Aggressiver Kangalwelpe
18. März 2001 08:47

Hallo zusammen,

obwohl ich nun schon seit einiger Zeit selbst Welpen und Junghundkurse durchführe, möchte ich mich heutre gerne mit einer Frage ans Forum wenden, da mir ein solcher Fall bisher noch nicht untergekommen ist.

Seit zwei Wochen habe ich in meiner Welpengruppe einen jetzt 10 Wochen alten Kangal-Welpen. Er wird von einem türkischen Jungen (ca.16 Jahre) geführt, der sich auch gut mit meinen Hilfen auf die Situationen einstellen kann, ansonsten ist er und seine Familie eher hundeunerfahren.

Das Problem ist folgendermaßen: Der Welpen ist in der ersten Stunde super aggressiv auf alle Hunde auch die ältesten mit 18 Wochen, die viel größer sind, losgegegangen. Das war aber nicht die Art spielerische Aggression zum Ausprobieren wer der Stärkere ist, sondern sah schon recht ähnlich aus, wie ein ernstgemeinter Angriff eines erwachsenen Hundes. Ich müsste die ganze Stunde nur hinter ihm hersein, um die anderen Hunde zu schützen. Wenn man ihn dann anfasst, wenn es ihm nicht passt, beißt er richtig zu (nicht so wie "normale" Welpen, sondern man hat wirklich das Gefühl, dass er einen verletzen will). Entsprechend sehen meine Hände auch aus.

In der nächsten Stunde war sein Verhalten gegenüber den anderen Welpen dann besser, er hat auch schon mitgespielt und nur noch ganz normal mit den anderen gerauft, lag auch mal selbst auf dem Rücken. Nach Aussagendes Besitzers hat er in der vorherigen Woche mit einem älteren Kangal gespiel und wurde von diesem mehrfach "zurecht gestutzt"

Sein Verhalten mir und seinem Besitzer gegenüber hat sich allerdings sehr Verschlechtert. Auf dem Weg zur Wiese ging ich mit ihnen zsammen und der kleine Kangal sprang mir mehrfach völlig unmotiviert ans Bein, klammerte sich fest knurrte und biß mir kräftig in den Oberschenkel.

Während des Unterrichtes wehrt er sich gegen alles, was er nicht will, und beißt richtig kräftig zu mit einer kraussgezogenen Nase und drohendem Knurren.

Bei jedem anderen Welpen, ist mein Rat immer, sich davon nicht einschüchtern zu lassen, sich durchzusetzten und solche Autoritätsprobleme in verschiedenen Stufen vom Schnauzgriff bis zum Alphawurf zu beantworten und nicht eher loszulassen, bis sich der Welpe komplett unterworfen hat, sprich aufgehört hat zu jammern, sich zu wehren und den Blick abwendet. Dies alles ist bei diesem Hund aber kaum möglich, er hat sich noch in keinem Fall wirklich ergeben, da kann man auch 10 Minuten warten, lässt man dann etwas locker, packt er einen sofort, wo er einen nur kriegen kann und beisst absolut ernsthaft zu.


Ich habe das Gefühl, das der kleine nicht einmal von einem Alphawurf zu beeindrucken ist, das einzige Mittel, das Hilft: Ich greife ihn mir und reiße ihn hoch und drehe ihn mir wie ein Baby auf den Arm, dann ist er ganz still.

Ist das Erzwingen der Dominaz in diesem Fall wirklich richtig? Es artet immer nur derart aus, dass ein Minutenlanges Geschrei (des Hundes) herrscht und alle anderen Welpen ganz verstört gucken. Für den Frieden und den Schutz der anderen Welpen müsste ich den Hund aus der Gruppe nehmen, aber dann lernt er ja gar nicht und wird sicher ein sehr schwieriger Hund. Ich hatt mir auch schon überlegt, ihn jetzt schon in den Junghundkurs zu nehmen, damit er auch mal kontra bekommt und nicht noch unnötig aufgebaut und stark gemacht wird. Aber ist Gegenaggression das richtige Mittel bei Aggression und was ist mit der Aggression gegen Menschen?

