: ich glaube, wenn man wirklich von einem hund angegriffen wird, reagiert man
: eh eher reflexartig, vor allem, wenn man wirklich angst hat.
: Ich glaube allerdings, daß Leute, die selbst Hunde haben oder
: viel mit hunden zu tun haben/hatten automatisch "richtiger" reagieren.
Hallo Franziska!
Ich erzähle mal meine Erfahrungen mit Moritz. Vielleicht weiss
jemand was dazu zu sagen.
Als Moritz das erste Mal ausrastete, war sein "Hauptargument" der
Überraschungseffekt -- nicht so sehr das Zuschnappen.
Man reagiert dann in der Tat reflexartig und damit genau so wie
es der Hund erwartet.
Ich würde nicht ausschliessen, dass ein Hund gelernt haben kann,
genau diesen Überraschungseffekt für sich zu nutzen.
: Ich bin übrigens in der hinsicht völlig anderer ansicht, daß man einem
: fremden hund zeigen muss, daß man der ranghöhere ist.
Deiner Meinung!
Ich wüsste auch gar nicht, was das bringen soll.
Schliesslich geht es dem *fremden* Hund bestimmt nicht um
die Klärung einer Rangordnungsfrage.
: Zu der Sache mit dem Hund, den man sich aus dem Tierheim holt, und der
: einen angeht: Wenn ich merken würde, daß das passiert, würde ich in der
: ersten situation erstmal den mit Absicht den kürzeren ziehen, dann so
: schnell, wie möglich in eine zoohandlung gehen und mir ein Maulkorb
: besorgen. Wenn der Hund den dann umhat, kann ich ihm ohne Angst und
: Unsicherheit zu zeigen, wer hier das sagen hat, da ich mich nicht mehr
: vor Verletzungen fürchten bräuchte. Dabei sollte der Maulkorb allerdings
: nur eine vorrübergehende massnahme sein, einfach nur um mir (bzw. dem
: jeweiligen Besitzer) die Unsicherheit zu nehmen, denn ein ständig
: unsicherer Mensch kann für einen hund ganz gewiss kein Alpha sein.
:
: Bis dann
:
: Franziska
:
Hmmm...
ich würde da eher unterscheiden, ob der Hund richtig beisst oder
nur zwickt. Wenn er beisst, könntest Du Recht haben.
Wenn er "nur" zwickt (was auch ganz schön schmerzhaft sein kann --
ich weiss das aus eigener Erfahrung...), will er Dir damit
vielleicht etwas sagen.
Im Falle Moritz (als er bei uns in den Garten machte und ich ihn
daraufhin ausschimpfte) würde ich das nach langem Nachdenken
heute so interpretieren:
"Du A....! Nix darf man hier! Wieso darf ich denn nicht hier
hinmachen? Wir sind doch draussen! Ausserdem habe ich Dünnschiss.
Und im übrigen -- wenn wir schon gerade dabei sind -- wollen doch mal
sehen, ob du wirklich Alpha bist"
Ich weiss, man soll das Verhalten von Hunden nicht vermenschlichen,
aber schliesslich sind Hunde ja auch keine Roboter ... ;-)
In dieser Situation schnappte Moritz meinen Arm und knurrte.
Soweit ich das noch zusammenbekomme, lief alles weitere etwa so ab:
- ich bin die ersten Sekunden ziemlich sprachlos (Überraschungseffekt!)
Ausserdem tut's weh.
- ich ringe mich zu einem ersten Nein, Schluss, Aus oder ähnlichem durch.
Offenbar aber nicht eindrucksvoll genug, denn Moritz lässt nicht locker.
- dann hole ich tief Luft, gebe ein scharfes NEIN von mir
(oder war's AUS ? -- egal) und stosse ihn mit dem Arm weg.
- Das hilft! Er lässt los und springt (um sich abzureagieren?)
durch den Garten wie ein wildgewordener Hengst.
- dabei rennt er unseren Raben und die Enten über den Haufen (nix passiert).
- meine dreijährige Tochter steht hinter mir! Was tun? Am besten ablenken!
- also tue so als ob nichts geschehen wäre, gehe am schnaubenden Moritz vorbei
runter zum Haus und rufe: Komm!
- er kommt, setzt sich brav (!) vor mir hin, wird angeleint, wir gehen raus.
- er ist ziemlich aufgedreht. Als ich ihn auf halbwegs sicherem
Terrain laufen lasse, reagiert er sich sogar an Baumstämmen ab.
- nach zwanzig Minuten ist alles wieder normal.
War das richtig? Was war falsch?
