Hallo Marion,
: Welchen Sinn hat es einen Hund so auszubilden, wenn er doch nicht als
: Schutzhund eingesetzt wird?
Hier mußt Du anders fragen! Welchen Sinn hat der SchH-Sport
a) für den Hund?
b) für den Menschen?
c) für die Zucht?
a) Für den Hund ist der SchH-Sport in sofern sinnvoll, als daß er fast sein gesamtes angeborenes Triebpotential ausleben kann (die Ausnahme ist eigentlich nur der Sexualtrieb), etwas, was ihm ansonsten in unserer modernen Umwelt kaum noch geboten werden kann. Wo kann er sonst noch Spür-, Beute-, Bewegungs-, Meutetrieb usw. so gebündelt ausleben?
Jedes Lebewesen besitzt ein natürliches Aggressionspotential, ohne dieses wäre ein Zusammenleben in einer sozialen Struktur unmöglich (Und deswegen dürfen wir auch nicht versuchen, es unseren Hunden "abzuzüchten"! Die Folge davon wären assoziale Hunde...). Wir Menschen können dieses in sehr vielen aggressionsbetonten Sportarten ausleben, z.B. Tennis oder Fußball. Wo kann der Hund heute noch lernen, mit seinem natürlichen Aggressionspotential umzugehen und es auszuleben? Der Hund betrachtet den Schutzdiensthelfer ja nicht als einen Feind oder als Beute, die getötet oder schwer verwundet werden soll. Der Schutzdiensthelfer ist für ihn ein gleichstarker, ebenbürtiger Sozialpartner, mit welchem um die "Beute Schutzarm" fair und nach ganz bestimmten Regeln gerungen wird, die übrigens denen in einem Wolfs-/Hunderudel weitgehend entsprechen (auch dort wird Agrression ritualisiert, genau wie im Schutzdienst, da ein Sozialpartner niemals ernsthaft verletzt werden soll). Ein ordentlich durchgeführter Schutzdienstaufbau fördert also keine Aggression, sondern kanalisiert sie, wie es bei uns Zweibeinern im Sport geschieht.
b) Für den Menschen ist es eine ganz besondere Herausforderung, einen Hund im SchH-Sport auszubilden. Dieser Sport besteht aus drei ebenbürtigen Sparten (Fährtenarbeit, Unterordnung und Schutzdienst), und erfahrungsgemäß hat jeder Hund und jeder Hundeführer naturgemäß eine "schwache" Sparte. Du mußt sehr sehr viel Zeit und Arbeit investieren, um einen Hund über BH (jeder Hund, der im SchH-Sport geführt wird, muß zuvor erfolgreich eine Begleithundeprüfung ablegen), SchH1, SchH2 und SchH3 bis hin zu evtl. Teilnahem an Wettkämpfen und Meisterschaften auszubilden. Wir reden hier jetzt von Jahren, nicht Wochen und Monaten, in denen Du Dich mit den Schwächen Deines Hundes (jeder Hund hat Schwächen) und vor allem Deinen eigenen Schwächen (und jeder Hundeführer hat Schwächen) auseinandersetzen mußt, jeden Sonntagmorgen, auch bei Wind und Wetter, den inneren Schweinehund überwinden mußt, damit Du um 6 oder spätestens 7 Uhr aus den Federn kommst, um Fährte suchen zu gehen, bei Minusgraden auf dem Platz stehst, um Kollegen in der Unterordnung und dem Schutzdienst zu unterstützen (das tun sie bei Dir schließlich auch) usw. Eine hohe Punktzahl in einer großen Prüfung ist hier gar nicht so wichtig, es sind vielmehr die "kleinen Erfolge", welche diese Art der Beschäftigung mit dem Hund so interessant manchen, z.B. wenn Du mit einem "Handicap-Hund" ein bestimmtes, für Außenstehende kleines, für Dich ein sehr großes, Ziel erreichst, wenn Du mit einem Hund, der z.B. immer bestimmte Probleme in der Fährte hatte, zum ersten mal, ganz ohne Zuschauer und Brimborium, eine schwierige Fährte, vielleicht noch im störmenden regen, korrekt abgesucht hast usw. Das sind dann Hummeln im Bauch, wenn Du merkst, daß sich monate- oder gar jahrelange Arbeit, ein ganz bestimmter Weg, den Du selbst gewählt hast (oftmals gegen alle möglichen Unkenrufe von anderen "Experten"
, sich ausgezahlt haben. Das Verhältnis zu Deinem Hund ändert sich grundlegend, wird sehr viel tiefer, auch wenn man sich das nicht so ohne weiteres vorstellen kann. Das ist nicht nur mein Gefühl, sehr viele Anfänger in dieser Sportart, die vorher auch schon diesen oder auch andere Hunde gehalten haben, haben es mir bestätigt. Du wirst ein eingeschweißtes Team mit Deinem Hund, ihr habt zusammen "Jagderfolge", die der Verständigung bedürfen und über das simpele Stöckchenwerfen weit hinausgehen.
c) Für die Zucht der sog. "Gebrauchshunderasen" ist eine Selektion über Leistung und Gesundheit unerläßlich, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten; hierzu ist der SchH-Sport unerläßlich. Zwar sollte nicht jeder Hund, der eine SchH-Prüfung mehr oder weniger erfolgreich abgelegt hat, in die Zucht gehen, aber der Verlauf der Ausbildung eines Hundes, seine mentale und körperliche Belastbarkeit, sein Beutetrieb, sein Wechsel in den einzelnen Triebbereichen, seine Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen usw., das alles sagt mir sehr viel aus über den einzelnen Hund, seine Vorzüge und Nachteile in der Zucht und vor allem, worauf ich bei der Wahl eines Zuchtpartners unbedingt achten muß, damit wertvolle Gebrauchshundeeigenschaften erhalten bleiben.
SchH-Sport ist eine sehr anspruchsvolle Hundesportart und hat gar nix damit zu tun, einen Hund unkontrolliert einen wattierten Watschenmann beißen zu lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der von Dir beschriebene Dobermann ein wirklich guter Schutzhund ist. Ggf. sind seine Triebveranlanungen vielversprechend, das ist etwas ganz anderes, aber zum SchH-Sport gehört viel mehr als einen talentierten Hund ander Leine zu haben, das sagt noch rein gar nix aus über die Eigung seines Hundeführers. Ein Ferrari hat auch super Eigenschaften, wenn er irgendwo auf dem Parkplatz steht, aber wenn Du nicht Autofahren kannst, kommst Du damit nicht heil um die nächste Kurve...
Viele Grüße
Antje