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Hundeerziehung + Soziales

Die Anforderungen an einen alltagstauglichen, gut erzogenen Hund waren noch nie so hoch wie heute. Dadurch ist auch das Angebot an Erziehungsmethoden und –hilfsmittel immer mehr gewachsen, nicht immer steht wirkliches Fachwissen dahinter. Hier findest Du Tipps und Ratschläge, die richtige Hundeschule oder den richtigen Hundeverein zu finden, kannst Dich über Trainingsmethoden und –probleme austauschen.  
Die Individualität der Kopffüssler
04. März 2002 07:47

Tschau Thomas

Frag doch mal eine Stephanie Graf, wie Tennis spielen lernte.
Oder wie manches Kind wurde gezwungen was zu tun und machte das am Schluss gut z.B. Mozart usw.. Wenn ich es zwinge das zu malen und dann Freude zeige, wenn es das gemacht hat, dann heißt das nicht, dass es das schlecht macht. Der Zwang ist zum Teil halt ein wenig anders, Liebesentzug usw. Aber es ist Zwang, denn wäre kein Zwang vorhanden, dann wären wir im Himmel, alles freiwillig, nur das was ich gerne mache und trotzdem sind meine Bedürfnisse abgedeckt. Das wird es nie geben.

Gruß P.H


04. März 2002 09:30

Hi Thomas,

was ist die Individualität der Hunde? Es sind Unterschiede in der Konstitution, im Temperament und in der tierischen Intelligenz. Diese Unterschiede betrachte ich als sozusagen aufgeprägte Invarianten, für deren positive oder negative Entfaltung (= Erwachen der besten Kräfte und äußersten Möglichkeiten) der Hund in der Auseinandersetzung mit seiner Umgebung einiges tut, manches aber auch von uns getan wird: eine robuste Konstitution kann durch fehlerhafte Haltung ruiniert werden, ein zügelloses Temperament durch mangelnde Erziehung zu einer Gefahr, eine ruhige Ausgeglichenheit durch mangelnde Zuwendung zur Apathie werden. Die Entfaltung der hundlichen Anlagen wäre folglich Lern- und Gewöhnungsprozessen zuzuschreiben, deren überwiegenden Teil wir gar nicht bewußt steuern, sondern der tagtäglich im Sinne klassischer Konditionierung abläuft. Auf diese Weise entwickeln sich all die liebenswerten Eigenheiten, die unsere Hunde so individuell machen.

Meine Hündin z. B. schläft gern am Fußende meines Bettes und verharrt dort ruhig, bis ich erwache. Sobald ich den Oberkörper anhebe, besetzt sie sofort mein Kopfkissen. Der Rüde hingegen zieht es vor, zwischen Terrasse und Wohnungstür hin- und herzuwandern und hat nur geringe Ambitionen auf mein Bett (manchmal kommt er). Dieses Verhalten haben die Hunde durch irgendeinen Bestätigungsvorgang angenommen, der für mich nicht mehr nachvollziehbar ist; angelernt im Sinne bewußter Steuerung ("Erziehung"winking smiley ist es nicht. Dabei ist das Sich-Aneignen von neuen "individuellen" Verhaltensweisen ein immerwährender Prozeß, so daß einmal angewöhntes Verhalten, z. B. durch Umgebungsänderung, ins Vergessen sinkt, anderes hinzukommt.

Schließlich ist da der Vorrat an Verhaltensweisen, der von uns gezielt bestätigt und schließlich abrufbar, also operant und meinetwegen auch aversiv konditioniert wird, bis zu einem gewissen Grade also menschlicher Kontrolle unterliegt, die teilweise durch gleichzeitige klassische Konditionierungen, die wir im Zusammenhang mit unseren Erziehungsversuchen aufdecken müßten, um den Erfolg letzterer sicherzustellen, wieder zuschanden werden.

So bietet sich mir die hundliche "Persönlichkeitsschichtung" dar. Der Vergleich mit einem zweijährigen Kind ist sicherlich nicht abwegig. Die Gemeinsamkeiten von Kind und Hund in bezug auf die Voraussetzungen von beider Lernverhalten hast Du zutreffend ausgeführt.

