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Angst" und "Angst""

geschrieben von Ingrid und Sina(YCH) 
Angst" und "Angst""
01. September 2002 10:03


Hi,

es gibt verschiedene Formen der Angst und ich habe eines noch nicht begriffen:

Hunde, die Angst aufgrund von Vererbungen oder schlechten Erlebnissen haben, KANN man dahin bringen, dass diese Angst GANZ weg ist.

Bei Hunden, die keine Prägung haben, kann man verbessern aber die Angst nicht GANZ wegbekommen

Warum ist das so????????????????????????????

Sina, als nicht geprägter Hund mit Angst vor Menschen, müsste doch dahingehend genauso zu de-sensibilierben sein, wie ein Hund, der Angst vor Menschen aufgrund von Misshandlungen hat?

Oder noch besser, der diese Angst aufgrund von Vererbung hat.

Wo ist da der Unterschied??????
Ingrid und Sina


01. September 2002 10:32

: Sina, als nicht geprägter Hund mit Angst vor Menschen, müsste doch dahingehend genauso zu de-sensibilierben sein, wie ein Hund, der Angst vor Menschen aufgrund von Misshandlungen hat?
:
: Oder noch besser, der diese Angst aufgrund von Vererbung hat.

Nein, Sina ist nicht genauso densibilisierbar wie ein Hund, der eine optimale Prägungsphase hatte. Generell kannst Du dran arbeiten, wie Du selber ja schon gesagt hast, kannst Verbesserungen erreichen - Sina kann ja lernen, wie jeder Hund.

Bestimmte Dinge kann aber ein Hund (wie jedes höhere Lebewesen) nur in bestimmten Phasen seines Lebens lernen (der Mensch übrigens auch). Man spricht von "Lernfenstern" - die sind immer irgendwo in der Kindheit zu finden, wenn das Hirn des Lebewesens sozusagen erst "gebaut" wird, gebaut aus einer Kombi aus Erbanlagen und Umwelteinflüssen. Da wir höheren Säuger sehr anpassungsfähig an sehr unterschiedliche Umwelten sein müssen, haben wir relativ wenig "komplette" Erbanlagen im Hirn, die einfach ab einem bestimmten Alter abgerufen werden (Bsp.: Jungtier sucht sofort nach der Geburt die Zitze, das muß es nicht lernen. Es wird geboren und macht das einfach. Das wäre so eine "komplette" Erbanalage.)
Vielmehr haben wir (und auch die Hunde) bestimmte Anlagen im Hirn, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Entwicklung des Hundes (fast alles zw. 8.-12. Woche) über einen bestimmten Außenreiz ausgebildet/abgerufen/etabliert werden müssen. Mußt Du Dir so vorstellen: Irgendwo im Hirn von Sina-Welpe war eine Anlage, z.B. für "Verhaltensweisen im Umgang mit anderen Hunden". Um diese Anlage zum Funktionieren zu bringen, muß zu einem bestimmten Zeitpunkt in Sinas Leben in ihrer Umwelt ein anderer Hund erscheinen, mit dem sie viel toben kann. Nur dann, wenn dieser Reiz da ist, kann die Anlage in ihrem Hirn sich optimal entwickeln und anfangen, normal zu funktionieren (und Sina immer, ihr ganzes Leben lang sagen, was sie bei "Annäherung anderer Hund" machen soll).
Später ist es einfach zu spät dafür, die entsprechende Hirnstruktur ist fertig ausgebildet, aber leider nicht im Sinne des Erfinders, d. h. nicht so, wie die Natur es vorgesehen hatte. Der entsprechende Reiz war zum entsprechenden Zeitpunkt nicht da - die Hirnregion für "Annäherung anderer Hund" wurde trotzdem fertiggestellt, aber eben ohne die entscheidenen Reize von außen. Deshalb sieht jetzt das Hirn von Sina-erwachsen anders aus als das von den anderen ausgewachsenen Hunden und Sina hat Angst vor anderen Vierbeinern, weil ihr Hirn das ganze nicht passend einsortieren kann.

Man kann jetzt nachträglich über Lernen (Desensibilisierung z.B.) noch dran arbeiten und sozusagen minimale Veränderungen an Sinas Hirn vornehmen - aber so große Änderungen wie in ihrer Kindheit möglich gewesen wären, wird man kaum mehr etablieren können. Das Hirn ist einfach von Natur aus bei einem erwachsenen Hund nicht mehr so auf fundamentale Änderungen eingestellt wie beim Welpen, der logischerweise jeden Tag was in seinem Hirn verändert (er wird erwachsen). (Bildlich gesprochen: Ein Baby sieht auf in Wochenabständen aufgenommenen Bildern immer etwas anders aus - der große Hund immer relativ gleich.)

