Hunde in Deutschland - wird übertrieben?
16. August 2001 14:39


Hallo an alle,

gleich eines vorweg - ich lebe in Oesterreich und kann nur von einzelnen Begebenheiten berichten, auch auf die Gefahr hin, dass dies nicht das Gesamtbild in Deutschland widerspiegelt. ABER: nachdem ich was in Medien und auch in yorkies so gelesen hatte, hatte ich ein voellig anderes Bild von der Situation der Hunde in Deutschland. Nun war ich jedoch eine Woche in Berlin und nun denke ich, dass die Darstellungen von Hundehaltern mitunter doch recht uebertrieben sind.
Erstens begegneten mir jede Menge Hunde ueber 40 cm (z.B. ein Briard, zwei Schaefermischlinge, etc.) die weder angeleint noch mit Maulkorb durch die Stadt liefen und dies, ohne, dass sich jemand aufregte, bzw. die Halter anpoebelte. Ebenso sah ich zwei Am. Staffs, zwar angeleint, jedoch anstatt eines Beisskorbes mit einem Halti und das schien auch niemanden zu stoeren. Von Anfeindungen bekam ich gar nichts mit.
Wird in den Darstellungen in den Medien uebertrieben?
Um ehrlich zu sein, hatte ich mir die Situation weitaus drastischer vorgestellt, z.B. jeder grosse Hund an der Leine und alle Kampfhunde mit Beisskorb etc.
Reagieren die Hundehalter einfach nur uebertrieben sensibel?
Fuer mich scheint es fast so, als ob nun jede Kritik an Hund oder Halter von vornherein so gedeutet wird, dass sie ohne die Erlaesse etc. nie zustande gekommen waere. Wenn ich aber z.B. mich in einer Gruenanlage begegne und es mir dort zweimal innerhalb einer Stunde passiert, dass schlecht erzogene Hunde meinen Weg kreuzen (der erste Hund laeuft auf alle Passanten zu und bellt sie ununterbrochen an und hoert nur auf, wenn man ihn hartnaeckig ignoriert, Hund Nr. 2 springt mit nassem Fell alle moeglichen Leute an) und sich die jeweiligen Besitzer dann vollkommen gleichgueltig benehmen und keiner daran denkt, seinen Hund anzuleinen - dann muss ich sagen: die Kritik ist in solchen Faellen berechtigt.

Ich habe selbst schon Hunde gehalten (derzeit ist es jedoch nicht moeglich) und habe gerade deshalb sehr aufmerksam beobachtet. Bin mir aber noch immer nicht schluessig, was ich nun von all dem halten soll. Wie ist sie nun - die Situation in Deutschland,besonders in Berlin, Hamburg, NRW...

Lea


16. August 2001 15:13

Hallo Lea,

es kommt darauf an, welche Rasse Du hast. Der niedliche Dalmatiner oder Golden Retriever läuft in den meisten Fällen noch frei, gegen den niedlichen Yorkie wird auch keiner was sagen, wenn er kläffend auf ein Kind zurennt.

Anders sieht es aus, wenn Du einen "Kampfhund" hast.

Du bekommst die Kündigung Deiner Wohnung oder Nachbarn werden Deinen Hund als Aufhänger nehmen (der ist gefährlich), damit Du die Kündigung bekommst.

Eine junge Frau mit Rotti und 2 Kindern wird demnächst auf der Straße sitzen wegen ihres Hundes, eine junge Familie mit 3 Kindern und Collie findet keine Wohnung wegen des Hundes - beides Bekannte/Freunde von mir.

Sollte Dein Hund aus welchem Grund auch immer einen Menschen oder Hund beißen, egal, ob er an der Leine war und der andere HUnd frei auf ihn zulief, ist Dein Hund dran - ist so.

Hast Du einen Pudel, wirst Du in der Regel nicht angezeigt und hast Glück gehabt - hast Du einen Schäferhund oder Listenhund und wirst angezeigt, hast Du Pech gehabt - je nach Schwere des Vorfalls.


Die Situation sieht im Moment wie folgt aus - die meisten Hundebesitzer ignorieren die BEstimmungen, meinen, das geht nur die "Kampfhunde" was an - Golden, Boxer, Schäferhund, Pudel und Co. läuft weiter munter frei.
Andere handeln bewußt gegen die Verordnungen, wollen ihrem Tier das nicht antun - kurze Leine und Maulkorb.

Wieder andere haben inzwischen die Befreiung, ganz wenige halten sich immer und überall an die Verordnung - wer es nicht tut und erwischt wird, muß mit saftigem Bußgeld rechnen.

Aber es ist schlimm - sehr schlimm sogar.

Hast Du einen Kampfhund, kannst Du unter Umständen, Wohnung, Job und Freunde verlieren, mußt Kampfhundesteuer zahlen - und wenn Du eine Frau bist, Gnade Dir Gott. Bei Männern geht es, aber Frauen werden gerne angeschrieen, angepöbelt und angespuckt.

