Gibt es Welpenschutz?
25. November 1998 22:56

Hallo allerseits,

unter dem Titel "Unterwerfung" hat sich eine Diskussion über die Exixtenz oder Nichtexistenz von generellem Welpenschutz bei Wölfen bzw. Hunden ergeben (ca. ab Meldung von Petra am 24.11.1998 um 11:19), die ich hier unter neuem Titel weiterführe.

Zu den Wölfen (und allen anderen Wildcaniden):
Im Regelfall zieht nur die Alphawölfin Junge auf und selbst in diesem einen Wurf ist die Welpensterblichkeit groß. Hat eine rangniedrigere Wölfin ebenfalls einen Wurf, sind mehr Mäuler zu stopfen, die Gefahr, daß aus dem Alphawurf kein Tier überlebt steigt. Die Alphawölfin verbessert also die Überlebenschancen ihrer eigenen Kinder, wenn sie die der anderen tötet, ein völlig legitimes Verhalten.
Dennoch kann es vorkommen, daß die Alphawölfin einen solchen Wurf duldet, meist herrschen dann auch außergewöhnlich gute Futterbedingungen. Hinzukommt, daß diese Welpen zu einem gewissen Grad mit ihr verwandt sind (Enkel), also auch ihre Gene tragen (Verwandtenselektion). Deshalb ist es auch sinnvoll, wenn schon in den ersten Wochen der gesamte eigene Wurf verstorben ist, die danach geworfenen "Enkel" aufzuziehen. Besser Enkel als gar kein Nachwuchs in einem Jahr.
Rudelfremde Welpen werden jedoch getötet, ihre Aufzucht bringt keinen Fitneßvorteil, sondern mindert die Chancen der eigenen Kinder.

Der Unterschied im Verhalten von männlichen und weiblichen Tieren gegenüber Welpen hat ebenfalls einfache Gründe.
Weibchen wissen mit Bestimmtheit welches ihre eigene Kinder sind, da sie den "Nest"geruch der Mutter haben. Wenn Weibchen andere Welpen töten, sind sie sicher, daß es nicht die eigenen sind.
Männchen hingegen können an nichts erkennen, ob die Welpen wirklich von ihnen stammen oder nicht. Um möglichst viele eigene Nachkommen zu haben, decken sie möglichst viele Weibchen, auch rudelfremde. Da sie auch bei fremden Welpen ihre Vaterschaft nicht klar ausschließen können, sind sie in der Regel vorsichtshalber "nett" zu ihnen.

Es kann sogar vorkommen, daß die Alphawölfin den eigene Wurf umbringt bzw. verhungern läßt. Dies geschieht, wenn die Futterbedingungen so extrem schlecht sind, daß selbst das Überleben der Alttiere nicht mehr gesichert ist. In diesem Fall ist es besser auf den diesjährigen Wurf zu verzichten.

In unseren Haushunden tickt grundsätzlich das gleiche biologische Programm, wie in den Wildcaniden. Dennoch gibt es Hündinnen, die fremde Welpen nicht sofort attakieren, dafür gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten.
a) Im Gegensatz zur freien Natur, wo alle Weibchen +/- zur gleichen, nämlich günstigsten Jahreszeit werfen, ist dies unter menschlicher Obhut nicht mehr so. Während der Empfängnisbereitschaft,Schwangerschaft und dem anschließenden Säugen ist der Hormonhaushalt verändert, es gibt Verhaltensprogramme, die nur unter diesen Umständen ablaufen können. Gehört Kindstötung dazu, kann es sein, daß die Hündin außerhalb dieser Zeit nicht auf fremde Welpen reagiert.
b) Die Nahrungsbedingungen sind für Haushunde in der Regel mehr als gut, auch ein Grund weniger für Welpentötung.
c) Die Kindstötung geht meist vom Alphaweibchen aus, Familienhunde sind (sollten sein) aber meist rangtiefer.
d) Möglicherweise fand auch eine Auslese (Zucht) statt in Richtung besonders verträglicher Weibchen, damit zeitgleich mehrere Würfe in einer menschlichen Sippe möglich waren.
Da bei Pariahunden dieses Welpentöten auch zu beobachten ist, halte ich Variante d) fast schon für unwahrscheinlich.
e) andere Vorschläge?