: 1. die egoistisch begründete Spontaneität des Verhaltens, also dieses
: "ich, ich, ich, und noch mal ich"
:
: 2. das Vorhandensein von Vernunft als Grundlage zum Verständnis und
: des Verstehens von Erklärungen - beeinflusst und eingeschränkt durch
: fehlende Erfahrungen.
:
: 3. das faktisch komplette Fehlen des Wissen um Verbote - wie natürliche,
: moralische, ethische Gebote und Verbote.

Nun bleibt aber ein Hund immer ein Hund. Die Methode, ihm etwas beizubringen oder zu verleiden, bleibt unter Berücksichtigung seiner "individuellen" Voraussetzungen (s. o.) stets dieselbe, stellt sich lediglich auf gewisse Schwierigkeiten der Fehlverknüpfung ein, die aber immer erworben und nicht konstitutiv sind. Ein Kind jedoch wächst heran. Die simplen Motivations-Mechanismen, die bei der Vermittlung erster Anpassungen an das soziale Verhalten greifen, gehen um so leichter fehl, als sich das kindliche Ich, also die Fähigkeit zur Besinnung auf das eigene Tun und Lassen, entwickelt. Mit dieser Entwicklung wächst gleichzeitig die Fähigkeit zur abstrahierenden Vermittlung über die Einsicht in Gebote und Verbote heran, aber auch der Widerstand gegen dieselben: der Widerstand gegen die Struktur von Befehl und Gehorsam, der bei Deiner Methode, die eine sanfte Annäherung an das Gewünschte (aber immer noch eine Lenkung) sein will, nicht verspürt werden soll. Wir sollten allerdings den Einfluß durch elterliche Lenkung, mit der Peitsche oder mit dem Zuckerbrot, nicht überschätzen. Voraussetzung dieser Lenkung ist Präsenz, und die ist bei Kindern weniger als bei Hunden möglich. Das Kind mit wachsendem Alter über Bestätigung lenken zu wollen, ist eine Illusion; das Kind kann das elterliche Vorbild später negieren und sich in ganz eigene Richtungen entwickeln, wiewohl es ausschließlich über positive Bestärkung "ausgebildet" wurde. Das ganze pädagogische Geschwätz über "Führen" oder "Wachsenlassen" ist geradezu bodenlos; auch ein sich völlig selbst überlassenes, ungebärdiges Kind wird unter dem Druck der konkreten Situation seine Strategien entwickeln. Ein auf Grund elterlichen Zwangs zum Violinespielen angeleitetes Kind wird vielleicht doch ein guter (und sogar freudiger) Violinist. Nicht alle unsere Vorlieben und Abneigungen sind in den Schluchten des Unbewußten und im Reich der Kindheit aufzusuchen.

Die Besinnung auf die Triebfedern des eigenen Tun und Lassens fehlt dem Hund. Er philosophiert daher nicht, noch trachtet er nach Weltverbesserung, noch plant er Revolutionen (oder Auflehnung gegen die Eltern). Die Welt, so wie sie ist, erscheint ihm als die Beste der Möglichen. Bei ihm ist jene Lenkung folglich keine Illusion. Die gewünschten Verknüpfungen können lediglich überformt werden durch noch stärkere Umweltreize, die wir aber in der Erziehung bedenken und zumindest teilweise eliminieren können. Dahr ist die Ausbildung eines Hundes immer Konditionierung und nie Appell an seine Einsicht (weshalb es eben sinnlos ist, dem Hund zu sagen: "Sei schön ordentlich und fromm, bis nach Haus ich wiederkomm." Er wird trotzdem den Teppich zernagen, wenn es bei ihm ein Lustgefühl weckt) und ungleich leichter als Kindererziehung, die sich immer als Gratwanderung zwischen Konditionierung und plausibler Vermittlung herausstellt, deren Verhältnis sich mit jedem Tag verschieben kann und die möglicherweise beide am Ende fehlgreifen. Die Erziehung des Hundes hingegen, methodisch und konsequent ausgeführt, wird niemals fehlgreifen. Jedes Problem ist zumindest fixierbar, und sei es nur als Unbekannte Größe gesetzt auf Grund fehlenden Wissens um die Vorgeschichte eines erwachsenen Tiers.

