von Thorben(YCH) am 11. Juni 2001 16:32
Hallo Sonja,
: Vermutlich ist die Unterordnung von Anja`s Hund nicht vollständig vollzogen, sonst würde er ihr doch gehorchen, gerade in Ausnahmesituationen, oder?
Dafür muss der Hund aber erstmal langsam und mit beinahe unendlicher Geduld lernen, dass jetzt ein Mensch bereit ist, auf ihn aufzupassen, ihn zu beschützen, dass jetzt ein Mensch bereit ist, ihn wirklich "jederzeit" mit Futter zu versorgen usw. Ich weiss nicht, wie lange dieser Hund als Streuner gelebt hat, und ob er jemals ein wirkliches Zuhause bei Menschen hatte.
Aber nach meinen Erfahrungen mit ehemaligen Streunern schätze ich, ist es auch hier eine Frage der Zeit und nicht des dickeren Kopfes.
Ich hatte mal eine Grönlandhündin, sie war 10 Jahre als Zughund gegangen, hatte in der Zeit immer draußen gelebt und von Frühjahr bis Herbst immer selbst für ihr Futter sorgen müssen (das ist in ihrer Heimat noch üblich, da ist ja auch nichts gegen einzuwenden, solange die Tiere im Winter versorgt werden und genug Futter haben), und wurde dann "ausgemustert" (andere Länder, andere Sitten, darüber mag ich mir kein Urteil erlauben, ich lebe nicht im fast ewigen Eis). Irgendein versierter "Tierfreund" wollte ihr den Gnadenschuß ersparen, nahm sie mit nach Deutschland, und merkte leider nach 5 Wochen, dass er dieser Hündin nicht gewachsen war. Also, nicht dass das jetzt falsch rüberkommt, ich habe diese Hündin sehr, sehr lieb gehabt und möchte keinen Tag des Lebens mit ihr missen, nach den Erfahrungen mit ihr hat sich nur meine Ansicht darüber, dass immer mehr Hunde, die in beschissenen Verhältnissen leben und jetzt in Deutschland an hiesige Verhältnisse gewöhnt werden sollen, drastisch geändert, denn die meisten Menschen erwarten, dass diese Hunde "click" im Gehirn machen und so drauf sind wie die, die hier aufgewachsen sind. Damit meine ich jetzt nicht Anja, ich denke da an meine Hündin und an einige andere, die nach wenigen Wochen aus ihrem ach so tollen neuen zuhause wieder rausgeflogen sind, weil sie nicht so schnell "unterordnungsbereit" waren und ihnen dann untergeschoben wurde, sie wollten nicht, obwohl die armen Viecher einfach nicht anders konnten. Die Grönländerin war für die Stadt überhaupt nicht "geeignet", sie kannte weder Autos noch Menschenmassen geschweige denn, in einer Wohnung zu leben. Da sich auf die Schnelle keine brauchbare Unterkunft für sie finden ließ, kam sie zu mir, als Pflegehund. Und dann blieb sie... Und nach fast zwei Jahren des geduldigen und einfühlsamen Zusammenlebens mit ihr und täglich 5 Stunden laufen-laufen-laufen hatte sie soviel Vertrauen gefasst, dass sie z.B. wußte "ich muß keine halb vergammelten Fische mehr aus dem See holen, ich bekomme bei diesem Menschen genug zu fressen", und ebenso dauerte es, bis sie lernte, zumindest meistens zu kommen, wenn ich sie rief, ihr all die in Deutschland üblichen Kommandos (Sitz, Platz usw.) beibringen zu wollen, habe ich nach 14 Monaten aufgegeben. Die Schlittenhundekommandos führte sie mit Begeisterung aus, aber noch was neues lernen, neben all dem sozialen Stress, den es für sie bedeutet haben muss, vom fast ewigen Eis auf Deutschland umzulernen, war zu viel für sie. An der Straße nahm ich sie die gut 5 Jahre, die sie noch bei mir lebte, an die Leine, damit sie nicht unters Auto kam, ansonsten habe ich ihr einfach viel, viel Freiheit gegönnt. Und sie hat mich im Laufe der Zeit als "Rudelchef" akzeptiert, sie hat ihre extreme Selbständigkeit so weit aufgegeben, dass ich gut mit ihr losziehen konnte und ihr viel Freilauf gewähren konnte, ohne hinterher die Rechnung vom Forstamt zu bekommen.
Und bis zuletzt hatte sie zwei Tierarten, die sie trotz "Wasserflaschenbomper" und trotz "wenn Du's läßt, bekommst Du von mir 'ne Dose Thunfisch extra" einfach so ultralecker fand, daß ich halt aufpassen mußte: Katzen und Hasen (also, richtige Hasen, nicht Kaninchen).
: Kann man denn Unterordnungsübungen mit positiver Bestärkung durchführen? (Diese Frage ist ernst gemeint, ich möchte niemanden provozieren!!!)
Ja, das kann man wirklich, ich mach's gerade mit einem 15 Monate jungen "Draufgänger" aus dem Tierheim (er ist mit 8 Monaten dort gelandet, seine Leute bekamen Panik, als er seine niedlichen kleinen Milchzähne gegen ein vernünftiges Gebiß eingetauscht hatte und klarwurde, dass er kein Knuddelteddy für die Kinder, sondern ein langsam größer werdendes Laufraubtier ist), aber ich denke weiterhin, in so einem Fall wie Leo's erst dann zuverlässig, wenn der Hund vertraut, wirklich tief vertraut und gelernt hat, dass Menschen zuverlässige Sozialpartner sind. Die erste und langwierigste Aufgabe ist also: Vertrauen clickern. Bei meinem jetzigen, der handscheu gemacht wurde, hat's 4 Monate gedauert, und erst danach habe ich mit "Aufgaben und Gehorsam" begonnen, trotzdem tanzt er mir nicht auf der Nase rum, sondern genießt die Freiheiten, die er hat. Wie ein Streuner allgemein von Menschen behandelt wird, kannst du Dir sicher vorstellen, es ist ja nicht "der Hund von nebenan, der mal Hallo-sagen kommt, es ist das, was hierzulande früher ein "Köter" war (womit ich nicht Leo meine, aber Streuner hatten es früher in Deutschland auch nicht leicht).
Natürlich kannst Du ihn zwingen, zu gehorchen, aber das wird eine wackelige Sache bleiben, es sei denn, Du brichst den Hund wirklich, und das ist ja nun 1. das genaue Gegenteil vom Clickertraining und 2. mit dem aktuell in Deutschland gültigen Tierschutzgesetz zum Glück endlich nicht mehr vereinbar.
Vielleicht hilft Dir das ein wenig weiter, um zu verstehen, wo die Stärken des Clickers liegen und welche Möglichkeiten er bietet, um auch Hunden, die nie auf Menschen sozialisiert wurden, das Leben noch erträglich zu machen.
Ansonsten gibt es dazu auf den clickerseiten von Klaus (www.clicker.de) im Magazin auch sehr spannende Beiträge zu verschiedenen "Problemhunden". Ich empfehle immer allen, die meinen, mit Zwang arbeiten zu müssen, Martins Geschichte über seinen Viktor und "Mikas Geschichte" von Mike Theiss zu lesen.
Natürlich gibt es da auch noch einiges zum thema "Clickerliteratur" statt Zwangarbeit, aber die ist ja sicher bekannt.
Viele Grüße von
Thorben und dem Nordlandclan