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Und keiner will Schuld sein........

geschrieben von Niki(YCH) 
Und keiner will Schuld sein........
02. Februar 1999 23:57

Hallo Ihr alle!!!
Ich muß etwas loswerden, was mich ziemlich nervt:
Meistens, wenn ein "Unfall" mit "Kampfhunden" passiert, wollen die Besitzer nicht die Schuld tragen. So etwas ist in meinen Augen feige und inkompetent einen solchen Hund zu führen!!!!
Auch mit meinem Hund ist etwas passiert:
Ich gehe seit mein Staff 9 Wochen alt ist, jeden Tag mit zwei anderen Hunden spazieren. Es handelt sich um einen 2 Jahre alten Staff und einen 7 Jahre alten Schäferhund-Rottweiler-Mix.
Als der Vorfall passierte, war mein Hund 11 Monate. Wir gehen also wie immer unseren Weg. LEIDER waren die Hunde OHNE Leine. Plötzlich kam wie aus dem nichts (es war 23.00 Uhr), ein angeleinter Mischling mit Frauchen. Auf einmal bellte er den Schä.-Rott.-Mix an, der sofort auf den Anderen losging. Dann auch der Staff meines Kollegen. Meiner zögerte erst, doch dann lief er auch dort hin. Ich hatte keine Chance ihn zu packen. Es gab eine wilde Beisserei. Ich nahm meinen Hund als erstes weg und dann die Anderen. Der Mischling blutete und mein Kollege und ich fuhren mit der Frau zum Tierarzt, der Notoperieren mußte. Leider hatte der Mischling keine Chance. Er erlag seinen Verletzungen.
Ich stehe VOLL zu meiner Schuld. Soll heißen, nicht mein Hund war Schuld, sondern ich. Mein Staff hat nur getan, was im Rudel üblich ist:
Mitziehen und sich nach den älteren Beiden richten.
Natürlich habe ich eine Versicherung, aber sie bringt den Hund nicht wieder. Leider sind nicht alle "Kampfhundbesitzer" so ehrlich. Im Gegenteil, sie wundern sich, wenn "Kampfhunde" verhasst sind.
Ich habe aus meinem Fehler gelernt. Ich lasse ihn nur noch an der Leine, außer auf unserem Privatgrundstück.

Biss dann,
Niki



03. Februar 1999 08:18

Hallo Niki,

ich glaube, daß die von Dir angesprochene Problematik nicht spezifisch für die sog."Kampfhunde", bzw. deren
Besitzer ist. Solche bedauerlichen Unfälle können wohl mit allen Hunden passieren, insbesondere wenn diese als
Rudel auftreten.
Das eigentliche Problem ist wohl ein menschliches, nämlich das Bedürfnis sich aus der Verantwortung für etwas, das
man selbst sicherlich auch nicht gut heißt, zu stehlen. Dazu zu stehen zeugt sicherlich von einer gewissen Größe,
welche aber rasseunabhängig (ich meine da natürlich die Rasse des gehaltenen Hundes) ist
Viele Grüße,
Holger (mit Ajax & Danessa)

03. Februar 1999 08:58

Liebe Niki,

ich kann mir lebhaft vorstellen, daß Dir dieses Erlebnis gewaltig an die Nieren geht und Dir Schuldgefühle macht. Das ist für mich die NORMALE Reaktion eines Hundebesitzers auf einen derartigen Vorfall. Trotzdem schreibe ich Dir nicht, um noch mehr Asche auf Dein Haupt zu häufen, sondern um das Ganze in einige für mich wichtige Zusammenhänge zu stellen.