Hat jemand Erfahrung mit einem solchen Verhalten??? Das der Kangal ein Herdenschutz mit hohem Aggressionpotential ist weiß ich, aber ich war immer dem Meinung, dass man jeden Hund sozialisieren kann. Leider weiß ich nichts über den Züchter, nur dass er Deutschland gezogen wurde und schon mit 6 Wochen abgegeben wurde. Er hat schon damals alle seine Geschwister tyrannisiert. Als er 6 Wochen alt war rief mich dann die Mutter des Jungen an und fragte nach dem Welpenkurs weil der Hund beisst und die kleineren Kinder Angst ihm hätten. Ich habe ihnen dann (LEIDER) gesagt, dass das alle Welpen anfangs machen, ihnen erklärt wie man den Schnauzgriff anwendet, Bücher empfohlen und erst einmal zum Impfen geschickt (ein Besuch zu Hause wurde abgelehnt).

Jetzt ist mir allerdings klar, dass hier (wenn nicht schon beim Züchter) warscheinlich der Grundstein für die Aggressivität gelegt wurde, da alle mit Angst auf sein Verhalten reagierten und ihn gewähren ließen.

Welche zukunftsaussichten hat man bei einem derarten Verhalten in diesem Alter? Hat da jemand erfahrung? Wird es eher schlimmer oder kann man ihn noch "hinkriegen"?

Sollte man ihn wirklich ständig "dominieren" oder fördert dass bei seinem Charakter eher seine eigene Aggression?

(Ich sonst übrigens eher der Meinung, dass man als Rudelführer eben nicht derart "aggressiv-dominant" sein sein muß, sondern eher der Freund des Hundes sein soll, und nur in absoluten "Autoritäts-in-Frage-Stellungen" wirlich auf Mittel wie den Aplphawurf zurückgreifen sollte. Ansonsten natürlich konsequent aber liebevoll!)

Ich würde mich sehr über Eure Ratschläge freuen.

Viele Grüße,

SOnja



18. März 2001 09:32

Hallo Sonja,
wende Dich doch mal an Thomas Schoke, den Kontakt kannst Du ueber www.herdenschutzhunde.de machen. Schoke scheint scheint sich mit HSH's ziemlich gut auszukennen. kann aber ein zwei tage gehen bis du antwort bekommst.
Außerdem kannst Du Dich an Frau Gericke vom TH in Ludwigsburg (BaWü) wenden. Tel.: 07141-251145. Mit Frau Gericke hab ich selber noch garnichts zu tun gehabt, aber da sie sich intensiv mit Herdenschutzhunden befasst, denke ich dass du dort auch Hilfe oder zumindest Adressen bekommen kannst.
Das was Du da schreibst, scheint ne grosse Nummer zu werden, die wohl wirklich in die Haende eines Fachmanns gehoert, bevor die BILD wieder neue Schlagzeilen serviert bekommt, und bevor der Welpe auch koerperlich in der Lage ist seine Spielchen erfolgreich zu spielen.
Und ganz generell bezweifle ich, dass ein Kangal in die Haende einer "hundeunerfahrenen" Familie gehoert. Vielleicht kannst Du ja einwirken, dass der Hund wo anders hinkommt, und die Leute mal mit einer leichteren Rasse anfangen.
gruss martin

18. März 2001 09:59

: Hallo Martin,

vielen Dank für Deinen Tipp habe soeben an Herrn Schoke geschrieben und bin gespannt auf seine Antwort.

Ich werde hier berichten, wie es weitergeht.

Wäre trotzdem über weitere Antworten dankbar. Mich würde vor allem interessieren, ob jemand auch so einen Welpen (rasseunabhängig) kennt, aus dem dann noch ein "anständiger" Kerl wurde.

Gruß,
Sonja



18. März 2001 10:35

Grüß Dich Sonja,

da hast du ein schönes problem am hals.
(Ich stelle die riehenfolge einmal etwas um)

: .... dass er Deutschland gezogen wurde und schon mit 6 Wochen abgegeben wurde. Er hat schon damals alle seine Geschwister tyrannisiert.

