Hallo,
vielleicht kennt Ihr das: Ihr arbeitet mit Eurem Hund auf dem Hundeplatz, aber irgendwie will Euer Vierbeiner heute nicht so, wie er soll. Abgesehen davon, daß er plötzlich massive Anzeichen von Taubheit zeigt und sich erst nach dem fünften Mal "Sitz" auf seinen Popo bequemt, scheint er neuerdings stark mit den Schlittenhunden zu sympathisieren und zieht, was die Leine hält. Seine Nase wird von einem Duft auf dem Boden sichtlich stärker angezogen als von dem Leckerle in Eurer Hand, und der Versuch, ihn mit einem Spielchen neu zu motivieren, endet im Chaos. Und obwohl Euer Ausbilder sich das Etikett "gewaltfrei" auf die Brust geheftet hat, beäugt er Euch mit zunehmenden Anzeichen von Nervosität. Handelt es sich bei ihm um ein eher vorsichtiges Exemplar, wird er Euch behutsam nahelegen, daß es jetzt langsam an der Zeit wäre, sich mal durchzusetzen. Gehört er aber zu der temperamentvolleren Gattung und hat er auch noch in der letzten Nacht schlecht geschlafen, dann kommt die präzise Anweisung: "Jetzt zeig' Deinem Hund aber mal, wer der Boß ist und gib ihm einen ordentlichen Ruck!" Tja, und das tut Ihr denn auch, aus welchen Gründen auch immer. Der Hund beißt in die Leine: Ruck. Er zerrt wie ein Wilder: Ruck. Er verweigert das Hinsetzen: Ruck. War Euer Krafteinsatz entsprechend, ist er inzwischen massiv "beeindruckt" (will sagen: er hat Angst) und schleicht mit möglichst großem Abstand neben Euch her. Er soll aber dicht am Bein gehen: Ruck. Lassen wir nun einmal sämtliche Aspekte von Gewalt oder nicht Gewalt außer Acht und betrachten das Ganze rein lerntechnisch. Jeder Hundebesitzer, der zumindest eine Kurzanleitung über Hundeerziehung gelesen hat, weiß, daß er für ein bestimmtes Kommando immer den selben Befehl verwenden muß, damit sein Hund versteht, was von ihm verlangt wird. So sagt er also "Sitz", wenn der Hund sich setzen, "Platz", wenn er sich legen und "Fuß" wenn er ordentlich an der Leine gehen soll. Den Befehl "Leinenruck" aber wendet er, quasi als "Überbefehl", in zig verschiedenen Situationen an. In den Augen des Hundebesitzers ist das jeweilige Anliegen klar, der Ruck soll einfach einen anderen gegebenen Befehl verstärken. Wie das aber sein Hund begreifen soll, darüber macht er sich keine Gedanken. Es reicht ihm die Bestätigung, daß der Hund aufgrund des Rucks ja schließlich doch noch tut, was er ursprünglich sollte. Da stellt sich nun die Frage nach dem Warum. Wenn wir davon ausgehen, daß unser Hund in allen anderen Fällen klare Anweisungen braucht, können wir ja nun nicht einfach voraussetzen, daß beim Leinenruck diese Gesetze außer Kraft gesetzt sind, und der Hund dank seiner Intelligenz plötzlich erkennt, was er jeweils zu tun (oder zu lassen) hat. Da wohl außer Zweifel steht, daß ein Leinenruck für den Hund zumindest unangenehm ist (warum sonst würden wir ihn anwenden?), liegt die Erkenntnis nahe, daß der Hund reagiert, um dieses unangenehme Erlebnis zu beenden bzw. zu vermeiden. Die nächste wesentliche Einsicht ist nun also, daß unser Hund aus Angst "gehorcht". Dabei ist er allerdings auf zufällige Erfolge angewiesen, da er die Ursache des Rucks ja nicht verstehen kann. Am ehesten "klappt" das Ganze beim "Sitz" und zwar deswegen, weil jeder Hund, der nicht so recht weiß, was er tun soll, sich erst mal hinsetzt. So passiert es z.B. gar nicht selten, daß ein Hund, der gerade einen Artgenossen verbellt und mit Hilfe eines Leinenrucks dazu gebracht werden soll, das Bellen einzustellen, sich brav hinsetzt - und weiter bellt. Die Folge ist ein weiterer Leinenruck, der unseren Vierbeiner nun möglicherweise veranlaßt, sich hinzulegen. Allerdings kann er auch im Liegen prima bellen. Der nächste Leinenruck reißt vielleicht den Hund wieder hoch und er steht bellend auf allen Vieren. In den Augen des Hundesbesitzers verweigert der Hund stur den Gehorsam, dabei bemüht der sich ja ständig, das Richtige zu tun, damit das Gerucke aufhört. Nach etlichen weiteren Rucken "erwischt" der Hund dann vielleicht endlich das Richtige, mit großer Wahrscheinlichkeit deswegen, weil er inzwischen so verängstigt ist, daß er in absoluter Demutshaltung neben seinem Herrn kauert. Für diesen hat sich bestätigt: "Ich muß nur hart genug rucken, dann gehorcht der sture Kerl irgendwann schon!" Ein fragwürdiger Erfolg für jeden denkenden (und fühlenden!) Menschen oder?
Liebe Grüße,
Jutta