Was Dir mit Deinem Hund passiert ist, kann grundsätzlich jedem Besitzer eines Hundes anderer (größerer) Rassen auch zustoßen. Meuteverhalten entwickelt manchmal eine Eigendynamik, die vom Menschen nur noch sehr schwer oder gar nicht mehr zu beeinflussen ist. Und hier wäre für mich der Bereich, wo ich zunächst einhaken würde: Wenn man mit einem Hunderudel (und das können manchmal bereits zwei Hunde sein) unterwegs ist, sollte man genau wissen, wie sich dieses in bestimmten Situationen verhält. Den meisten Hundebesitzern geht es wie Dir: Sie knüpfen mit ihrem Welpen oder Junghund Kontakte und treffen sich zu gemeinsamen Unternehmungen. Anfangs ist das völlig unproblematisch, die Hunde toben, spielen und freuen sich über jeden Neuankömmling. Die Menschen wissen um die Notwendigkeit, innerhundliches Sozialverhalten zu trainieren. Was sie aber oft übersehen ist, daß das Spiel von Hunden niemals zweckfrei ist. Und genauso, wie die Hunde den Umgang miteinander lernen, üben sie im Laufe der Zeit viele andere Dinge, die ihrem Instinkt gemäß das Überleben sichern. Dazu gehören z.B. die Jagd und die Verteidigung des Rudels nach außen. Dabei erreichen sie dann immer wieder Punkte, die die Menschen überhaupt nicht mehr toll finden.

Je regelmäßiger ein bestimmtes Rudel zusammen unterwegs ist, und je ungestörter vom Menschen die Hunde miteinander umgehen können, desto schneller und nachhaltiger entwickeln sie Meuteverhalten. Hier müßte der Mensch immer wieder in diesen Prozeß eingreifen und mit seinem Hund Übungen in Richtung Führerbindung machen. Bei zufälligen Hundebegegnungen tun das die meisten Menschen automatisch, weil sie potentiell gefährliche Situationen vermeiden wollen. Meist klappt das auch entsprechend gut. Innerhalb eines vertrauten Rudels sehen die Zweibeiner aber dazu meist keine Veranlassung, da sich die Hunde untereinander ja vertragen. Werden diese Hunde älter, verhalten sie sich irgendwann im "Ernstfall" genauso, wie sie es im gemeinsamen Spiel trainiert haben. Und wenn die einzelnen Hunde bereits vor diesem Punkt nie gelernt haben, daß IMMER ihr Mensch das Sagen hat, besteht dann überhaupt keine Veranlassung, sich jetzt plötzlich wieder an ihrem Menschen zu orientieren.

Ich schreibe das deshalb so ausführlich, weil ich mir Gedanken über den "Leinenzwang" für Deinen Hund mache. Für mich wäre die erste Konsequenz aus dem Vorfall nämlich die, daß ich das Rudel nur noch unter kontrollierbaren Bedingungen zusammenlassen würde (also beispielsweise mit einem Zaun drumrum). Dein Hund allein wird sich nämlich in vielen Fällen anders verhalten. Das Problem der "Kampfhundrassen" ist tatsächlich generell das, daß sie mit zunehmendem Alter mit anderen Hunden unverträglich werden. Sie wurden über lange Zeit für Hundekämpfe gezüchtet, und man kann nicht erwarten, daß die Sozialisation eines Welpen ausreicht, um die Genetik außer Kraft zu setzen. Das bleibt (zumindest kurzfristig) ebenso Wunschdenken, wie bestimmten Jagdhundrassen ihr Jagdverhalten, Herdenschutzhunden ihr Schutzverhalten oder manchen Hütehunden ihr Hüteverhalten absprechen zu wollen. Hier kann nur eine konsequente und langfristige züchterische Einwirkung eine Verhaltensänderung bewirken. Daß das funktioniert, sieht man beispielsweise bei Hunden aus Showlinien, die ihr (eigentlich rassetypisches) Verhalten fast völlig verloren haben. Wie ich von einigen Bullterrier-Züchtern erfahren habe, wird z. B. bei dieser Rasse bereits seit etlichen Jahren entsprechend gearbeitet. Inwieweit sich das schon auswirkt, kann ich leider nicht sagen.

