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Angstaggression?

geschrieben von Anja(YCH) 
Angstaggression?
14. Juni 2003 16:05


Meine 18-monatige weisse Schaeferhuendin ist sehr aengstlich. Wir haben sie seit dem Welpenalter. Von Anfang an war sie sehr scheu und zurueckhaltend und auch heute noch zuckt sie bei ploetzlichen Geraeuschen zusammen. Schon im Welpenalter habe ich sie deshalb viel zu Grillfesten und zu Freunden etc. mitgenommen, in der Hoffnung, dass sie sich an fremde Menschen gewoehnt. Sie hat sich dann immer unter den Tisch gelegt und wollte von niemandem behelligt werden. Wir waren auch ueber einige Wochen mit ihr auf dem Hundeplatz und zur Welpenspielstunde. Waehrend saemtliche Welpen wild herumgetollt sind, ist Laika mir nicht von der Seite gewichen.Ist ein anderer Welpe zum spielen auf sie zugekommen, hat sie sofort die Flucht ergriffen. Ich hatte den Eindruck, dass sie immer froh war, wieder von dort wegzukommen. Wir haben ausserdem einen 3-jaehrigen Husky-Rueden, mit dem sie sich aber sehr gut versteht und mit dem sie auch gerne herumtollt.

Bekamen wir Besuch, hat sie sich bis zu einem Alter von ungefaehr 6 Monaten in die hinterste Zimmerecke verkrochen. Mit sieben, acht Monaten hat dann ihr problematisches Verhalten angefangen: Wann immer wir spazieren gingen und uns andere Spaziergaenger oder andere Hunde entgegen kamen, fing sie an, sich wie eine Furie aufzufuehren. Sobald wir ungefaehr noch 30 Meter von Passanten und/oder anderen Hunden entfernt sind, ist sie ploetzlich ganz angespannt, duckt sich und rast dann unter knurren und bellen 'wie von der Tarantel' gestochen los, um wen auch immer in die Flucht zu schlagen. Ist sie in einer solchen Situation angeleint, versucht sie genau dasselbe, mit dem Unterschied, dass sie dazu noch an der Leine zerrt und es mir fast unmoeglich ist, sie zurueckzuhalten. Ich lass' sie dann am Wegesrand 'Sitz' machen und lasse Fussgaenger, Radfahrer und Hunde passieren. Sie verhaelt sich dann ruhig und wartet bis wir weitergehen. Es ist allerdings schier unmoeglich zusammen mit ihr an einer Gruppe von Leuten etc. vorbeizugehen. Sie wird dann von einer regelrechten Panik ergriffen, zeigt oben beschriebenes, aggressives Verhalten und zerrt anschliessend vehement an der Leine um sich moeglichst schnell von der 'drohenden Gefahr' wegzubewegen. Ich bin sicher, dass Angst und nicht Dominanz der Ausloeser fuer ihr Verhalten ist. Dominanz kenne ich von unserem Husky-Rueden und das sieht ganz anders aus. Wenn wir heute Besuch bekommen, stuerzt sie auch unter knurren und bellen zur Tuer, so dass Besucher erst mal einen leichten Schock kriegen. Anschliessend laesst sich aber dann sofort auf ihren Platz schicken.

Ich habe beide Elternteile kennengelernt und beide haben einen sehr ausgeglichenen Eindruck gemacht. Eigentlich kann also nur ich irgendwas verkehrt gemacht haben. Trotz intensiven Nachdenkens bin ich aber nicht daraufgekommen, was es sein koennte.
Ansonsten ist sie ein klasse Hund und beherrscht alle moeglichen Kommandos problemlos: 'sitz', 'platz', 'bleib' ,'aus' ,'geh platz', 'komm' usw.
Ich wohne zur Zeit in Belgien, so dass der Besuch einer Hundeschule aufgrund mangelnder Franzoesisch-Kenntnisse eher schwierig waere. Ausserdem werden wir naechsten Monat nach Alaska umziehen, so dass ich in den naechsten Monaten auch keine Moeglichkeit haben werde in dieser Richtung aktiv zu werden. Im Moment bin ich also hauptsaechlich daran interessiert, Ratschlaege zu kriegen, die ich sofort und ohne Hundeschule-/Trainer umsetzen kann. Vielleicht hat ja jemand schon mal aehnliche Probleme mit seiner Huendin oder seinem Hund gehabt? Ich jedenfalls bin im Moment mit meinem Latein am Ende und wuerde mich ueber jeden kompetenten Ratschlag freuen,

Anja



15. Juni 2003 07:50

Hallo Anja,

ein schwieriges Problem, dass sich kaum online lösen lässt, gerade wenn Agressionen im Spiel sind. Abgesehen davon hat sich das Verhalten jetzt über ein Jahr verfestigt, was die Sache nicht einfacher macht. Zu grübeln, wo die Ursachen liegen?? Bringt im Moment nicht soviel. Von weißen Schäferhunden hört man immer wieder mal von Ängstlichkeit über das normale Maß hinaus. Scheint wohl eine bestimmte genetische Disposition zu geben, so dass diese Hunde wahrscheinlich auch weniger "fehlertolerant" als andere sind.

