von Briard-Jutta(YCH) am 20. Februar 1999 09:53
Liebe(r?) Gigi,
Dein Golden ist auf dem Weg zum psychischen Erwachsenwerden. Je nach Rasse liegt dieser Zeitpunkt bei etwa 3 bis 4 Jahren, bei kleinen Rassen früher, bei sehr großen Rassen noch später. Kurz vorher durchlaufen viele Hunde noch mal eine Art "zweiter Pubertät", die sich allerdings meist nicht so deutlich zeigt, wie die eigentliche Pubertät. Insgesamt tritt bei den Hunden dann noch einmal eine Wesensfestigung /-veränderung ein. Oft ist das der Zeitpunkt, wo Hündinnnen Unverträglichkeiten mit anderen Hündinnen entwickeln und auch Rüden untereinander öfter Auseinandersetzungen haben.
Da Hunde niemals zweckfrei spielen, sondern dabei immer lebenswichtige Verhaltensweisen trainieren, erreichen sie in der Regel irgendwann den Punkt, wo sie diese dann auch zweckentsprechend einsetzen. In Deinem Fall demonstriert Dein Hund ständig seine Überlegenheit. Da ihm die Hündin nichts Ernsthaftes entgegensetzt, um ihn deutlich in seine Schranken zu weisen, bestätigt er sich quasi ständig selbst seine Stärke. Bei erwachsenen Rüden ist dieses Verhalten gegenüber Hündinnen eher selten, sie zeigen sich meist recht gentlemanlike.
Wie sehen denn die anderen Hundekontakte Deines Retrievers aus? Trifft er auch Rüden, die ihm kräftemäßig gewachsen sind? Wie verhält er sich da? Und wie geht er mit Hündinnen um, die sich sein Verhalten nicht bieten lassen?
Jedenfalls ist es für die betroffene Hündin keine gute Situation, ständig niedergerannt und unterworfen zu werden. Sie ist Deinem Rüden eindeutig nicht gewachsen, sonst würde sie ihm so deutlich zeigen, wann es reicht, daß er es auch dauerhaft akzeptieren würde. Wenn die Hündin das auf Dauer mitmachen muß, kann es durchaus sein, daß sie sich zunehmend zu einer abschnappenden, keifenden Furie auch gegenüber anderen Hunden entwickelt. Für mich wäre das eine der Situationen, wo ich als Besitzerin des Rüden eingreifen würde: Genauso wenig, wie ich als Rudelchef dulde, daß mein Hund Radfahrer jagt oder Leute anspringt, lasse ich zu, daß er schwächere Tiere regelrecht mobbt. Und der berühmt-berüchtigte Spruch, daß Hunde das bestens alleine regeln können, gilt einfach bei domestizierten Hunden nicht uneingeschränkt. Sonst müßten wir Menschen bereit sein, sämtliche Konsequenzen, die sich daraus für die Hunde ergeben, zu akzeptieren. Für Besitzer eines großen Hundes, der immer oben auf ist, scheint das meist recht einfach, aber wer möchte schon ständig erleben, daß der eigene Hund immer nur niedergerannt, unterworfen und eingeschüchtert wird?
Ich könnte mir für Deine Situation mehrere Lösungsversuche vorstellen: Du könntest mit einem größeren Rudel spazieren gehen, wo es für Deinen Hund andere Partner gibt, an denen er seine Kräfte messen kann (und die ihm natürlich auch was entgegensetzen sollten). Allerdings kann es durchaus passieren, daß er sich dennoch auf die Hündin konzentriert und eventuell noch andere Hunde animiert, dabei mitzumachen. Aber das muß man ausprobieren. Eine andere Maßnahme wäre, beim nächsten Mal, wo Dein Rüde die Hündin wieder niedermacht, hinzugehen, "Schluß!" zu sagen, ihn anzuleinen und mit ihm wegzugehen. Für diesen Tag ist dann Ende mit Rambomanieren. Wenn Du das einige Male konsequent so praktizierst, erreichst Du u.U., daß er Dein "Schluß" zukünftig als Anweisung versteht, sein Verhalten einzustellen. Das funktioniert allerdings nur, wenn Du insgesamt der erklärte Boß bist.
Liebe Grüße,
Jutta