von Jutta(YCH) am 23. November 1998 18:53
Hallo Suki,
zunächst mal tun mir die Leute und ihr Schäferhund leid, die allesamt dazu verdammt sind, ein Leben im Streß zu führen. Ob die "Schuld" für das aggressive Verhalten des Hundes bei seinen Besitzern liegt, weiß ich nicht, da die Vorgeschichte Dir ja auch nicht bekannt ist. Was möglicherweise helfen würde, wäre eine Therapie für Menschen und Hund, um die Ursachen für das Verhalten des Schäferhundes herauszufinden und Wege zu suchen, das Problem irgendwie in den Griff zu bekommen. Was den Maulkorb anbelangt: Ich habe in meiner Arbeit mit Problemhunden die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht. Ich habe Hunde erlebt, die mit Maulkorb noch aggressiver wurden, weil die Panik aufgrund der verschlossenen Schnauze erschwerend dazu kam. Andere haben sehr schnell gelernt, daß es keinen Sinn macht, mit Maulkorb anzugreifen, weil sie irgendwann bei einer Attacke schlimme Prügel vom anderen Hund bezogen haben. Allen gemeinsam war: Wehe, wenn der Maulkorb ab war oder abgestreift werden konnte! Deshalb: Der Maulkorb kann niemals ein Fehlverhalten korrigieren, er kann bestenfalls manche Übergriffe akut entschärfen. Es ist ungefähr das gleiche, wie wenn man bei einer Krankheit an den Symptomen herumdoktert, anstatt die Ursachen zu finden und zu behandeln. Aber es ist leider ziemlich menschentypisch, zu Zwangsmaßnahmen und fragwürdigen Hilfsmitteln zu greifen, bevor man daran denkt, ein Problem zu bearbeiten. Ob Stachelhalsband, Maulkorb, Erziehungsgeschirr oder Teletakt: Letztendlich sind das alles Zeichen der menschlichen Unfähigkeit. Es mag Situationen geben, wo der (vorübergehende!!) Einsatz eines Hilfsmittels unumgänglich ist. Wenn ich mit einem Hund arbeite, der jeden Menschen angreift, tue ich das zunächst auch, indem ich ihm einen Maulkorb anlege. Es nützt weder mir noch dem Hund, wenn ich mich beißen lasse oder riskiere, daß er jemand anderen angreift. Bei jeder Verwendung eines Hilfsmittels (das durch irgendeine Form von Zwang wirkt) müssen aber drei Dinge unbedingt geklärt sein: Die Verhältnismäßigkeit zum Problem, die richtige Anwendung und der vorübergehende Einsatz. Zum Dauergebrauch sind sie sinnlos und grausam. Deswegen lehne ich grundsätzlich einen Maulkorb als Dauerlösung ab. Er wirkt sich mit Sicherheit negativ auf die Psyche des Hundes (und seiner Menschen, die immer stärker das Gefühl bekommen, eine Bestie an der Leine zu haben) aus. Auf der anderen Seite haben der Schutz anderer Menschen und deren Hunde aber ebenfalls ihren Stellenwert, der mindestens genauso hoch (in Bezug auf Sicherheit von Menschen sogar höher) anzusetzen ist, wie die Rücksichtnahme auf den Problemhund.
Würde ich den Menschen mit dem Schäferhund begegnen, würde ich versuchen, sie davon zu überzeugen, sich mit ihrem Vierbeiner in eine Therapie zu begeben. Nur dort kann sich zeigen, ob dem Hund und seinen Menschen geholfen werden kann.
Liebe Grüße, Jutta