Nochmal zu den Lernfenstern, nur als Beispiele, die Du vielleicht von Dir selber kennst: Selbst ein so flexibles Wesen wie der Mensch (viel weniger festgelegte Instinkte als z.B. ein Hund) hat unverrückbare Lernfenster. Zum Beispiel lernen wir alle wichtigen Bewegungsabläufe vor der Pubertät. Wenn Du vor dem ca. 12. Lebensjahr von mir aus Radschlagen gelernt hast, wirst Du das Dein Leben lang jederzeit abrufen können, immer und überall, selbst wenn Du ewig keinen Sport mehr gemacht haben solltest. Hast Du es nicht gelernt, ist es später VIEL schwieriger.
Oder - bestes Beispiel - Gänsekinder (oder alle Nestflüchter): Die haben schon im Ei und direkt nach dem Schlüpfen ein Lernfenster für "Wer ist Mama". Was hier auftaucht, ist ihre Mama, auch wenn es ein Mensch ist oder eine Autogupe - egal, die Kücken werden diesem Geräusch und dieser Bewegung folgen, immer und ewig. Zehn Minuten später geht nichts mehr, da kann man dann rufen oder hupen soviel man will - das Kückenhirn ist "dicht", Schema "Mama" kann jetzt nicht mehr gelernt werden. Zu spät.

Hoffe, das war nicht zu laienhaft ausgedrückt (schlagt mich jetzt bitte nicht für die Fehler) und einigermaßen verständlich.

Liebe Grüße
josh

Übrigens kann man auch nicht stattgefundene Prägungen nachträglich manchmal, ganz manchmal perfekt nachholen. Aber leider nur selten.

Liebe Grüße
josh

01. September 2002 11:03

Hallo Josh,

das war eine super Antwort und sehr gut verständlich. Das muss ich jetzt noch sehr sehr oft lesen, damit ich es richtig verinnerliche.

Sinas Fehlprägung betrifft ja Menschen, aber ich wohne auf dem Land, so dass das ganz gut klappt. Wir haben auch viel Fortschritte gemacht und waren jetzt im Urlaub sogar mit ihr in Restaurants. Sie hat zwar noch viel Angst und beschwichtigt, aber richtig in Panik (und zwar derart, dass sie aus dem Geschirr rausschlüpft) gerät sie nur noch beim Anblick von grossen Menschengruppen in unbekannten Gebieten.

Wir arbeiten weiter dran, aber ich bin mir bewusst, dass nie in der Nähe von Menschen so richtig unbeschwert sein wird.

Danke für die Antwort

Viele Grüsse

Ingrid und Sina

01. September 2002 21:29

Hallo Josch

: Bestimmte Dinge kann aber ein Hund (wie jedes höhere Lebewesen)

Ich versuche gerade deinen Argumenten zu folgen, stolperte aber auf dies oben - bitte könntest du mir in Bezug auf Hunde den Begriff "höhere Lebenswesen" aus deiner Sicht genauer definieren?

Vielen Dank im Voraus.

Gruss Peter

02. September 2002 07:01

Mmmh, Hunde als höhere Lebewesen - muß zugeben, daß ich wie gesagt jetzt hier keinen wissenschaftlichen, genau nachgeprüften Text produziert habe. Ist alles etwas laienhaft ausgedrückt. Insofern ist der Begriff "höheres Lebewesen" etwas vage, klar. Genauer definieren kann ich ihn glaube ich nicht - kann aber versuchen, Dir zu erklären, was ich damit meine:
Es geht ja bei der Stelle darum, daß bestimmte Dinge von Wirbeltieren (ja, vielleicht ist das die beste Umschreibung für "höhere Lebewesen"winking smiley in Lernfenstern gelernt werden und nicht einfach irgendwann. Andere (niedere) Tiere haben dagegen mehr "komplette" Erbanlagen, die nicht erst noch über bestimmte Umweltreize in bestimmten sozusagen "Fensterzeiten" fertig aufgebaut werden müssen. Ein Regenwurm muß nicht lernen, wie er sich zu verhalten hat, zumindest nicht so, wie ein Hund lernen muß, wie man korrekt mit Artgenossen umgeht. Der Wurm "weiß" einfach, wie er sich benehmen muß. Genauso eine Spinne. Oder - beliebtes Bsp. - ein Frosch: Der hat im Hirn ein Schema für "Fliege". Erscheint in seiner Umwelt etwas, was diesem Schema entspricht, kommt seine Zunge und schnappt zu. Daß tut er immer, wenn er eine Fliege sieht. Gelernt hat er das nicht - er kann's einfach.
Solche sehr fixen Erbanlagen binden aber die Tiere einer Gattung sehr eng an eine bestimmte Umwelt - in einer Welt ohne Fliegen wäre der Frosch schon lange verhungert, weil er die anderen Beutetiere nicht wahrnimmt. Sein Fliegen-Schema ist vererbt, er hat kein anderes und Modifikationen sind nicht vorgesehen.