Hier in Düsseldorf wurde ein Blindenhund verprügelt - noch Fragen?

Im Moment ist es nur deshalb ein wenig ruhiger, weil demnächst Wahlen anstehen. Danach wird es wieder schlimmer werden.

Grüße, Gaby

16. August 2001 15:47

Hallo Lea,

ich berichte mal meine Erfahrungen aus Hamburg. Ich habe eine 62 cm-Mischlingshündin, die optisch ziemlich nach einer Rotti-Mischung aussieht (und vielleicht auch eine ist - ich weiß es nicht weil Tierheim-Hund).

Als im Sommer letzten Jahres hier in Hamburg "die" Hundeattacke, die das Fass zum Überlaufen brachte, fühlte ich mich wie Freiwild. Ich wurde - ohne dass der Hund sich auffällig benahm - auf offener Straße mehrfach angepöbelt, z.T. sogar von Kleinhundbesitzern. Alle Pöbeleien im Stile von "die Scheißkötern gehören alle eingeschläfert". Die Mehrheit der der Leute ließen es aber nicht auf eine direkte Konfrontation ankommen. Häfig wurden mir abfällige Bemerkungen im Vorbeigehen "hinterhergeworfen".
Anfang habe ich es als wahren Psychoterror empfunden, später habe ich die Sache versucht sachlich zu betrachten, was mir auch gelang. Tatsache ist: diese spezielle und auch alle anderen Hundeattacken sind absolut wiederwärtig und verurteilenswert und darüber hinaus ist vielen Hundehaltern tatsächlich egal, was ihre Hunde anstellen (du hast es selber geschildert). - Diese Tatsachen gepaart mit unterschwelliger Abneigung gegen Hunde und der reisserischen Berichterstattung der Medien haben in mir eine "es-ist-doch-logisch-dass-die-Leute-dich-auf-offener-Straße-anpöbeln"-Haltung erzeugt. So bin ich damit gut fertig geworden.

Inzwischen hat sich die Lage stark beruhigt, ich bin seit mehren Monaten nicht mehr angepöbelt worden. - By the way: mein Freund (also eine männliche Person) ist selbst zum Höhepunkt der reisserischen Medienberichterstattung NIE angepöbelt worden !

Allgemein beobachte ich auch, dass sich die Nicht-Kat 1 & 2 - Hunde wieder genauso wie früher bewegen, sprich: dort wo sie schon immer ohne Leine liefen obwohl sie es gar nicht durften, laufen sie nach wie vor ohne. Und wer seinen Hund pflichtgemäß schon immer angeleint hat, tut es auch weiterhin. Allerdings wird verstärkt von Kontrollen berichtet (mir noch nicht passiert). Im Endeffekt hat sich im Alltag aber nicht wirklich viel geändert.

Anders sieht es bei den Listenhunden aus. Leine und Maulkorb sind tatsächlich meist anzutreffen. Ausnahmen bestätigen die Regel, meist jedoch an abgelegenen Ecken oder bei schlechtem Wetter, wenn eh kaum ein Nicht-Hundebesitzer draußen ist. Die - ich nenne sie mal "Proleten" - mit ihren richtig "geilen coolen Kampfhunden", denen wir meiner Meinung nach primär diese tollen LHVOs zu verdanken haben, sehe ich kaum noch. Und wenn doch, dann sind sie meist auf andere Hunderassen umgeschwenkt (habe jetzt mehrfach Boxer gesehen).

Fazit: Jeder reagiert unterschiedlich sensibel auf die Situation. Es gibt sicherlich auch Personen, die überdramatisieren und sich total auf das Thema fixieren, weil vielleicht der Hund DER Fixpunkt in ihrem Leben ist oder sie sonst keine Probleme haben. Viele machen aber auch objektiv gesehen sehr krasse Erfahrungen.

Ich denke bei der Bewertung deiner Erfahrunen mußt du zwei Variablen im Blick haben.

1.) es gibt starke regionale Unterschiede (ich wohne im Osten Hamburgs, vielleicht ist die Situation im Süden Hamburgs, wo "die" Hundeattacke stattgefunden hat ganz anders - ich weiß es nicht)

2.) Jeder Mensch empfindet emotional aufreibende Situationen grundlegend anders und schildert sie daher auch unterschiedlich.

Gruß, Susanne007

P.S.: Ich möchte abschließend noch mal betonen, dass es sich hierbei um MEINE GANZ PERSÖNLICHEN Erfahrungen handelt.


16. August 2001 19:54

:
rt nur auf, wenn man ihn hartnaeckig ignoriert, Hund Nr. 2 springt mit nassem Fell alle moeglichen Leute an) und sich die jeweiligen Besitzer dann vollkommen gleichgueltig benehmen und keiner daran denkt, seinen Hund anzuleinen - dann muss ich sagen: die Kritik ist in solchen Faellen

HI Lea!