Anregungen? Kritik?
Nun habe ich mir folgendes gedacht:
Wenn es so wäre, dass ein Hund gelernt hat, sich durch Zwicken einen
Vorteil zu verschaffen, eventuell unterstützt durch den Überraschungseffekt,
dann müsste es ihn doch ziemlich verwirren, wenn jemand plötzlich
nicht überrascht ist und anders reagiert als er erwartet.
Wenn er nicht ganz dämlich ist, wird er innehalten und in seinem
Erfahrungsschatz graben, was er in einer solchen Situation denn bisher
so getan hat.
Er wird vielleicht so schnell nichts finden -- und schon haben wir die
Gelegenheit zu agieren anstatt nur noch zu reagieren. Gewonnen!
Als er kürzlich bei einer ähnlichen Situation nämlich wieder zuschnappte,
war ich darauf besser vorbereitet und habe ihn *sofort* ziemlich böse
zurückgewiesen. Interessant war seine Reaktion: er hat umgehend
"Sitz" gemacht und mich angesehen, als ob er sich gar nicht vorstellen
könne, warum ich denn so streng mit ihm sei.
Ich bin ja nun kein Verhaltensforscher, aber allein schon die Erfahrung
mit Menschen bringt mich immer mehr zu der Überzeugung, dass wir
gar nicht so sehr Herr unseres Verhaltens sind, wie manche es gerne glauben
möchten. Auch bei uns laufen Reaktionen zwangsgesteuert aufgrund unseres
Erlernten ab und nur selten werden wir uns dessen bewusst.
Warum sollte es bei Hunden anders sein?
Das klingt jetzt vielleicht doch ein wenig nach Roboter, aber
kein Lebewesen, einschliesslich des Menschen, hat in der Regel
genug Zeit, sich in Stressituationen erst mal lange Gedanken
zu machen, wie es denn reagieren soll. Menschen haben lediglich
ein viel grösseres Repertoire an Erfahrungen und können diese
viel schneller aufgrund ihrer höheren Intelligenz mit der
gegebenen Situation verknüpfen.
Zu dieser Erfahrung gehört natürlich auch das, was wir durch
Abstraktion neu erschaffen (z.B. Verhaltensforschung).
Das können Tiere natürlich nicht. Aber genau deshalb schaffen
wir es ja, dass sich Hunde uns *freiwillig* unterordnen.
Was ich in den vielen Büchern über Hundeerziehung bisher gelesen
habe, geht alles in die gleiche Richtung:
"man muss dem Hund nur einen festen Platz in der sozialen Hierarchie geben,
konsequent sein und dann wird alles gut".
Ich glaube, das alleine reicht nicht.
Ein Hund kann sich sehr wohl ein- bzw. unterordnen, aber es kann
jederzeit eine Situation auftreten, die in ihm eine erlernte
Verhaltensweise hervorruft, die uns -- milde ausgedrückt --
gar nicht passt. Je nachdem, was dem Hund vorher so widerfahren ist
(und bei Heimhunden weiss man das ja nie), kann das ganz
schön ins Auge gehen -- Rangordnung hin oder her.
Auf die Beisshemmung gegen "Artgenossen" würde ich mich jedenfalls
nicht blind verlassen wollen.
Wenn man aber die Signale des Hundes rechtzeitig interpretieren könnte
und durch Überlegung (basierend auf Wissen und Training) seinerseits
"hundegerecht" reagiert, bin ich mir sicher, könnte man jedes in
unserem Sinne unerwünschte Verhalten zumindest entschärfen.
Was ich deshalb auch in all den Büchern vermisse,
ist eine Art Nachschlagewerk mit typischen Verhaltensweisen und
deren Bedeutung -- sofern sie denn einigermassen gesichert sind.
Ich habe schon mehrere Hundeerfahrene zu diversen Verhaltensweisen
befragt und bekam höchst unterschiedliche Antworten.
Das zeigt mir, dass viele hier wohl noch arg im dunkeln tappen.
Es wundert mich zunehmend, dass nicht viel mehr passiert.
Wahrscheinlich deshalb, weil die Hunde uns besser einzuschätzen
gelernt haben, als uns manchmal lieb ist.
Ich finde, dass wir uns zu allererst die Mühe machen sollten, unsere
Hunde richtig zu verstehen, bevor wir sie blind mit Unterordnungsübungen
traktieren.
Viele Grüsse,
Harald.
(immer noch auf der Suche nach einer Methode, Moritz das Schnappen
abzugewöhnen -- und zwar bei *allen* Menschen)