In Deinem Fall kommen also mehrere Faktoren zusammen: Zum einen das rassebedingte Verhalten gegenüber anderen Hunden, das sich allerdings erst völlig gefestigt haben wird, wenn Dein Hund zwischen drei und vier Jahren alt ist. Und zum anderen der Angriff der Meute, der grundsätzlich bei Hunden aller Rassen passieren kann. Wenn Du Deinen Hund künftig nur noch angeleint spazierenführst, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit einen enormen Energiestau aufbauen. Hunde sind Lauftiere, und ich bezweifle, daß der Freilauf in einem (noch so großen) Grundstück auf Dauer ausreicht, um diese Energien abzubauen. Du kannst selbst am besten die Körperkräfte eines Staffs einschätzen: Ich denke, wenn Dein Hund an der Leine irgendwann WIRKLICH losgehen will, wirst Du keine Chance haben, ihn daran zu hindern.

Für mich wären folgende Maßnahmen sinnvoll: Den Hund durch Sport körperlich und geistig möglichst gut auslasten. Ein Turnierhundsport- oder Agilityparcours wäre dazu sicherlich geeignet. Beim ersteren hast Du die Möglichkeit, mit dem Hund zunächst an der Leine zu arbeiten, so daß Du ihn daran gewöhnen kannst, die anderen Hunde auf dem Platz zu ignorieren. Gleichzeitig intensivierst Du die Beziehung zwischen Euch und damit auch die Führerbindung. Du kannst auch mit dem Hund Fahrrad fahren, wobei das in erster Linie der Bewegung dient. Dazu solltest Du aber eine entsprechende Sicherheitshaltung am Fahrrad haben (z.B. von Springer), die es Dir auch ermöglicht, das Fahrrad unter Kontrolle zu haben, wenn Dein Hund plötzlich wegzieht. Beim Spazierengehen solltest Du Dir immer wieder Gegenden aussuchen, wo Du mit großer Wahrscheinlichkeit keinem Hund begegnest und Deinen Hund dort laufen lassen. Dabei kannst Du wunderbar mit ihm spielen und Eure Bindung intensivieren. Abgesehen von ihren Schwierigkeiten mit anderen Hunden. entwickeln gerade die meisten "Kampfhundrassen" sehr enge Beziehungen zu ihren Menschen. Achte aber gleichzeitig darauf, daß Dein Hund lernt, sich auch Fremden gegenüber freundlich oder zumindest neutral zu verhalten.

Und was den Kontakt mit anderen Hunden betrifft: Solange es gut geht, laß ihm "sein" Rudel, aber unter kontrollierten Bedingungen. Ich rate Dir nicht, Kontakte mit fremden Hunden zu suchen. Nicht, weil ich davon überzeugt bin, daß das schief geht. Ich vermute, daß er bei etwa gleich großen Hündinnen durchaus freundlich reagiert. Ich denke aber an Deine eigene Angst, die sich wohl seit dem Vorfall entwickelt hat, und die Du vermutlich nicht auf Knopfdruck abschalten kannst. Sicherheit des Hundeführers ist aber entscheidend wichtig in potentiellen Risikosituationen. Dein Hund "braucht" im Erwachsenenalter keine "Spiel"kontakte zu anderen Hunden, um zufrieden zu sein. Du solltest aber durch viel gemeinsame Arbeit einen Punkt erreichen, wo Du Dich an der Leine auf ihn verlassen kannst. Und den bekommst Du nach meiner Meinung nur, wenn Du sein Grundbedürfnis nach Laufen und Beschäftigung erfüllst.

Liebe Grüße,
Jutta

P.S: Habe gerade erst die Meldung von Burkhard gelesen. Seine Bullierfahrung scheint die Züchteraussauge zu bestätigen.

03. Februar 1999 09:44

Hallo Niki,

ich kann mich eigentlich grundsätzlich Juttas Antwort anschließen. Das so etwas passiert ist, finde ich wirklich schlimm, und ich finde es gut, daß du mit zum Tierarzt gefahren bist, und auch deine "Schuld" zugegeben hast. Aber meiner Meinung nach sollte das wirklich selbstverständlich sein (ich weiß, das ist es leider oft nicht). Was den Leinenzwang für deinen Hund angeht, denke ich, daß das nicht die richtige Lösung ist, weder für den Hund, noch für dich. Das ist lediglich eine Art, das Problem zu vermeiden, nicht aber, es zu lösen (finde ich). Ich denke, du solltest Juttas Ratschläge ausprobieren.

