Hallo Susanne,
die Erfahrung, die wir bei Welpenkursen machen konnten mit Flaschenkindern bz. Welpen, die vor der normalen Absetzphase - die manche Hündinnen erst sehr spät einleiten, andere früher - von der Mutter entfernt wurden, war folgende: ihnen fehlt oft mehr oder weniger die Frsustrationstoleranz, die sie lernen, während sich ihnen ihre Milchbar mehr und mehr entzieht.
Sie haben oft ebenfalls versäumt, aus ihrem angeborenen Verhaltensrepertoire die nachgebend-passive Unterwerfungshaltung zu aktivieren - die es ihnen emöglicht, der ersehnten Milchquelle noch ein wenig nachzurobben, obwohl die Mutter sie bereits abwehrend-massregelnd am Boden 'gepinnt' hatte (was sie meist mit Knurren aber doch freundlichem Grinsen tut, wenn sie eine gute Muuter ist).
Wenn sich jetzt solchen Hunden im Umgang mit Menschen entsprechende Aufgaben stellen (Dinge, die täglich auftreten können, wie: sich zu unterwerfen, bei einem Fixierungsgriff höflich stillzuhalten, etwas erneut anders und höflicher zu probieren, was einem auf andere Weise bereits einmal misslungen ist bzw. versagt wurde), tun sie sich deutlich schwerer, angemessenes Verhalten gegenüber dem Menschen zu zeigen - gegenüber den Welpen, denen ihre Mutter das bereits beibrachte, die es nur mehr auf die Situation mit dem Menschen übertragen müssen.
Manchmal gelingt es mit einiger Mühe noch, sie etwas 'nachzuschulen'. Zu bedenken ist dabei sicher, dass mit 8 Wochen ca. 80% des zukünftigen Verhaltensrepertoires bereits da sind, nur dessen Anwendung noch perfektioniert wird. Bei ungünstigen Voraussetzungen kann da sicher ganz rasch ganz viel schief gehen. Lieblingsstrategien, wie man sich verhält, wenn etwas nicht nach dem eigenen Kopf geht, hat da jeder Welpe bereits entwickelt (aus den 4 Fs fight, flight, frieez, flirt). Ob er dann rasch übt, auf jeweils eine andere als die Lieblingsstrategie umzuschwenken, wenn diese nicht zum Ziel führt... da wäre es z.B. wichtig, einem Welpen, der fight (Knurren, Strampeln) immer als erstes probiert, rasch beizubringen, dass er erst freikommt, wenn er es mit 'freeze' (Stillhalten, weich-entspannt werden) versucht, oder dass andere Hunde sich durch 'flirt' (= Spielverhalten) viel leichter überzeugen lasasen, eine Annäherung zu dulden oder wenn er begreift, dass eine Rüge nur durch 'fligt' (= z.B. mittels eine Unterwerfungsgeste, die sagt: 'Fehler, 'tschuldigung, soll nicht wieder vorkomen') abzufangen ist, anderngfalls man überwallzt und gemassregelt wird, bis man dann endlich dieses Verhalten rauskramt aus seinem Repertoire. Hier ältere Hunde bei ihrer Erziehungsarbeit zurückzuhalten, zu tadeln wenn sie den nicht existenten 'Welpenschutz' missachten, kann da deren Erziehungstätigkeit ganz gehörig einschränken, lässt dem MEnschen mehr übrig.
Das wird leider um so schwerer, je älter der Hund schon ist, je gefestigter in seinem Verhalten. Und wir Menschen sind zumeist langsamer und nicht so entschlossen und konsequent in unseren Demonstrationen: oft gelingt es uns daher nicht mehr allzu gut, Defizite wettzumachen.
Vielleicht kannst Du Dir damit ein 'neues' Bild davon machen, was mit diesem Welpen los sein könnte - und wie Du testen könntest, ob er rasch lernfähig ist diesbezüglich - wenn er z.B. beim Festhalten (Rückenlage muss gar nicht sein, nur Muskelweichheit bei Festhalten) schnell lernt, dass anfänglich schon eine sekundebruchteillanges Erschlaffen = Nachgeben ihm die Freiheit wieder bringt, er es daher bei nächsten Versuch schon rascher anbietet, bald auch länger probiert....
toitoi für eine gute Entscheidung für alle von Euch
Eine interessante Aufgabe wird das sicherlich, falls Du Dich für diesen Welpen entscheidest (mögest Du in interessanten Zeiten leben! war wohl ursprünglich ein asiatischer Fluch ... ;-)
Wiebke
www.hunde-erziehung.at
P.S. Dominanz beschreibt eine Beziehung zwischen zwei Individuen. Und ob man das ist in einer Zweierbeziehung oder nicht, stellt sich erst im Laufe der Zeit heraus. 'DEN' Alphahund gibt es demnach m.E. nach nicht - wohl aber solche, die bisher mit 'wichtigmachen', fight-Aktionen und Bluff gut gefahren sind, diese Verhaltensmassnahmen also geläufiger und immer zuerst zeigen. Gut, wennn sie bei Bedarf dann auch geläufig auf andere zurückgreifen können - und das fällt Hunden mit diesem oder jenen Sozialisierungsdefizit meist deutlich schwerer, gelingt oft nur mehr teilweise und nur mit sachverständigster Förderung!
Auch die 'dann eben nicht'-Haltung, die Flaschenaufgezogene Welpen oft haben, wenn sie z.B. eine Futterlockung nicht gleich bekommen können, macht sie schwer motivierbar: wenn sie z.B. wie es für sie typisch ist, bei 'Luring' zum 'Sitz' einmal nach der Hand schnappen und dann einach frustriert aufgeben und wegrennen, ohne auch nur einen zweiten Versuch zu machen, während der 'normale', aus der Absetztzeit her bereits frustgeübte Welpe z.B. höflich knabbert, dann fiept und pfötelt und charmant tut, sich schließlich abwartend auf bessere Zeiten hinsetzt - so das Erwünschte ausprobert, dass man belohnen kann, also viel, viel leichter zur Mitarbeit und zum Durchhalten bei weiteren Versuchen zu bewegen ist... und einem so ganz andere Trainingsvoraussetzungen bietet!