von Antje(YCH) am 08. März 2000 06:17
Hallo Carola,
sorry, habe im Moment viel Sreß und hinke leider immer etwas hinterher in der Diskussion.
: die psychologische Typisierung hier hineinzustellen und als Grundgerüst, bzw. als Orientierungshilfe sind sie durchaus tauglich, aber dennoch halte ich sie für ein wenig antiquiert, obwohl sie unsere Vorstellung von der Ordnung der Dinge vielleicht bedienen. Solche Systeme sind aber zu starr und aus meiner Sicht auch ein wenig zu oberflächlich, um Individuen nach ihrer Reaktion auf Umweltreize zu klassifizieren.
Dieses System ist aber trotzdem als Hintergrundwissen nützlich und wichtig. Stimmt, es ist etwas angestaubt und vor allem trocken .... *hüstel*..., und es ist halt ein Schema, daß man nicht in zu starren Grenzen sehen sollte, aber es gibt da die langen, stürmischen und kalten Winterabende, an denen man sich mal mit so einem drögen Kram beschäftigen kann. Für Otto-Normalverbraucher ist es auch gar nicht so wichtig, solange es keine nennenswerten Probleme gibt. Sobald aber Probleme auftauchen oder aber wenn mit einem Hund eine "höhere" Ausbildung angestrebt wird, egal in welchem Bereich, erhält die Einstufung der Nerventätigkeit ihre Daseinsberechtigung. Ob nun genau das von Pawlow entworfene System genutzt wird oder ob man andere Begriffe oder Einstufungen vornimmt, ist aber egal. Und es wird auch jeder die Grenzen zwischen den einzelnen Typen für sich persönlich anders setzen. Für mich z.B. kann ein Phlegmatiker ein durchaus vom körperlichen Typ her flotter Hund sein, ein anderer empfindet diese Bezeichnung schon eher als Beleidigung, weil er selbst nur eine wandelnde Schlaftablette so bezeichnen würde.
: ... Die Beurteilung der Reizschwelle eines Hundes(oder sonstigen Individuums) bleibt immer grob, zumal diese einer außerordentlich hohen Wandelbarkeit unterliegt. ... Die Definition der Reizschwelle eines Individuums ist im Alltag schwierig vorzunehmen und für die o.erwähnte Einschätzung der Leistungsfähigkeit oder gar der Gefährlichkeit eines Hundes eben nur sehr bedingt tauglich.
Wer einen Hund ausbildet, befindet sich ja nicht in der Lage, diesen Hund innerhalb kürzester Zeit beurteilen zu müssen. I.d.R. wächst der Hund bei einem auf, man beobachtet die Entwicklung, sieht hier eine Tendenz in diese oder jene Richtung usw. Es dauert sehr lange, bis der Hund durch die Pubertät durch ist und bis man mit einer für den Hund ernstzunehmenden Ausbildung beginnt (die triebliche Förderung beginnt schon früh, ich meine hier den Abschnitt der Ausbildung, in dem der Hund bewust mit Konflikte konfrontiert wird, um seine Lernvermögen zu steigern). Bis dahin sollte man den Grundtyp seines Hundes definiert haben können oder von der Ausbildung besser ganz die Finger lassen.
: Wie willst Du die Reaktionsstärke auf einen Reiz sicher, beurteilen,wenn z.B. die Reaktion, die sichtbare! recht schwach ist, aber eine neurale Erregbarkeit vorhanden ist, die auf dem oszillografen schwere unruhen verzeichnen würde, nur keine, jedenfalls aus unserer Sicht adäquate motorische Reizantwort erkennen läßt?
Hier ist die Feinfühligkeit des Ausbilders gefragt. Schon kleinste Anzeichen einer erwünschten Reaktion können gefordert, einer unerwünschten Reaktion unterdrückt werden. Ein noch nicht in irgend einer Weise beeinflußter Hund wird auf eine Erregung immer irgendwie reagieren und wenn man den Hund selbst großgezogen hat, wird man ja wissen, in wie weit ein Hund in dieser Richtung bereits beeinflußt worden ist.
: Der Hund hat gelernt, auf bestimmte Reize selektiv nicht mehr zu reagieren, aber eine Reizantwort spielt sich dennoch ab, und das ist nicht immer in Streßabbau, wie Übersprunghandlungen zu erkennen.
S. o. ! Wenn ich meinen Hund selbst aufgezogen habe, dann sollte ich beurteilen können, was erlernt/geprägt wurde und was nicht. Der Nerventyp zeigt sich ja immer wieder, nicht nur in einer Situation. Am deutlichsten erkennt man ihn immer dann, wenn der Hund in eine Situation kommt, die ihm völlig fremd ist. Wie stark reagiert der Hund in welche Richtung (Aggression, Meiden, Freude z.B.), wie schnell schaltet er wieder um usw. (auf diesem System ist ja auch die Malinois-Körung aufgebaut).