Da liegt der schlüssel zum problem. Der hund ist mitten in der sozialierungsphase, bevor er all das gelernt hatte, was er hätte lernen sollen, herausgerissen worden. Und dann passiert so etwas.

: Der Welpen ist in der ersten Stunde super aggressiv auf alle Hunde auch die ältesten mit 18 Wochen, die viel größer sind, losgegegangen. Das war aber nicht die Art spielerische Aggression zum Ausprobieren wer der Stärkere ist, sondern sah schon recht ähnlich aus, wie ein ernstgemeinter Angriff eines erwachsenen Hundes. ....

Ja. Die ersten angriffe von welpen sind auch alle "ernstgemeint" bis sie lernen, dass das auch rückwirkungen hat - eben soziales lernen.

: In der nächsten Stunde war sein Verhalten gegenüber den anderen Welpen dann besser, er hat auch schon mitgespielt und nur noch ganz normal mit den anderen gerauft, lag auch mal selbst auf dem Rücken. Nach Aussagendes Besitzers hat er in der vorherigen Woche mit einem älteren Kangal gespiel und wurde von diesem mehrfach "zurecht gestutzt"

Das ist das wichtigste überhaupt. Einige kräftige selbstichere erwachsenen hunde, die ihm noch zeigen, wo die grenze ist.

: Ich habe das Gefühl, das der kleine nicht einmal von einem Alphawurf zu beeindrucken ist, das einzige Mittel, das Hilft: Ich greife ihn mir und reiße ihn hoch und drehe ihn mir wie ein Baby auf den Arm, dann ist er ganz still.

Sozialkontakt ist ihm also sehr angenehm. Das solltest du ausnutzen.

: .... Aber ist Gegenaggression das richtige Mittel bei Aggression und was ist mit der Aggression gegen Menschen?

Aggression kann sich immer auch gegen dritte wenden. Und aggression erzeugt aggression. Die eskalation ist abzusehen.

: Jetzt ist mir allerdings klar, dass hier (wenn nicht schon beim Züchter) warscheinlich der Grundstein für die Aggressivität gelegt wurde, da alle mit Angst auf sein Verhalten reagierten und ihn gewähren ließen.

Ja. Er hat gelernt, dass das ein profitables verhalten ist.

: Welche zukunftsaussichten hat man bei einem derarten Verhalten in diesem Alter? Hat da jemand erfahrung? Wird es eher schlimmer oder kann man ihn noch "hinkriegen"?

Man kann ihn hinkriegen. In einem meiner clicker-kurse war einmal ein inhaber einer hundeschule, der einen solchen hund kurzerhand von seinem klienten übernommen hatte (respekt). Der hund ist sogar in dem 2-tageskurs recht umgänglich geworden, weil (?) wir alle friedlichen kontaktaufnahmen bestärkt haben.

: Sollte man ihn wirklich ständig "dominieren" oder fördert dass bei seinem Charakter eher seine eigene Aggression?

Du meinst selbst, dass ihn das nicht beeindruckt. Er erhält so aber sozialkontakt, was ihn darin bestärkt.

: ... nur in absoluten "Autoritäts-in-Frage-Stellungen" wirlkich auf Mittel wie den Aplphawurf zurückgreifen sollte. Ansonsten natürlich konsequent aber liebevoll!)

Weisst du, was es heisst, wenn er dem alphawurf etwas ernsthaftes entgegensetzt? Wenn er gewinnt, ist das auf dauer. Und wenn man anständig gebissen wurde, vergeht einem die lust auf den alphawurf gehörig. Und andere menschen können nicht ahnen, wie der hund reagiert, wenn sie ihn mal direkt ansehen.

Ich würde auf nummer sicher gehen und jede aggressive handlung seinerseits mit einer sofortigen auszeit ahnden. Sofort FERTIG und hund sofort irgendwo anbinden und 10 - 20 m weggehen. Auch keinen kontakt mit anderen hunden. Das kann jeweils 1-2 minuten dauern. Wenn man dann hingeht, soll der hund liegenbleiben, sonst kehrt man wieder um. Nur wenn erliegt, geht man zu ihm hin.

