Die Individualität der Kopffüssler
Angeregt durch häufige Beiträge bezüglich des Rückschlusses, das aus der
Individualität der Hunde natürlich auch individuelle Lehrmethoden resultieren
müssen, habe ich mir mal ein paar Gedanken gemacht.
Attila schrieb gestern:
:damit bin ich einverstanden, aber haben wir uns nicht noch vor zwei Tagen (oder so)
: darüber unterhalten, ob "individuelle Hundeseelen" nicht auch individuelle Methoden
: benötigten? Und genau das hast Du bestritten - warum, wenn Du dem Hund seine
: Individualität zubilligst?
Vorab.... ich schrieb einige Tage zuvor einen Vergleich über kindliches und
hundliches Lernen und stellte dann die unten folgenden Fragen, um die
offensichtlich vorhandenen Unterschiede zu verstehen, die für andere hier in
diesem Forum selbstverständlich waren, mir aber anscheinend entgangen sind.
Die Fragen waren:
Kannst du bitte die wesentlichen Unterschiede erklären, sagen wir bei
einem 2-jährigen Kind und einem Hund? Versuch bitte mal einige konkrete
Unterschiede zu erklären, und zwar die Unterschiede zwischen 2-jährigem
Kind und Hund bei 3 ganz konkreten Parametern im Hinblick auf das assoziative
Lernen:
1. die egoistisch begründete Spontaneität des Verhaltens, also dieses
"ich, ich, ich, und noch mal ich"
2. das Vorhandensein von Vernunft als Grundlage zum Verständnis und
des Verstehens von Erklärungen - beeinflusst und eingeschränkt durch
fehlende Erfahrungen.
3. das faktisch komplette Fehlen des Wissen um Verbote - wie natürliche,
moralische, ethische Gebote und Verbote.
Nun dazu 2 kleine Lernaufgaben. Ein dreijähriger Junge soll lernen, einen
Kopffüssler zu malen, ein Hund soll lernen, ein Bringholz zu bringen. Im
Grunde genommen sind das für beide relativ einfache Aufgaben, die man
mit Üben und bei richtigem Lehren schnell erlernen kann.
Aber, keine Lernen ohne Probleme:
Der kleine hat aber keine Lust, weil er gerade mit seinen Autos und der
"sprechenden" Tankstelle spielt. Der Hund hat gerade keine Lust, weil
er gerade eine Mauseloch ausbuddeln muss. Was nun? Was ist zu tun?
Ich nehme also den Kleine konsequent hoch, setze ihn an den Tisch oder vor
die Tafel, gebe ihm seinen Stift oder die Kreide in die Hand und sage ihm:
"Mal bitte einen Kopffüssler". Da ich aber nun zu den "schlauen" Eltern
gehöre, habe ich mir vorgenommen, ihm diesen Kopffüssler vorzumalen:
Einen dicken Kreis, Augen, Nase, Mund, zwei Beine dran fertig. Kopffüssler
gehören ja zu den altersgemässen Fähigkeiten eines 3-jährigen Kindes.
Nur der Kleine hat ganz anderes im Sinne: er schreit und heult, weil er nicht
malen will, er will lieber weiter mit den Autos spielen.... ja... und nun????
Wenn man nun die übliche Ausbildungsszene bei Hunden auf die Malsituation
übertragen würde, würde ich nun mit P+ (Zwang und Brechen des Widerstandes)
arbeiten müssen. Der Junge wird's wahrscheinlich nun machen, er wird sich
fügen, aus Angst, um sich der Situation irgendwie zu entziehen, er ist ja nur ein
kleiner 3-jähriger Junge, der nichts der elterlichen Allmacht entgegensetzen kann.
Er wird merken, genau wie die Ratte, die den Schalter betätigt, damit sie keinen
Stromschlag bekommt, das er die für ihn höchst unangenehme Situation durch
sich-fügen und nachgeben wenigstens wieder in einen neutralen Zustand wechseln
kann. Der "Trieb" ist in diesem Fall auch der gleiche wie beim Hund in traditioneller
Übungssituation oder wie bei der o.g. Ratte: Schadensvermeidung! Die Motivation ist
eindeutig, also folgt nun daraus zweckgebundenes Verhalten.
Wie häufig genau dieses bei Hunden regelrecht fehlinterpretiert wird, kann man
erst erkennen, wenn man einige geistige Mauern und Barrieren überspringt.
O.k., weiter... die anderen Kinder können schon Kopffüssler malen. Die Eltern
seiner Freunde haben schon voller Stolz die ersten Kunstwerke ihrer Zwerge
präsentiert. Also nehme ich mir als auch-stolz-sein-wollender Vater vor, das
nun täglich zu üben.