Vielleicht so als Grundsatz regel: unerwünschtes Verhalten komplett ignorieren, erwünschtes Verhalten schon im Ansatz bestärken und loben. Angst kann man nicht bestrafen, dass macht alles nur schlimmer. Den Weg der kleinen Schritte gehen und gerade ein ängstlicher Hund braucht Sicherheit durch konsequente Einhaltung von Regeln und "Berrechenbarkeit" in dieser Hinsicht zu seinem menschlichen Partner.
Versuchen alle angstbereitenden Situationen positiv zu gestalten, dabei dem Hund z.B. keine "menschlichen" Kontakte aufzwingen. Bei jeder Aktion mit Hund ins Gedächnis rufen: der Mensch agiert, der Hund reagiert. dem Hund soviele Entscheidungen wie möglich abnehmen.

Ein Buchtipp: "Probleme mit dem Hund-verstehen und vermeiden" von Celina del Amo

Viel Glück

Grüsse Doris

15. Juni 2003 09:37

Hallo Anja,

angstbedingte Aggression ist ebenso wenig tolerierbar wie jede andere Form aggressiven Verhaltens. Für den betroffenen Mitmenschen ist es nämlich völlig egal, warum er von einem Hund angegangen wird.

Auch bei einem angstaggressiven Hund nutzt es nicht als Typus "pädagogische Fee" vorzugehen und den Hund aufgrund seiner (vermeintlichen) Ängstlichkeit zu huscheln. Bei angstaggressiven Hunden passiert genau das, was du schilderst: zuerst haben sie nur Angst und verdrücken sich, später bekommen sie ein wenig mehr Mut, gegen vorwärts und haben darin bisweilen Erfolgserlebnisse, die sie in diesem Tun bestärken.

Gerade auch ein unsichere Hund erlangt Sicherheit dadurch, dass man selbst Führung zeigt und ihm damit klarmacht, das es nicht seine Aufgabe ist, Problemsituationen zu bewältigen. Gerade ein Hund, der nicht das psychische Format dazu hat, sollte nicht in eine Führungsrolle gebracht werden, weil man diese nicht selbst ausfüllt.

Du beschreibst, dass einige Kommandos deinem Hund bekannt sind. Die kannst du dann doch verwenden, um dem Hund eine Alternative zu seine Ausrastern aufzugeben. Das bedeutet dann eben üben üben üben. Zuhause wird der Hund in eine Ecke und nicht unbedingt in Nähe der Tür oder Fütterungsstellen ins Platz geschickt, wenn Besuch kommt. Aufstehen darf, er wenn der Besuch drin ist, begrüßt wurde und der Hund ruhig ist.

Draussen bei Begegnugnen übst du bei Fuß gehen, ganz egal wer oder was sich nähert. Je mehr du das übst, desto zuverlässiger wird der Hund folgen. Er kann nur eins von beiden: bei Fuß gehen oder pöbeln; im Platz liegen oder Besucher anfallen. Verstehst du?

Der Hund bekommt keine Aufmerksamkeit für sein aggressives Tun. Das Zielobjekt darf ihn bestenfalls ignorieren. Sollte der Hund trotz klarer Vorgaben von dir dennoch auf den anderen losgehen, kann man das mit einem Helfer trainieren, der sich mit einer Sprühflasche "bewaffnet". Der Angriff des Hundes auf den "Feind" führt dazu, dass er von diesem einen Wasserstrahl ins Gesicht bekommt. Wirkt oft Wunder und führte bei dem letzten Hund, der mich fast im Sekundentakt anfiel dann dazu, das die Sache nach 1, 2 Minuten erledigt war und wir vernünftig mit dem Hund arbeiten konnten.

Ds ist aber nur der Einstieg, um überhaupt in eine Übungssituation gelangen zu können. Danach heisst es Vorgaben in Form von Alternativhandlungen zu machen und den Hund *schrittweise* zu desensibilisieren. Die Betonung liegt durchaus auch auf "Vorgaben". Nicht der Hund bestimmt, wie der äußere -und damit einhergehend auch innere- Konflikt gelöst wird.