: Die Leistungsfähigkeit eines Hundes würde ich immer individuell beurteilen und den Begriff Reizschwelle würde ich in diesem Zusammenhang eigentlich über Bord werfen.
Für mich sagt der Begriff "Reizschwelle", weder positiv noch negativ angehaucht und nicht auf irgendwelche Beißhandlungen reduziert, sehr viel aus.
: (Ich würde bespielsweise bei der Beurteilung meiner Mitarbeiter nicht auf die Idee kommen, deren leistungen, deren Umgang irgendwie mit dem Begriff Reizschwelle in Verbindung zu bringen, das erinnert mich irgendwie an die Untersuchungen zum Membranpotential beim Frosch)
Gerade im modernen Personalmanagement ist eine solche Vorgehensweise üblich; die Begriffe werden sich hier natürlich unterscheiden, es wird niemand von einer „Reizschwelle" sprechen, aber im Endeffekt ist es das gleiche. Wer eine Führungsposition übernimmt hängt nicht alleine von den beruflichen Fähigkeiten ab.
: Sowohl der Arbeits- als auch der Familienhund brauchen ein gewissen Maß an "Härte" zur Bewältigung seiner Aufgabe.
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: Das halte ich nun wirklich für eine verbrämte Formulierung aus dem Schutzhundbereich, Antje, die sicher nicht Deine Erfindung ist, aber der Du ebenfalls auf den Leim gegangen bist. Ja, wer hat schon gern ein Weichei als Hund oder sonstigen Sozialpartner, aber die Grenzen sind einfach zu subjektiv.
Den Begriff "Härte" in Bezug auf das Wesen von Hunden kenne ich seit frühster Jugend, und zwar nicht aus dem SchH-Bereich, sondern dem Jagdhunde- und Hütebereich. Er hat für mich nichts mit "Weichei" oder nicht zu tun! "Härte" ist die Fähigkeit, bestimmte nicht-angenehme Empfindungen hinzunehmen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer Härte nach Außen hin (gegen Dritte, gegen Schmerzen usw.) und einer emotionalen Härte in Bezug auf die Beziehung zum Hundeführer. Mein Bullterrier z.B. war extrem hart in Bezug auf Schmerzen oder Einwirkungen Dritter (daraus resultierte auch eine hohe Reizschwelle), aber er war extrem führerweich. Ein gewisses Maß an Härte braucht ein Arbeitshund; z.B. muß ein Hütehund auch dann noch resulut, aber wohldosiert, an die Schafe herangehen, wenn ihm eine widerspenstige Heidschnucke mal eine Rippe gebrochen hatte. Der Jagdhund muß Raubzeug gegenüber eine gewisse Härte zeigen, auch bei Verletzungen. Zu viel Härte, auch hundeführerbezogen, macht ihn aber als Abreitshund genauso untauglich wie zu wenig Härte.
Ich halte nicht viel davon, bekannten Dingen einen neuen Namen zu geben. Das ändert an einer Situation doch überhaupt nichts. Ist das Wesen und die Arbeitsbereitschaft der einzelnen Schutzhundrassen besser geworden, seitdem die Bezeichnung "Härte, Mut und Kampftrieb" geändert wurden in "Triebveranlagung, Selbstsicherheit und Belastbarkeit"? Man sollte lieber versuchen, die alten Begriffe zu verstehen und zu hinterfragen und dann züchterische Mißstände zu beseitigen, aber nicht, den Dingen einen neuen Namen geben und mehr Energie darin verschwenden, Begriffe wie "Aggression" zu vermeiden; stattdessen sollte man lieber dafür sorgen, daß z.B. "Aggression" als das verstanden wird was sie wirklich ist.
: Auch wenn Du eingangs gemeint hast, dass diese Begriffe wertfrei zu sehen sind. Dieser ist es bestimmt nicht, obwohl ich Dir abnehme, dass Du es so siehst.
: Besser ist da schon von psychischer und physischer Gesundheit und Belastbarkeit zu sprechen...
S.o.
: Mich hat mal ein Dobermannbesitzer gefragt, ob ich einen Trick wüßte, dass sein Hund in der sommerliche Mittagshitze besser im Schutzdienst arbeiten kann, ich hatte leider grad keinen Eimer Wasser zur Hand...
Die Arbeitsbereitschaft eines Hundes besteht aus mehreren Komponenten. Grundvorraussetzung ist für mich die Nerventätigkeit eines Hundes, dann die körperliche Belastbarkeit. Leider sind manche Rassen "innerlich" zwar sehr beweglich, aber ihr Körper spielt nicht mit. Nicht nur beim Dobermann, auch bei anderen Rassen spielen z.B. Außentemperaturen eine große Rolle (das ist ja nicht nur ebim Hund so; der eine von uns geht bei 30°C joggen, der andere streckt alle Viere von sich). Hier hat der cholerisch veranlagte Hund den größten Vorteil, denn er geht, wenn er richtig motiviert wird, über alle körperlichen Leistungsgrenzen hinweg.
Viele Grüße
Antje