Hallo Andreas,
das Problem ist, daß viele Menschen glauben, ihr Hund wäre völlig frei von Aggression bzw. durch den Schutzdienst wird Aggression antrainiert bei Hunden, die ansonsten völlig aggressionsfrei wären. Das ist nicht richtig. Genetisch bedingt haben bestimmte Rassen eine höhere Aggressionsbereitschaft, andere Rassen eine niedrigere (allgemein bekannt als Reizschwelle). Dabei sind weiterhin die einzelnen Typen der höheren Nerventätigkeit zu unterscheiden (Choleriker, Sanguiniker, Phlegmatiker, Stoiker und ihre Mischformen) und diese sind wiederum u.a. abhängig von der Dicke der Hirnrinde (es ist, leider oder Gott sei Dank, nun mal nicht alles antrainierbar).
Es besteht ein großer Unterschied zwischen einem Hund, der innerhalb seines Aggressionspotentiales schnell auf 100 kommt, genauso schnell aber wieder herunterschaltet, und einem Hund, der vielleicht nur auf 90 kommt, aber lange braucht, um herunterzuschalten. Aggressionspotential ist auch nicht gleichzusetzen mit asozialem Verhalten; gerade Hunde mit einem ausgeglichen hohen Beute- und Aggressionsverhalten sind in der Regel Hunde mit ausgeprägtem Sozialverhalten, z.B. in Bezug auf den "Welpenschutz", im Umgang mit pubertierenden Junghunden etc.
Für Viele ist aber alleine schon der Begriff "Aggression" ein rotes Tuch; Aggression beim Hund wird gleichgesetzt mit einem unkontrollierbaren Beißer.
: Nach anderer Meinung entwickelt sich aggrssives Verhalten aus einer Frustration in anderen Lebensbereichen.
Das ist auch meine Theorie; es baut bei einem Hund schon Frust auf, wenn er z.B. tagtäglich vom Nachbarsfiffi angemacht wird und sich seinen Teil dazu nur denken darf. Wenn sich hier wirklich Aggression durch Frust aufbaut, ist es mir lieber, mein Hund läßt auf dem Platz seinen Dampf ab als wenn er irgendwann seine aufgestaute Aggression am Ferursacher seines Frustes abläßt.
: Wenn wir nun auf das Thema Schutzdienst zurückkommen, dann müßten jene Hunde, die nicht daran teilnehmen früher oder später unkontrolliert Aggression ausleben
Leider hat man keine Möglichkeit, herauszufinden, wie Situationen, in denen sich Hunde unkontrolliert aggressiv verhalten, ausgegangen wären, wenn diesen Hunden die Möglichkeit gegeben worden wäre, mit ihrer Aggression umzugehen und sie auch einmal auszuleben; es gibt jeden Hund halt nur einmal, und entweder macht er Schutzdienst oder er macht keinen, da gibt's dann keinen direkten Vergleich.
Die genetische Veranlagung spielt hier immer noch die entscheidende Rolle; Schutzdienst macht aus einem Choleriker keinen Engel und ein Stoiker wird niemals Schutzdienst machen können.
: Weil Du das Thema Kampfsport ansprichst: parallel dazu müßten Menschen, die keine Kampfsport betreiben eher zu unkontrollierten Aggressionsausbrüchen neigen, die Kampfsportler jedoch mit lächelnder Gelassenheit in sich ruhen. Ich kann Dir versichern, dass dies nicht so ist. Ich habe viele Jahre Kampfsport betrieben. Die Notwendigkeit, tagtäglich extrem aggressives Verhalten auf Knopfdruck an den Tag zu legen, erheblichen Stress, Schmerzen und Verletzungen der verschiedensten Körperteile zu erleiden haben keineswegs dazu geführt, dass ich (und andere auch) der ruhigste und ausgeglichenste Mensch geworden wäre.
So etwas ist auch immer relativ und kommt wohl auch auf die Sportart an; ich habe im Ju-Jutsu weder tagtäglich extrem aggressives Verhalten auf Knopfdruck an den Tag legen müssen noch habe ich erheblichen Stress, Schmerzen und Verletzungen der verschiedensten Körperteile zu erleiden gehabt (und das müssen meine Hunde im Schutzdienst auch nicht). Leider konnte ich das Training nicht fortsetzen, denn ich bin inzwischen breufstätiger Hundehalte, da kann ich nicht auch noch zweimal wöchentlich Abends zum Training gehen.
: nach einhelliger Meinung meines persönlichen Umfeldes bin ich in den letzen 3 Jahren (nach Beendigung meiner Kampfsporttätigkeit) jedenfalls wesentlich umgänglicher und entspannter geworden.
So etwas liegt aber oftmals an den Begleitumständen; wenn man durch das Training gestreßt ist, weil man sich damit vielleicht überfordert fühlt oder mit Schmerzen rechnet, baut es natürlich keine Aggression ab und positiven Streß auf, sondern lediglich negativen Streß auf (und den haben wir schon im Übermaß). Ich wäre auch nicht sonderlich entspannt, wenn ich zweimal die Woche Boxen müßte.
Ein unerschöpfliches Thema! Leider durchdenkt man es zu wenig. Hier aber noch eine kurze Begebenheit aus dem wirklichen Leben: Meine dreijährige Schäferhündin durfte vorgestern nach 3 Monaten Pause erstmals wieder Unterordnung und Schutzdienst machen; obwohl sie ansonsten auch körperlich ausgelastet ist (Radfahren, toben mit den anderen Hunden, Schleuderball etc.), hat sie noch gestern Abend gegrinst wie ein Honigkuchenpferdchen! Sie hat lange nicht so viel geträumt wie in den letzen zwei Tagen, der ganze Hund zuckte im Schlaf, zwischendurch und beim Aufwachen wohliges Grunzen und Strecken (Alpträume können das nicht gewesen sein...). Und die Situation der drei Hündinnen untereinander war auch viel entspannter, obwohl wieder mal eine Läufigkeit ansteht.
Viele Grüße
Antje