Wie das im Einzelfall dann konkret aussieht, ist aus der Ferne natürlich schwer zu beurteilen. Beobachte den Hund und schau, ab welcher Distanz zu anderen der Stress für ihn beginnt. Versuche die Übungseinheiten möglichst so aufzubauen, dass die Distanz anfangs groß gewählt wird und nur so weit verringert wird, das der Hund gerade noch ruhig bleibt und deinen Vorgaben zu folgen in der Lage ist.

Beispiel: Dir kommt auf der Strasse ein anderer Hund entgegen.
Gib`deinen Hund bei Fuß vor, wechsle die Strassenseite und passiere den anderen auf diese Weise.
Nächster Schritt, gleiche Situation. Du wechselst nicht mehr die Strassenseite, sondern machst auf der gleichen Seite einfach einen Bogen um die parkenden Autos herum, auch alles bei Fuß.
Nächster Schritt: du verläßt nicht mehr den Gehweg, sondern läufts nur einen kleinen Bogen bis zum Rande. Alles bei Fuß und dein Hund auf der Seite von dir, die dem anderen Hund abgewandt ist.
Nächster Schrittgrinning smileyie Bögen werden merklich kleiner, bis du geradeaus weitergehen kannst.

Wenn ihr am anderen Hund vorbei seid, wird dein Hund jeweils belohnt, wenn er seinem Kommando brav und ohne Pöbeln gefolgt ist. Bisweilen hilft es, dann mal ein paar Meter zu rennen und sich gemeinsam zu freuen, hilft beim Spannungsabbau.

Andere Möglichkeit: man geht auf Distanz zum anderen Hund parallel zu diesem udn verringert die Distanz immer weiter, jeweils in dem Maße, wie dein Hund noch bei Fuß geht und nicht austickt. Kann man sonntags auf einem Parkplatz üben.
In jedem Fall würde ich bis zu diesem Stadium immer in Bewegung bleiben udn den Hund in den für ihn stressbeladeen Situation nicht ins Sitz oder Platz befehlen. Wenn es in Bewegung funktioniert, dann kann man auch das angehen.

Man sollte versuchen, jede Zögerlichkeit und jedes übermäßige Grübeln während des Trainierens abzulegen. Nachdenken und Strategien entwickeln kann und sollte man im Vorfeld. oder während Unterbrechungen, Pausen. Je klarer und bestimmter man in seinem Handeln ist, umso eher folgt der Hund. Das hat nichts mit Härte oder Gewalt zu tun!

Viele Grüße,

andreas

16. Juni 2003 07:18

Hallo Anja,

zuallererst, such die Schuld nicht bei Dir, dass sie so ist. Ich selbst habe ebenfalls einen ängstlichen Hund aus einer Zucht, die ansonsten ausgeglichene, freundliche, soziale Hunde hat (inclusive der Eltern). Ich denke, dass bei deiner Hündin, wie bei meiner auch, ein genetischer Defekt vorliegt (manche nennen es auch Wesensschwäche). An dieser Grundkonstitution kann man erst mal nichts ändern, also ist es das Beste, man akzeptiert es und versucht erst gar nicht, es ändern zu wollen.
Danach kann man langsam daran gehen, in kleine Schritten und mit sehr geringer Anforderung und vor allem ohne jeden Druck, den Hund mit für ihr schwierigen Situationen zu konfrontieren. Eine ganze Menge Leute auf einem Grillfest ist für sie ganz bestimmt zu viel. Ein netter Mensch, der einen beim Spaziergang begleitet und nach einiger Zeit vielleicht mal versucht ein Leckerchen zu geben oder einen Ball zu schmeißen, das ist ein Anfang. Bei meiner war ich anfangs schon froh, wenn sie sich überhaupt für ihr Bällchen interessiert hat, wenn es ein Fremder geworfen hat. Heute sind wir so weit, dass sie sogar mit anderen Zerrspiele macht und dabei ihre Unsicherheit fast vergisst (Wichtig: der Hund gewinnt natürlich dann immer).
Sprich: Du solltest sie gaaaaannnnzzzz langsam daran führen, positive Erlebnisse mit fremden Menschen zu verknüpfen und sie möglichst vor Situationen wie Menschengruppe o.ä. verschonen. Sie wird nie ein offener, menschenfreundlicher und selbstsicherer Hund werden, aber sie wird sicherlich mehr Unbefangenheit und Gelassenheit lernen können.
Noch mal: das Wichtigste ist, du akzeptierst sie erst einmal so wie sie ist und verlangst von ihr nichts, was sie nicht freiwillig zu geben bereit ist.

Viel Glück und wenn du noch weitere Fragen hast, melde dich.

Viele Grüße
Anna