Über diese Fälle ärgert sich sicherlich jeder halbwegs vernünftige Hundehalter! Aber ich denke auch, durch die Hundeverordnungen müssen wir alle - mal mehr oder weniger - drunter leiden! Es ist mir jetzt schon häufiger passiert (ich habe eine Pudel-Schnauzer-Mix-Hündin, die eher ängstlich ist), daß die Leute die Straßenseite wechseln u. Kinder laut sagen: Mama, da kommt ein schwarzer Hund, der beißt mich gleich... etc. Andere wieder schlagen mit kleinen Stöckchen in Richtung meines angeleinten Hundes, die Eltern stehen regungslos oder grinsend dabei! Oder die "netten kleinen " Kinder zielen mal eben mit einer Spielzeugpistole auf den Hund u. schreien: "Peng, blöder Hund , bist jetzt tot" etc. Kleine nette Begebenheiten, die einen doch im Inneren sehr verletzen, zumal mein Hund in der Nähe von Menschen immer angeleint ist - also generell auf Gehwegen, in Parks,in Bussen u. Bahnen, auf Fahrradwegen etc. Wo ich die Leine jedoch abmachen kann - wenn in Grünflächen (Landschaftschutzgebiete etc.) keine Menschen zu sehen sind - mache ich das auch gegen geltende Bestimmungen. Ansonsten hätte mein Hund - der wohlgemerkt kein Listenhund ist - keinerlei Freilauf! Ich denke , so oder ähnlich sieht es zur Zeit fast überall aus! In ländlichen Gegenden vielleicht etwas entspannter... - Aber sicherlich hast Du mit einem Recht: Diese Begegnungen gibt es zum Glück nicht jeden Tag! Viele Grüße v.Gabie
:

16. August 2001 20:43

Hallo Lea

ich kann Susanne007 eigentlich nur beipflichten: ich halte einen Bullterrier, also in Hamburg (auch da lebe ich) einen kat 2 Hund.
Kurz nach dem Erlass der HVO und des tragischen Tod des kleinen Jungens, war spazierengehen die Hölle, mal abgesehen für meinen Hund mit MK und Leine, wurde mehrfach meine Windschutzscheibe eingeschlagen, Reifen zerstochen und Pöbeleien waren an der Tagesordnung (genau wie bei Susanne07 nur bei mir, mein Freund ging immer unbehelligt spazieren)

Mittlerweile darf ich dank Wesenstest und Haltungserlaubnis wieder ohne MK und an einigen Stellen auch wieder ohne Leine meinen Hund spazierenführen. Da er keinen MK mehr trägt, passiert es nun häufiger, dass mir fremde Leute stehen bleiben und mich anpöbeln, ich soll gefälligtst den MK ranmachen. Dann hole ich meine haltungserlaubnis raus auch wenn ich es nicht muß, und halte sie denen unter die Nase. Diese sind meist enttäuscht, dass sie kein Recht haben und auch erstaunt, dass diese Tiere überhaupt wieder ohne MK laufen dürfen...

Auch hat Susanne07 recht wenn sie sagt, es gibt regionale Unterschiede in Hamburg. Ich werde bestimmt 1 - 2 mal am Tag von der Polizei oder dem Hundekontrolldienst (ja, den haben wir in Hamburg) angehalten und nach der Haltungserlaubnis gefragt, hätte ich keine, würde der Hund sofort eingezogen werden! So ist es zumindest in Hamburgs Süden, hier war oder ist die Population der Hunde die auf Rasselisten genannt werden ,wohl mit am größten...

Mittlerweile werden die Polizeikontrollen zum Glück weniger, da die mich und meinen Hund mittlerweile kennen.

Der Hundekontrolldienst fährt trotzdem täglich an mir vorbei, weil ich das Glück habe, in der Nähe der Hundehalle zu wohnen, dort müssen die wohl täglich hin um Hunde abzuliefern oder hin und her zu fahren....

Für mich und meine Mitstreiter wird sich das Thema noch lange nicht legen, auch wenn wir unsere Hunde mittlerweile "gerettet" haben, es ist eine politische Bevormundung und Verunglimpfung, die wir uns einfach nicht bieten lassen wollen und somit weiterhin gegen die HVO und ihre Auswirkungen auch auf unser Privatleben kämpfen werden.

Hoffentlich bleibt es weiter in Österreich ruhig...

gruß Susanna aus Hamburg


17. August 2001 10:30

Hallo Susanna,

wieviel Steuer mußt du jetzt zahlen? Gibt's auch einen "Kampfhund-Aufschlag" bei der Haftpflicht?

und:

was mußtest du für den Wesenstest tun (=welche "Disziplinen" mußten absolviert werden)?

Gruß, Susanne007