von Briard-Jutta(YCH) am 25. Januar 1999 15:56
Lieber Stephan,
zunächst mal: Danke für das Kompliment, ich freue mich sehr darüber, wenn es mir gelingt, das, was ich denke, verständlich rüberzubringen!
Was das Wissen über einzelne Rassen betrifft: Ich arbeite im Jahr mit ca. 100 verschiedenen Hunden, davon etwa zwei Drittel im Problemhundebereich (Einzeltraining), das andere Drittel auf dem Hundeplatz. Da ergibt sich ganz zwangsläufig der Umgang mit einer Vielzahl von Rassen (und ihren diversen Mischlingen). Natürlich sehe ich bestimmte Rassen häufiger als andere, was letztendlich mit deren Popularität zu tun hat. Zu jeder "neuen" Rasse, mit der ich zu tun habe, besorge ich mir zunächst alles an Literatur, was mir lesenswert erscheint. Bei seltenen Rassen ist das oft gar nicht so einfach. Außerdem rücke ich dauernd den Züchtern auf die Pelle und höre mir ihre Erfahrungen mit ihrer Rasse an.
Dobermänner sind aber beispielsweise ziemlich häufig vertreten. Sie kommen von verschiedenen Züchtern, haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, sind von...bis...Jahre alt und zeigen durchaus unterschiedliche Verhaltensweisen. Trotzdem entsteht im Laufe der Jahre ein gewisses Bild des Hundetyps. So kann man z.B. bei den Dobis in den letzten fünf Jahren insgesamt eine starke Neigung zur Nervosität feststellen, die an sich alles andere als erwünscht und idealtypisch (im Sinne des Rassestandards) ist. Das oft extrem hunde- und menschenfreundliche Verhalten im Jugendalter ist am charakteristischten für alle Hunde des Lagerhundtyps, aber es fällt auch bei manchen anderen Rassen auf.
Dank zunehmendem Interesse vieler Hundebesitzer an Welpenprägespieltagen und Hundekontakten allgemein, erlebe ich die meisten jungen Dobermänner als sehr verträglich. Am einfachsten sind Unterschiede zum erwachsenen Dobermann dann festzustellen, wenn ich den Hund bereits in der Welpengruppe hatte und seine Entwicklung kontinuierlich mitverfolgen kann. Und genau da stelle ich sehr oft fest, daß absolut umgängliche Junghunde mit ca. 3-4 Jahren keinen gesteigerten Wert mehr auf freundschaftliche innerhundliche Kontakte legen. Sie zeigen sich oft distanziert bis aggressiv, obwohl sie ausreichend sozialisiert wurden. Das fällt wiederum stärker bei Hündinnen als bei Rüden auf.
Natürlich gibt es immer Ausnahmen, wir haben sogar einen auf dem Platz: Ein sechsjähriger Zuchtrüde, der als "Erziehungsrüde" bei den Welpen und Junghunden eingesetzt wird und auch mit anderen erwachsenen Rüden sehr umgänglich ist. Er ist allerdings ein Bild von Selbstsicherheit und Ruhe und provoziert dadurch besonders unsichere Hunde nicht im Geringsten.
Eine Tendenz kann ich aber, wie gesagt, deutlich beobachten - so wie andererseits bei den Golden Retrievern das Welpenverhalten bei erwachsenen Tieren auffällt. Während ich bei den Dobermännern das Verhalten darauf zurückführe, daß der Schutztrieb dieser Hunde sehr ausgeprägt ist, und sie deswegen die Umgebung ihres Herrn wachsam beäugen (und eventuell verteidigen), scheint bei den Golden die Zuchtauslese in Richtung absolute Aggressionsfreiheit zu gehen (was ich sehr bedenklich finde).
So, das wars fürs erste, ich hoffe, ich habe Deine Fragen ausreichend beantwortet,
liebe Grüße,
Jutta