Bei Deinem Glauben an die durchgängige Wirksamkeit einer "sanften" Annäherung an die Verhaltensweisen von Hund und Kind könntest Du übrigens Deinen Sohn auch beclickern - wieso nicht, wenn die Mechanismen dieselben sind?

Gruß, Attila


04. März 2002 09:59


: Bei Deinem Glauben an die durchgängige Wirksamkeit einer "sanften" Annäherung an die Verhaltensweisen von Hund und Kind könntest Du übrigens Deinen Sohn auch beclickern - wieso nicht, wenn die Mechanismen dieselben sind?

ich empfehle dir mal das buch von karen pryor, falls du das noch nicht
gelesen haben solltest. an irgendeiner stelle beschrieb sie, dass heute
in USA dort nach der methode "verstärkung von operantem verhaltem konditionierung verstärkt, wo es auf spitzenleistungen ankommt. also
z.b. im menschlichen hochleistungssport, bei jetpiloten usw. man hat
erkannt, dass mit herkömmlicher ausbildung und üblichem üben dieser hohe
anspruch nicht mehr erreicht werden kann.

es ist natürlich *nur* ein buch, die meinung von frau pryor... aber ich
glaube ihr das... einfach deshalb, weil ich denke, dass mittlerweile
durch eigene erfahrungen bestätigt zu haben.

g, Thomas

04. März 2002 10:10

: Frag doch mal eine Stephanie Graf, wie Tennis spielen lernte.

ok, dann verrate mir bitte eines: wieviel hundesportler trainieren
so hart wie steffi, setzten schwachen und starken zwang ein, und
kommen dennoch nie über die ortsgruppe hinaus?

wieviel leute, die *so* mit ihrem hund trainieren, schaffen es bis
in die deutsche spitze, oder gar bis auf welt-niveau????

g, T.



04. März 2002 10:41

Hallo Thomas

wow, du kannst das immer so gut erklären. Bist du wirklich sicher, dass du keine Seminare mehr abhalten willst??? Schaaaade! Solch geballtes Wissen...

Es stimmt nämlich schon. Der Mechanismus, der dem Lernen zugrundeliegt ist immer gleich. Das Problem ist nicht die Methode für den Hund zu finden, sondern das Problem ist immer der Mensch. Tja...

Gruss
Jenny

04. März 2002 11:29

: ich empfehle dir mal das buch von karen pryor, falls du das noch nicht
: gelesen haben solltest. an irgendeiner stelle beschrieb sie, dass heute
: in USA dort nach der methode "verstärkung von operantem verhaltem konditionierung verstärkt, wo es auf spitzenleistungen ankommt. also
: z.b. im menschlichen hochleistungssport, bei jetpiloten usw. man hat
: erkannt, dass mit herkömmlicher ausbildung und üblichem üben dieser hohe
: anspruch nicht mehr erreicht werden kann.


Hi Thomas,

im Hochleistungssport wurde nie nur "üblich geübt", sondern Motivations-, Visualisierungs- und sogar Hypnosetechniken (Nun - warum hypnotisiert man nicht sein Kind, um ein bestimmtes Verhalten festzumachen, da doch die Hypnose lediglich aus dem Unterbewußtsein hervorholt, was ohnehin vorhanden ist?) sind seit Ewigkeiten gang und gäbe. Das Sich-Einstellen des eigenen Körpers auf die Bewegung ist mit "trial and error" vergleichbar und führt auf direktem Wege zur operanten Konditionierung: was klappt, das klappt. Nichts Besonderes also.

Ich kann Dir sagen, warum Du Deinen Sohn nicht beclickerst: weil er Dir irgendwann den Vogel zeigen und sagen wird: "Was knackst du eigentlich dauernd mit dem blöden Ding rum?" Spätestens dann, wenn er es sagen kann. Der Hund sagt das nicht, deswegen ist die Methode auch über Jahre erfolgversprechend. Und so degradieren wir seine "Individualität" eben doch zu der einer netten, lieben, anschmiegsamen Reiz-Reaktions-Maschine. Irgendwie widerstrebt mir das.

Gruß, Attila