Ode an den Hund.
02. Mai 2003 15:33

… oder wie wir unsere Nachbarn um ein ritualisiertes Spektakel brachten.

Ein ganz normaler Freitagnachmittag: Frauchen steht im Wohnzimmer und bügelt, Mama steht an der Wohnungstür und redet mit einem Nachbarn, Papa werkelt auf der Terrasse. Die Tür zur Terrasse ist offen, draußen nieselt es leicht. Der Hund liegt ein paar Meter von mir entfernt.
Als ich das nächste Mal vom Bügeln aufsehe ist es leise auf der Terrasse, der Hund ist weg, nur die Mama hört man noch plaudern. Ich bin sofort in Alarmbereitschaft, gehe auf die Terrasse und ja, wie könnte es anders sein? Terrassengatter offen, Hund und Vater weg. Wobei er nur von der Terrasse läuft, wenn das Gatter offen stehen bleibt, durch die Hecke springt er nie. Der Hund natürlich, nicht der Vater.

Ein letzter Hoffnungsschimmer: „Mama? Mama! Ist der Hund bei dir?“ „Nein, wieso…“ sprichts und guckt auf die Terrasse, sieht das offene Gatter und schlägt dem Nachbarn die Tür vor der Nase zu. Wortlos gehen wir los.

Schwer nachzuvollziehen ist es ja nicht, wo Sammy entlanggelaufen ist. Ihr müsst nämlich wissen, dass wir in einer Wohnsiedlung leben, mit fast 100 Parteien und weil das Wetter schlecht ist sind die meisten daheim, in den Wohnungen, auf ihren Terrassen oder in ihren überdachten Gärten.

Naja, keine fünf Meter von unserer Terrasse entfernt treffen wir eine erste Nachbarin, die beim Versuch irgendetwas im Gebüsch zu erspähen fast die Böschung zum Bach hinabfällt. Ich muss gar nicht erst fragen WAS die Nachbarin da im Gebüsch gesehen hatte, aus Erfahrung weiß ich aber, dass ES mit Sicherheit nicht mehr dort ist. Wenigstens weiß ich jetzt die Richtung…

Also gehe ich weiter, Mama bleibt stehen um mit der Nachbarin zu sprechen. Da höre ich ein ziemlich vertrautes Bellen, ich weiß, dass irgendjemand versucht hat Sammy ranzulocken. Dann bellt er immer. Und wirklich: die nächste Nachbarin winkt von der Terrasse runter: „Da ist er lang!“ und zeigt in den Innenhof. „Ich hab ihn gerufen, aber er ist weitergelaufen, den Abhang runter.“ Ich nicke und gehe weiter.
Mittlerweile kommen mehr und mehr Nachbarn aus ihren Wohnungen – Jetzt ist Showtime.

An der letzten Wohnung zum Abhang hin ruft der nächste Nachbar aus dem obersten Stockwerk „Ich kann ihn sehen! Da! Da, ganz hinten bei den letzen Wohnungen ist er!“. Ich bleibe stehen, weiß dass Sammy in Hörweite ist. Ich ringe mit mir, das letzte mal als er seine „Hofrunden“ drehte ist über ein dreiviertel Jahr her. Wir haben viel gelernt, soll ich’s riskieren? Ich rufe. Dann pfeife ich. Aus der Entfernung kann ich sehen wie sich seine Ohren bewegen, er hält inne. Die Nachbarn tuscheln. Er geht noch ein paar Schritte weiter, zögerlich. Die Vorfreude der Nachbarn steigt. Ich rufe wieder. Er pinkelt. Seelenruhig.

Ich kann die Blicke der Nachbarn spüren, sensationslustig warten sie darauf, dass Sammy mit der Schnauze hoch in der Luft und wehender Rute seine Runden durch die Gärten zieht. Wie immer. Angespornt von dem Lachen der Nachbarn.
In diesem Moment fetzt er los, wie ein Mini-Afghane mit Turboantrieb, jedenfalls "at highspeed" und – nein, nicht in schönen Zirkeln und Achten wie er es sonst so gerne tut (ich konnte es kaum glauben) sondern schnurstracks in MEINE Richtung!

