Hundebegenungen sind die Besitzer. Viele wissen nicht über die Bandbreite hundlicher Kommunikation bescheid, sehen z.B. in einer harmlosen (aber furchtbar lauten und wilden) Rempelei zwischen Rüden immer eine ernste Beißerei. Oder sie sind selber so Harmonie bedürftig, daß ihnen jede deutlich sicht- oder hörbare hundliche Auseinandersetzung schon zuviel ist. Entsprechend früh verlieren sie die Nerven und mischen sich ein. Du siehst, ich werte nicht nur schlichtes Knurren, sondern auch den Kommentkampf der Rüden als völlig in Ordnung. Läßt man solche Auseinandersetzungen zu und die Tiere sie auch ungestört beenden, verläuft das nächste Treffen meist schon viel ruhiger. Hab ich dafür nicht die Nerven oder Angst mein Hund könnte doch mehr als nur eine kleine Schramme abbekommen, muß ich entsprechend dem Kontakt ausweichen, mische ich mich hingegen erst ein, wenn die Kontrahenten schon angespannt nebeneinander stehen, eskalliert die Situation meist. Bei Hündinen, die sich anknurren ist hingegen Vorsicht geboten.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß selbst geschulte menschliche Sinne (z.B. Verhaltensforscher) nicht in der Lage sind, alle Signale die zwischen Hunden getauscht werden, wahrzunehmen. Nur durch Videoaufzeichnung läßt sich ein gewesenes Verhalten ungefähr nachvollziehen. Wölfe haben übrigens im Vergleich zu Hunden ein viel langsameres und plakativeres Ausdrucksverhalten.
Habe ich allerdings einen sogenannten Problemhund, der z.B. ohne Warnung jeden fremden Hund egal welchen Alters oder Geschlechts angreift, so muß ich natürlich eingreifen, bzw. schon vorher den Angriff verhindern. Eine Analyse mit anschließender Verhaltenstherapie wäre sinnvoll (der von Morgain beschriebene Schäfer-Mix scheint so ein Fall zu sein). Wird mein Hund von so einem ständig untergebuttert, ohne daß meiner vorher irgendwie Kontakt aufgenommen hatte, meide ich diese Begegnung.
Der Aussage, daß Hundebekanntschaften kein (Wolfs)Rudel sind, stimme ich zu. Selbst Mehrhundhaltung ist ist dem Wolfrudel selten echt vergleichbar, da dort nur verwandte Tiere zusammenleben. Dennoch bilden sich auch bei regelmäßigen gemeinsamen Spaziergängen Rangbeziehungen aus. Sollten sich zwei Tiere einer solchen Gruppe ständig in den Haaren liegen, oder einer ewig ohne irgendwie erkennbaren Grund der "Prügelknabe" sein, wäre eine Trennung der Truppe sinnvoll, damit es für alle Seiten streßfreier wird.
Für mich kann auch nur ein Hund einem anderen Hund das richtige innerartliche Sozialverhalten beibringen. Glauben wir Menschen mehr über Hunde zu wissen, als sie selbst?
Grausam können nur Menschen sein. Es ist nicht grausam, wenn Hunde interagieren, egal wie heftig oder auch ein Lamm reißen, es ist natürlich.
Auch wenn die Alphatiere Jungwölfe zurechtweisen, die einen Welpen drangsalieren, kann das von Jungwölfen gezeigte Verhalten nicht wirklich schädlich für die Kleinen sein. Denn sonst könnten und würden die Leittiere diese nie zusammen allein lassen, das Risiko wäre zu groß.
Lange Rede, kurzer Sinn: vertraue Deinem Hund.
So long, Anke