Bis dann

Franziska

03. Februar 1999 09:59

: Hallo Niki,

der ganze Vorfall tut mir total leid. Aber Du schreibst ja auch:

"Auf einmal bellte er (der angeleinte Mischling) den Schä.-Rott.-Mix an, der sofort auf den Anderen losging. Dann auch der Staff meines Kollegen. Meiner zögerte erst, doch dann lief er auch dort hin. "

Der andere "angeleinte Hund" hat an dem Vorfall bestimmt genauso viel Schuld wie eurer dreier Rudel. Jutta hat schon recht, die das Meuteverhalten übernimmt dann auf einmal die Kontrolle und der Mensch kann fast keine Möglichkeit mehr einzugreifen.

Die Situation war einfach unglücklich, den "hätte der angeleinte" nicht gebellt, wären Eure nicht darauf gegangen". Ich weiß, mit hätte und wenn zu argumentieren ist keine gute Idee. Aber Du würdest Dir gar nicht so viel Gedanken machen.

Ich denke auch, dafür jetzt Deinen Hund (der ja auch erst aufgrund des Alters als letztes mitging) zu bestrafen (Leine) kann für Dich und den Hund keine Lösung sein. Versuch den Vorfall zu verarbeiten und dem Hund mit Dir genau Spannung, Spiel zu bieten (Jutta´s Vorschläge hören sich doch gut an).

Also, laß den Kopf nicht hängen, Hunde reagieren leider nicht so programmierbar wie wir Menschen das gerne manchmal hätten und laß dem Hund die Freiheit die er wirklich braucht.

Sabine & simbär (die mit ihrem zwei Rüdenrudel auch z. Z. Meuteverhalten erlebt, rennt der eine hin ist der andere nicht zu halten..., wir arbeiten dran...)#




03. Februar 1999 13:17

Hallo Niki,
was nun in Dir vorgehen muß, kann ich gut nachvollziehen, da mir
Ähnliches vor knapp einem Jahr passierte. Unser Schäferhund-Mix (also groß)
Joey hat einen kleinen Yorkshire angefallen, der von seinem Besitzer an der Leine
geführt wurde. Meine Schuld! ...weil ich nicht darauf geachtet habe, daß er mir
nach draußen nachgelaufen ist. Auch beim Zusammenstoß konnte ich erst mit Hilfe
meines Bruders die Beisserei stoppen.

Jutta's Tips sind auf jeden Fall schon mal prima. Doch genauso wichtiger finde ich, daß
man selbst mit der Sache fertig wird. Nach diesem Vorfall mit meinem Joey (den ich abgöttisch
liebe), hatte ich völlig das Vertrauen in ihn verloren, Angst bei Sparziergängen war mein
ständiger Begleiter und mit Sicherheit der schlechteste Ratgeber. Erst durch einen 10-wöchigen
Kursus konnte ich diese Angst abbauen, obwohl mein Mann, der erster Rudelführer ist, Joey beim
Kurs "ausgebildet" hat. Viele, viele Wochen bin ich nur noch mit langer Leine spazieren gegegangen,
habe Zeiten zum Spaziergang ausgewählt, wo mit großer Wahrscheinlichkeit kein anderer Hundebesitzer
unterwegs ist, habe dabei das schlechteste Wetter ausgenutzt.

Daher, nochmals, finde ich es ganz wichtig, daß Du diese Sache richtig verarbeitest, damit Du
wieder richtig mit Deinem Hund arbeiten kannst.

Ganz toll finde ich, daß Du es überhaupt geschrieben hast. Die meisten, die sich hier melden,
haben meist doch den verträglich, allerorts beliebten Hund. Die Praxis, so glaube ich, sieht
manchmal ganz anders aus. Daher verstehe ich Burckhards Entrüstung nicht.

Viele liebe Grüße
Susi mit Joey