Mein Herz hüpft richtig: ein jubelndes „JAAAA!“ (als Ersatzklick) und da ist Sammy über die Böschung rauf, er orientiert sich kurz, denn er hatte mich von unten nicht gesehen und schießt weiter in meine Richtung. Ich empfange ihn in der Hocke, stecke im ein Stück Topfenstrudel zu (den ich natürlich in weiser Voraussicht eingesteckt hatte), ernte einen entgeisterten „Wääääh, Topfenstrudel!“-Blick und nehme ihn – in Ermangelung einer Leine und nicht gewillt weitere Sperenzchen zu provozieren – auf den Arm. Den Hund, nicht den Topfenstrudel.

Wir triumphieren, beide. Sammy weil er der klügste, tollste Hund der Welt ist und ich weil der klügste und tollste Hund der Welt meiner ist. ;-) Natürlich war das heute nur ein klitzekleiner Schritt auf einem langen, langen Weg und möglicherweise machen wir schon morgen wieder einen ganz großen Schritt zurück... (ich klopfe jedenfalls auf Holz.)

So glücklich wir zwei auch sind, umso enttäuschter sind die Nachbarn, es regnet halbherzige „Der ist aber brav.“ und enttäuschte „Heute gings aber schnell.“ Eine alte Dame in der Eckwohnung ruft „Er wollte gar nicht weglaufen, er wollte dir nur zeigen was für ein feiner Kerl er ist.“

Wer weiß, vielleicht ist da was Wahres dran...

Liebe Grüße
Melli und Sammy


02. Mai 2003 17:41

Hallo Melli,

gratuliere zu deinem Prachtkerl und............

.....zu deinem tollen Schreibstil ;-))) (ich hab mich köstlich amüsiert)

Liebe Grüsse

Alex & Aris

PS.:......neben mir sitzt Ronni in Pose. Er ist in den letzten Tagen kaum ansprechbar, weil er vor einiger Zeit mit uns das "Herr-der-Ringe-Video" gekuckt hat und jetzt behauptet, er wäre kein Terror-Terrier, sondern "EIN LEIBHAFTIGER BALROG!"

02. Mai 2003 18:01

Hallo Alex, Aris + Ronni!

: und jetzt behauptet, er wäre kein Terror-Terrier, sondern "EIN LEIBHAFTIGER BALROG!"

;-))) Also dann mal ganz viele liebe Grüße von meinem momentanen "Finrod" (heißt "Der Treue" und "Freund der Menschen"winking smiley an deinen Balrog...

Melli und Sammy, dem Höhlentroll (oder doch ein Ork?)

03. Mai 2003 08:44

Hallo Melli,

auch von mir herzlichen Glückwunsch.

Aber warum Topfenstrudel? Wenn schon verbotene Stimulanzmittel, dann
richtig: mit Sachertorte oder Schwarzwälder Kirsch lassen sich noch einige Prozenz rauskitzeln....

Liebe Grüße
Stefan


03. Mai 2003 12:07

Hallo Stefan!

: Wenn schon verbotene Stimulanzmittel, dann
: richtig: mit Sachertorte oder Schwarzwälder Kirsch

:-) Hmmm... irgendwie hatte ich nicht die Muse mich noch an den Herd zu stellen und WENN schon dann so und so nur die Original Sachertorte *schmunzel* Wozu wohnt man denn in Österreich??

Liebe Grüße vor allem an Morpheus
Melli und Sammy

PS: Falls du dich fragst was das auf dem Foto ist: DAS frisst Sammy nämlich wirklich gerne und stellt die letzten Reste eines rohen Hühnerflügels dar winking smiley

03. Mai 2003 20:46

: … oder wie wir unsere Nachbarn um ein ritualisiertes Spektakel brachten.
:

Hallo Melli,

tja, die armen Nachbarn.... *grins* Glückwünsche an dich!!!
Ich sitze hier und lache immer noch. Haste sehr gut und anschaulich erzählt....

Leider kann ich das Bild nicht öffnen :-(((
Bei mir geht das blöde rote Kreuz nicht auf. Aber egal, die Geschichte habe ich in einem Rutsch gelesen. Du hast das richtig spannend erzählt...

Liebe Grüße
von Petra und Kid dem Wäller!