Jetzt stell ich aber mal folgende Frage: Wird dieser kleine Junge nach diesen
"Übungssitzungen", deren Zeit, Beginn und Ende ich festgelegt habe, das
Angebot der Kreide und des Malpapier in seinem Zimmer irgendwann einmal
von ganz alleine annehmen und malen? Nein, wird er nicht... im Gegenteil, er
wird die Utensilien in die untersten Ecken seiner Spielkisten vergraben.
Genauso wir mein Hund auf Befehl "gebracht" hat, aber um jedes Bringholz
einen weiten Bogen gemacht hat, wenn es einfach nur da gelegen hat. Genauso
wie mein Hund viel lieber den Übungsplatz verlassen hat, als ihn zu Beginn der
Übungsstunde zu betreten.
Nun ja, mein Junge wird bald 4 Jahre alt, er malt heute gerne, und er präsentiert
voller Stolz seine Kopffüssler. Mein Hund bringt heute alles, was man ihr nur
anzeigt und was sie tragen kann. Ob das ein Holz ist, ein Regenschirm, ein
Schuh, Handschuhe, Handtücher, Schuhanzieher, Mützen, Hüte, egal was... sie
bringt alles. Da fällt mir z.B. aus Unachtsamkeit mein Schuhanzieher ins Treppen-
haus runter, ich rufe meinen Hund und sage "Geh mal eben runter". Sie geht runter
und guckt hier und dort. Ich sage 2, 3 mal "falsch" oder "weiter" oder "prima",
dann steht sie am Schuhanzieher und schnüffelt dran, ich sage "Brings" und sie
nimmt ihn auf und kommt damit hoch. Meine Verblüffung war schon enorm.....
Mein Junge kommt und ruft "Papa, guck mal was ich gemalt habe....."
Das "neue" Bringen und die Motivation dazu habe ich meinem Hund mit dem
Clicker beigebracht. Das Malen und die Motivation dazu habe ich meinem
Jungen nach exakt der gleichen Methode beigebracht, zwar ohne Clicker, aber
dennoch mit exakt der gleichen Vorgehensweise.
Und alles was der kleine bisher von mir gelernt hat, hat er nach dieser Methode
gelernt. Im Moment "clickern" wir das Fahrradfahren ohne Stützräder.
Ach ja.... mein Hund hat, ich glaube seit annähernd 5 jahren oder so , keinen
Leinenruck mehr bekommen, kein Stachelhalsband, kein aversives Einwirken
in der Übungssitzung. Und der Ausbildungsstand übersteigt den der älteren
Zeit in einem Maße, welcher nicht mehr vergleichbar ist.
Mein Junge wurde noch nie zu irgendwelchen Lernaufgaben gezwungen, er
hat noch nie Schläge zur Strafe bekommen, nicht mal einen Klaps. Wir lehnen
als Eltern beide in totaler Übereinstimmung Schläge als elterliches Erziehungsmittel
kompromisslos ab. Mein Junge gilt im Kindergarten als ruhig und besonnen, und
nicht sehr wagemutig. In sportlichen Dingen (Turnen) ist er dennoch den anderen
mehrere Schritte voraus, beim Schwimmen steht er zur Verwunderung aller kurz
davor, ohne Schwimmhilfe auszukommen. In Geschicklichkeit und Kombinationsgabe
verblüfft er manches mal alle. Er gilt als gelehrig, als aufmerksamer und guter Zuhörer,
gut erzogen, respektiert Regeln, Verbote, Andere.
Mein Hund gilt als sehr gut erzogen, man weiss, dass sie kein Raufer ist. Die Leute
wundern sich, über die Aufmerksamkeit mir gegenüber, dass sie mich fast kaum
aus den Augen lässt. Am meisten wundern sie sich, wenn ich sie mit "Links" und
"Rechts" quasi wie beim Slalom durch Fussgänger und Radfahrer manövriere und
und Unglauben steht denen ins Gesicht geschrieben.
Was für ein Geheimnis steckt dahinter? Ich könnte ja nun bei meinem Jungen sagen
"Hat er natürlich alles vom Vater geerbt". Aber wie erkläre ich dann die Fähigkeiten
meines Hundes, die u.a. zuverlässig "Rechts" und "Links" unterscheiden kann?
Ich sträube mich vehement, da auch von Vererbung zu sprechen. J
Das Geheimnis ist eigentlich gar kein Geheimnis. Ich favorisiere in beiden Fällen
die antiautoritäre Erziehung, darüber hinausgehend eine autoritative(s) Erziehung/
Lehren.
Und ich favorisiere das Bestärken von operanten Verhalten als die einzig wahre
und wirksame Lehrmethode beim assoziativen Lernen. Und ich habe mit beiden
Clickertraining gemacht.... es lagen zwar unterschiedliche Ziele vor, aber die
Vorgehensweise war identisch. Und eine bessere Bestätigung als die vorliegenden
Resultate gibt es nicht.
Und die jeweilige Individualität beider ist von alledem, was ich jetzt hier schrieb,
in keinster Weise betroffen.
Thomas