Ganz im Gegensatz dazu die von mir als "höhere Lebewesen" titulierten meisten Wirbeltiere: Wir haben zwar auch solche fertigen Erbanlagen; aber darüberinausgehend haben wir halt auch Anlagen, die erst über Interaktion mit der Umwelt fertiggestellt werden müssen. Es wäre ziemlich doof, wenn ein Hund nur große Hunde mit bestimmten Körperformen als andere Hunde identifizieren könnte. Weil das ziemlich unvorteilhaft für sein Überleben ist, kommt er nicht mit einem fertigen "anderer Hund"-Schema auf die Welt, sondern hat nur eine mehr oder weniger vage Anlage dazu im Hirn, sein Hirn hat sozusagen eine Planstelle für "Artgenosse erkennen". Diese Planstelle wird dann während der Hirnentwicklung aufgefüllt. Idealerweise mit einem anderen Hund - es geht bei einem domestizierten Haustier wie dem Hund aber auch z.B. problemlos mit einem Menschen. Der Hund hat überhaupt kein Problem damit, Menschen als Artgenossen zu interpretieren (vgl. z.B. die Schutzhunde von Schlegel, die auf Menschen statt auf Hunde geprägt werden - prägen ist der Fachausdruck für Dinge, die ziemlich unlöschbar in den entsprechenden Lernfenstern gelernt wurden). Dadurch ist ein höheres Lebewesen nicht so festgelegt - die Planstelle "Artgenosse" oder von mir aus auch "Beute" ist nicht einfach nur mit "Fliege" belegt wie beim Frosch, sondern mit allem möglichen, was rennt und eine bestimmte Größe nicht überschreitet. Genauso bei "Artgenosse". Dadurch wird der Hund (oder auch der Mensch ;-)) wesentlich flexibler als ein niederes Tier - er kann sich an ganz verschiedene Lebensumstände anpassen; sind keine Hasen mehr da, jagt er eben Rehe oder sonstwas. Der Frosch wäre schon lange verhungert.

Hoffe, es klarer gemacht zu haben,
Grüße
josh

02. September 2002 07:26

Servus Ingrid,

Du schreibst:

: es gibt verschiedene Formen der Angst und ich habe eines noch nicht begriffen:

: Hunde, die Angst aufgrund von Vererbungen oder schlechten Erlebnissen haben, KANN man dahin bringen, dass diese Angst GANZ weg ist.

: Bei Hunden, die keine Prägung haben, kann man verbessern aber die Angst nicht GANZ wegbekommen

Also unterscheidest du 3 Arten von "Ängstlichkeit, wenn ich dich richtig verstehe:

1. Vererbte Ängstlichkeit!
2. Anerzogene Ängstlichkeit durch schlechte Erfahrungen!
3. Angst vor "Unbekanntem" durch mangelnde Prägung!

Ich denke, dass es noch mindestens eine 4.Art geben müßte, die noch dazu die schwierigste Form darstellen müßte, nämlich:

4. Angst durch schlechte Erfahrungen IN DER PRÄGEPHASE!!!

Ich denke, dass Punkt 1 (Vererbte Angst) am schlechtesten wirklich zu definieren ist. Zumeist entsteht diese ja auch vor allem durch den Erziehungseinfluss der ängstlichen Mutter während der Prägephase.

Ansonsten könnte ich mir vorstellen, dass es eine klare Reihenfolge geben müßte von 4. zu 3. und 2. (von "schwer" zu "leichter" zu desensibilisieren)

Inwieweit es gar nicht gelingt, hängt wahrscheinlich von den Erbanlagen (Punkt1) und sonstigen individuellen Umständen ab (auch von der Einfühlsamkeit des Hundeführers, der Umgebung etc.....).

Aber außschließen würde ich die "Möglichkeit" nicht rigoros.

Interessant wäre für mich noch die Frage, inwieweit sich diese Ängste besser in den Griff kriegen lassen, wenn sich ein sicherer unerschrockener 2.Hund an der "Erziehung" beteiligt. Ich denke der Einfluss müßte sich günstig auswirken.

Liebe Grüsse

Alex & Aris