Aus oben genannten Gründen halte ich einen generellen Welpenschutz bei allen Caniden für nicht existent. Welpentötung ist ein Normalverhalten, das aber unter menschlicher Obhut nicht geduldet werden kann und somit gleichzeitig ein Problemverhalten darstellt. Deshalb lasse ich einen Welpen auch nicht direkt zu mir nicht bekannten erwachsenen Hunden, sondern überprüfe erst deren Verhalten.

liebe Grüße, Anke



26. November 1998 07:23

Liebe Anke,

grundsätzlich stimme ich Dir in Deinen Aussagen zu: DEN Welpenschutz gibt es nicht. Ich hab aber noch ein paar Ergänzungen. Im Wolfsrudel werden ab ca. dem 4. Lebensmonat die Welpen den Rüden zur weiteren Erziehung übergeben. Ich denke, daß auch darin die größere Duldsamkeit von Rüden gegenüber (fremden) Welpen zu erklären ist. Weiterhin habe ich beobachtet, daß die Erziehungsgeste des Abschnappens bei Rüden anders verläuft als bei Hündinnen: Während Hündinnen meist sehr knapp vor den Welpen abstoppen und sogar gelegentlich leichte (!) Verletzungen dabei provozieren, bleiben Rüden beim Abschnappen viel weiter von den Welpen weg.

Zum Verhalten mancher Haushunde: Du hast den Punkt der züchterischen Beeinflussung eher als unwahrscheinlich befunden. Ein krasses Gegenbeispiel ist die Rasse der Golden Retriever. Da die Menschen ihr Idealbild eines pflegeleichten und unkomplizierten Hundes verwirklichen wollten, wurden die Goldies systematisch auf das Fehlen jeglicher Aggression (auch gegenüber Artgenossen) gezüchtet. Das war nur dadurch möglich, daß die Golden Retriever nie psychisch erwachsen werden, sich also lebenslang wie Welpen verhalten. Man kann das in vielen Fällen deutlich beobachten, wie auch 4 und 5jährige Alttiere nach klassischem Welpenmuster agieren. Darin liegt im übrigen auch der Grund, warum gerade diese Hunde häufig von anderen Hunden attackiert werden: Sie verhalten sich nämlich im Prinzip nicht mehr artgerecht. Sie riechen zwar nach erwachsenem Hund, haben aber die Ausdrucksformen eines Welpen, das wird von vielen anderen Hunden nicht akzeptiert. Prompt sind dann die Menschen entsetzt, wenn der "brave" Golden scheinbar grundlos angegriffen wird. Dabei liegt die eigentliche Verhaltensstörung nicht beim angreifenden Hund.

Das ist beispielsweise der Grund, warum wir in unseren Welpenprägespieltagen keine Golden Retriever als erwachsene Erziehungshunde einsetzen, obwohl die Hündinnen durchweg verträglich mit Welpen wären. Aufgrund des potentiellen Tötungs- bzw. Verletzungsrisikos durch andere Hündinnen verzichten wir bei Welpen unter 4 Monaten grundsätzlich auf den Einsatz von Hündinnen und nehmen ausschließlich erwachsene Rüden zur Sozialisierung, was problemlos klappt. Junghunde über 4 Monaten lernen auch Hündinnen kennen. Nach unserer Erfahrung ist in diesem Alter das Risiko deutlich geringer, wir hatten in 5 Jahren noch keine ernsthaften Übergriffe. Selbstverständlich kennen wir aber alle Sozialisierungshunde über Jahre in den unterschiedlichsten Situationen.

Liebe Grüße, Jutta


26. November 1998 08:11

Hallo Jutta,
sehr interessant, was Du über den Golden Retriever schreibst! Gilt ähnliches auch für den Labrador?
Fragende Grüßlis,
Suki

26. November 1998 08:44

Allergescheiteste Anke,

genau das meinte ich!!!! Leider konnte ich das nicht so fachlich begründen,
ich muss wohl doch noch ein paar Bücher lesen.

Im Grunde stimmt auch alles mit dem überein, was Günter Bloch auf dem Seminar
erzählt hat.
Die Erklärung warum Rüden netter zu Welpen find ich klasse und sehr überzeugend!
Es lebe das Matriarchat!


Liebe, jetzt ein wenig schlauere Grüsse

Petra

26. November 1998 09:19

Liebe Suki,

soweit mir bekannt ist nicht. Allerdings bin ich nur an der Studie über Golden Retriever beteiligt, wo dieses Problem sehr stark besteht.

Liebe Grüße,
Jutta

26. November 1998 09:59

Hallo Jutta,

ist dieses Zuchtziel "Verträglichkeit" irgendwann mal konkret genannt worden und hast Du eine Ahnung, wie es zu dem Ziel kam. Ursprünglich ist der Golden doch kein "meute"jagdhund.
Wo kann ich was über diese Studie erfahren?

Ciao Anke