Die auszeit hat den vorteil, dass der hund aus seiner erregenden situation geholt wird, statt sie durch einwirkungen zu verschlimmern. Und entzug von sozialkontakt ist eine harte strafe.
In der jetzigen phase würde ich auch auf liebevoll genauso pfeifen wie auf alphawurf und mich auf konsequenz konzentrieren. Dazu gehört auch das bestärken aller submissiven/besänftigenden gesten (kopf abwenden, züngeln, hinlegen, auf den rücken legen (kann man mit dem clicker üben!)).
Ich wünsch dir einen kühlen kopf dabei.

tschüß Martin & Mirko



18. März 2001 10:41

Hallo Sonja,
klar kenne ich so einen Welpen *gg* meine eigene war so eine, allerdings nicht mit anderen Hunden, sondern mit mir.
Aber nicht so intensiv, wie Du das schilderst. Das fing mit 12 Wochen an, und ging bis vor kurzem. Im allgemeinen ist sie inzwischen recht umgänglich und hat ihren Platz im Rudel gefunden, denke ich. Ich habe das meisstens mit der Methode, festhalten bis sie aufgibt, geregelt gekriegt, bis auf das letzte Mal, das war recht schmerzhaft fuer uns beide, scheint aber recht wirkungsvoll gewesen zu sein, weil seit dem ist eigentlich Ruhe. Schnauzengriff und Alpha-wurf... naja, da hab ich so meine Zweifel, ob der Hund das nicht u.U. als lustiges Spiel ansieht, da muss meiner Meinung nach mehr dabei sein.... da kommts auf die ganze Haltung des Ranghoeheren an....
Mal schauen wies weiter geht... Mit den Kids alleine lasse ich sie aber nach wie vor nicht. Weiss ja nicht, wo sie noch hin will in der Hierarchie. ;-)
Allerdings ist das auch nicht mein erster Hund, und sie hat jetzt mit einem Jahr 66 cm, bei 37 Kilo Gewicht. Bei einem Kangal wuerde ich aber sicherlich mit mehr Sorgen ans Werk gehen (bis 85cm und ne ganze Menge mehr Kilos!). Aber schreib mir doch, wie sich die ganze Sache entwickelt. Wo wohnst Du?
gruss Martin

18. März 2001 10:52

: Ich würde auf nummer sicher gehen und jede aggressive handlung seinerseits mit einer sofortigen auszeit ahnden. Sofort FERTIG und hund sofort irgendwo anbinden und 10 - 20 m weggehen. Auch keinen kontakt mit anderen hunden. Das kann jeweils 1-2 minuten dauern. Wenn man dann hingeht, soll der hund liegenbleiben, sonst kehrt man wieder um. Nur wenn erliegt, geht man zu ihm hin.

Lese mal die Beschreibung des Kangal unter herdenschutzhunde.de. Ich bin nicht sicher, ob der Entzug von Sozialkontakt bzw Ausgrenzen hier wirklich zum Erfolg führt. Die Bindung an seinen Chef scheint beim Kangal das A und O zu sein.

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: Die auszeit hat den vorteil, dass der hund aus seiner erregenden situation geholt wird, statt sie durch einwirkungen zu verschlimmern. Und entzug von sozialkontakt ist eine harte strafe.

S.o.
ich denke durch das Umleiten auf Ersatzhandlungen, und das Einrichten von Aufgaben, speziell für einen HSH, ist bei dieser Sorte mehr gewonnen.

: In der jetzigen phase würde ich auch auf liebevoll genauso pfeifen wie auf alphawurf und mich auf konsequenz konzentrieren. Dazu gehört auch das bestärken aller submissiven/besänftigenden gesten (kopf abwenden, züngeln, hinlegen, auf den rücken legen (kann man mit dem clicker üben!)).

ich hab mal versucht mich in clickern einzulesen, das ist aber recht kompliziert, wenn man keinen direkten Ansprechpartner hat. Zumindest scheint es mir so.... weiss nicht, ob das in der Geschwindigkeit erlernt werden kann, die hier in diesem speziellen Fall nötig ist.

Martin