Aggressionsprävention - Gedanken/Spiele
28. Dezember 1998 16:32

(Original von Elizabeth TeSelle, Aggression-Prevention - Still the Best Medicine, "nicht-kommerzielle Kopien erlaubt"winking smiley

Teil 1 sind Gedanken zur Aggression
Teil 2 sind Spiele zur Aggressionsvermeidung

Teil 1
In Culture Clash, sagt Jean Donaldson aus, „...Hund sind sich nicht bewusst, dass sie in eine Kultur aufgenommen wurden, in der Beissen als Vertrauensmissbrauch betrachtet wird und als Schwerverbrechen (S. 58)." Hunde betrachten Beissen nicht als Verrat; für sie ist es eine Kommunikationsform. Wie soll ein Hund verstehen, dass wir dies in bezug auf Menschen nicht akzeptieren können?

Die einfache Antwort darauf ist, dass man einem Hund eben nicht erklären kann, dass Personen zu beissen zu seinem Tod führen oder dass er dadurch sein Heim verlieren kann. Sollte man dies dem Hund doch verständlich machen wollen, indem man die sogenannten "alpha"-Verhaltensweisen anwendet, die leicht bis mässig aggressives Verhalten gegenüber dem Hund bedeuten, so wird in Tat und Wahrheit die Wahrscheinlichkeit zunehmen, dass dieser Hund den Besitzer oder andere beissen wird. Aggression hat die Tendenz, Aggression hervorzurufen. Man kann aber den Hund durch Gegenkonditionierung dazu bringen, das zu akzeptieren, was er normalerweise nicht würde. Durch Konditionierung kann man tatsächlich einen Hund dazu bringen, dass er das Wegnehmen seiner Besitztümer wie Ball, Futter, gefundene Sachen als positiv empfindet, weil er gelernt hat, dass man ihn dafür positiv bestärkt.

Eine persönliche Anekdote zeigt diesen Punkt besser auf als irgend etwas anderes. Unser Airedale Terrier war letzten Sommer anlässlich einer Hundeausstellung in seiner Box. Er schaffte es, eine Tasche mit Reissverschluss in seine Box zu ziehen, in der meine Schmink-utensilien waren. (Ich hatte sie blöderweise in erreichbarer Nähe liegenlassen.) Becket kaute also glücklich auf meinem Make-up herum und machte sich gerade daran, den Spiegel in Angrif zu nehmen (Airedales sind Allesfresser!). Zwei Passanten kamen dazu und sahen, was passierte, öffneten seine Box und nahmen ihm seine Beutestücke aus dem Fang. Beckets Reaktion war ein freundliches Schwanzwedeln, er gab widerstandslos das Zeug ab und lächelte geradezu, als würde er sagen: "Hallo Du da, haste was für mich?" Die Leute waren erstaunt.

Becket ist ein extrem selbstbewusstes, etwas aufdringliches Exemplar einer selbstbewussten, aufdringlichen Rasse. Er ist ein intakter erwachsener Rüde. Er befand sich in seinem eigenen Gebiet während sich ihm zwei total fremde Menschen näherten. Warum liess er sich etwas wegnehmen, was ihm offensichtlich soviel Spass machte? Weil wir mit ihm ab der 7. Woche regelmässig zwei Übungen durchführten: Gegenstände tauschen und Futterschüssel-Spiele. Er war von uns so oft für die Übergabe von Gegenständen bestärkt worden, dass es ihm nicht in den Sinn gekommen wäre, es nicht zu erlauben, dass Fremde seine Box öffnen und ihm etwas aus dem Fang nehmen. Die meisten Hunde hätten gebissen oder mindestens geknurrt - Normalverhalten. Aber Beckets Konditionierung ermöglichte ihm zu akzeptieren, was von Natur aus nicht möglich gewesen wäre.

Als nächstes werde ich erklären, wie man Welpen oder erwachsene Hunde konditioniert zu akzeptieren, was die meisten Hunde nicht akzeptieren würden. Bitte lese weiter und plane, mit Deinem Hund die Übungen auszuführen. Denke daran, dass heutzutage ein Hund, der mehr als einmal zubeisst, ziemlich sicher eingeschläfert werden muss. So kann also ein Bejahen der Gegenkonditionierung durchaus eines Tages das Leben Deines Hundes retten.


Teil 2
Im ersten Teil diskutierten wir die Tatsache, dass Normalverhalten für Hunde nicht nur die loyale Zuneigung beinhaltet, für welche sie bekannt sind, sondern auch verschiedene andere Verhalten (beissen und knurren), welche der Mensch nicht akzeptieren kann. Deshalb ist die Aggressions-Prävention durch Gegenkonditionierung ein grosser Schritt in Richtung Verbesserung der Mensch-Hund-Beziehung, indem der Hund das toleriert, was er von Natur aus nicht könnte. Zudem ist es recht einfach durchzuführen, vor allem, wenn man mit einem Welpen beginnt.

1. Aufgabe "Gegenstand-Austausch": Als Fleischfresser, verteidigen Hunde ihre "Beute" (ob das nun Karibu-Aas oder Kong-Spielzeug sei) gegen andere. Wir können den Hund aber gegenkonditionieren, dass er sich eher entspannt fühlt als aggressiv, wenn er ein Spielzeug abgibt, indem wir ihm etwas besseres offerieren. Fange mit einem vom Welpen nicht so geliebten Spielzeug an. Zeige ihm eine Belohnung und wenn er das Spielzeug fallenlässt, benutze den Clicker (oder ein Wort wie z.B. Yes) und gebe ihm die Belohnung. Sobald er das zuverlässig tut, füge das Signal "Aus" oder "Lass fallen" hinzu. Dann wechsle zu einem beliebteren Spielzeug. Sobald auch dies sehr gut klappt, berühre das Spielzeug mit der Hand und sage "Aus", was natürlich ganz fest mit Futter bestärkt wird.

Spiel auch das "Zwei-Spielzeuge-Spiel": Werfe ein Spielzeug und wenn der Welpe zurückkommt, zeige ihm ein zweites. Schlage es auf den Boden, dass es attraktiver erscheint. Sobald er das 1. Spielz. fallen lässt, werfe das 2. Er wird schnell herausfinden, dass wenn er ein Spielz. fallen lässt, Du mit ihm weiterspielst, während Du sofort aufhörst zu spielen, wenn er eines behält.

Auch ist es wichtig, mit Futterschüssel-Spielen zu arbeiten. Ich befürworte nicht, dass Hunde gezwungen werden, sich von Menschen Futter wegnehmen zu lassen, damit sie nicht bestraft werden. Damit forderst Du Aggressionen des Hundes heraus und vielleicht zeigt er diese auch - wenn nicht gegenüber dem Strafenden, dann gegenüber einem Kind oder einem Fremden. Im Gegensatz dazu, wie mit dem Gegenstand-Austausch, kannst Du den Hund dahin gegenkonditionieren, dass er denkt, Hände in der Nähe seiner Futterschüssel seien die Überbringer von etwas Gutem, nie ein beissen oder knurren provozieren.

Nachdem Du Deinem Welpen die Futterschüssel hingestellt hast, füge einige echt supergute Happen hinzu (nicht das übliche Futter), während er frisst. Nachdem Du das einige Tage getan hast, lass Deine Hand für einige Sekunden in der Schüssel, während der Welpe seine superguten Happen frisst (nicht während der ganzen Mahlzeit). Gelegentlich (einmal pro Woche oder seltener) nehme die Futterschüssel weg, lege die superguten Happen dazu und gebe die Futterschüssel sofort wieder zurück. Der Welpe sollte bald einmal erfreut und erwartungsvoll dreinschauen, wenn Du Dich der Futterschüssel näherst und nicht genervt. Sollte der Welpe nervös werden, kehre zur anfänglichen Übung zurück. Füge weiterhin regelmässig supergute Happen dem Futter hinzu, bis der Hund mindestens 1 Jahr alt ist. Gelegentlich sollte das während des ganzen Lebens aufrechterhalten werden, damit die Antwort des Hundes auf Dein Annähern an die Futterschüssel eine positive Erwartungshaltung bleibt.

WARNUNG: Diese Vorschläge sind für Welpen gedacht, die noch nicht 16 Wochen alt sind. Solltest Du mit einem älteren Welpen oder erwachsenen Hund anfangen, könntest Du mit diesen Übungen Risiken eingehen. Deshalb sollte die Hilfe eines Trainers, der mit positiven Bestärkungen arbeitet, beigezogen werden. Es ist sehr wichtig festzuhalten, dass dies KEINE MACHTSPIELE sind. Solltest Du daraus eines machen, kannst Du leicht gebissen werden. Du übst hier in keiner Art und Weise KONTROLLE über den Hund aus, sondern im Gegenteil. Deine Anwesenheit in der Nähe des Besitzes des Hundes ist ein Signal, das Bestärkung ankündigt. Kinder sollen in der Nähe von Hunden immer gut überwacht sein, egal wie der Hund ausgebildet oder konditioniert wurde. Die Bandbreite des Verhaltens von Kindern und Hunden lässt einen Hund niemals absolut "kindersicher" sein. Aber dadurch, dass Du die Motivation des Hundes beim Bewachen "seiner" Sachen änderst, erhöhst Du die Chance, dass falls etwas ausserhalb Deiner Kontrolle passieren sollte, der Hund entspannt statt aggressiv reagieren wird. Und das könnte sein Leben retten.

Übersetzung aus dem Amerikanischen, Roswitha