Sinn der Rassehundzucht?
von Sabine & Pyris(YCH) am 18. März 1999 20:12
Hallo Andreas,
es ist mir schon klar, dass ich an Deinem Thema etwas vorbeigeschrieben habe. Aber egal, unter welchem Aspekt ich anfange zu denken, ich ende eigentlich immer bei der Frage, ob Rassehundezucht ganz generell sinnvoll ist. Ich habe gewisse Probleme, das ethisch vor mir selbst zu rechtfertigen. An schlechten Tagen gelange ich sogar zur Frage, ob wir überhaupt das Recht haben, Hunde unter unseren ganz hunde-unnatürlichen Bedingungen zu halten. (Mir graust vor dem Tag, an dem ich diese Frage vielleicht verneine und fortan ohne Hunde leben muss.) Jetzt aber zu Deinen Fragen.
: Bist Du tatsächlich der Meinung, daß ich mit der Auswahl eines Hundes einer bestimmten Rasse automatisch auf ein bestimmtes Wesen/Charakter vertrauen kann....
Nein, kann man sicher nicht. Aber eine Richtung kennt man doch, in die der Hund sich voraussichtlich entwickeln wird. Stell Dir einen Terrier mit Windhund-Zurückhaltung vor, oder einen Schäferhund mit Dackel-Dickkopf, einen Husky mit Rottweiler-Schutztrieb oder einen Herdenschutzhund mit Labrador-Sanftmütigkeit. Ich kann mir das genauso wenig vorstellen, wie einen langhaarigen Dobermann oder einen kurzbeinigen Greyhound oder einen Pudel in Bully-Format.
: Ich gehe nach wie vor davon aus, daß der Schwerpunkt der Käufer von Rassehunden überwiegend auf optische Kriterien gesetzt wird und dieses Bedürfnis letztlich von den Züchtern, die immerhin ihre Welpen verkaufen wollen und müpssen, bedient wird.
Stimmt, die Optik ist in der Regel entscheidend beim Interesse für eine Rasse. Die guten Züchter betonen aber sehr die Wesenstendenz ihrer Hunde und schicken durchaus Interessenten ohne Hund nach Hause, wenn sie nicht zur Rasse passen (oder zum Individuum). Es ist ja auf der anderen Seite so, dass manche Welpenkäufer einen Wahnsinnsärger veranstalten, wenn Probleme mit dem Hund auftreten; man schaut also schon aus Eigennutz, ob die geplante Verbindung passt.
Man nimmt als Welpenkäufer selber einen entscheidenden Einfluss auf die Wesensentwicklung des Hundes. Auch dafür ist es wichtig zu wissen, zu welchem Verhalten eine Rasse neigt. Meine Welpenkäufer müssen wissen, dass sie von Anfang an die Bellneigung erzieherisch beeinflussen müssen, oder dem Hund viele Kontakte zu Mensch und Hund bieten müssen, damit sich das rassetypische Misstrauen später in Grenzen hält. Diese Hunde wirken dann nur rasse-"untypisch" freundlich. Auch vom Dominanzstreben bemerkt man in der Regel bei den erwachsenen Hunden nichts, wenn von Welpenbeinen an alle Versuche, sich sozial zu verbessern, unterbunden werden. MAN MUSS ABER WISSEN, WAS AUF EINEN ZUKOMMEN KÖNNTE, um entsprechend vorzusorgen.
: Sofern ich mir ferner Ausstellungen betrachte, scheint mir die Überbetonung des äußeren Erscheinungsbildes ebenso folgerichtig zu sein: Der Vergleich mit der Vieluzahl konkurrieredner Hunde verleitet doch geradezu zu einer Überbetonung der Rassestandards, um sich von eben jenen Konkurrenten bereits auf den ersten Blick deutlich abzuheben.
Hier kann ich nicht zustimmen. In der Regel ist es so, dass gerade die Rassen, bei denen auf die äußere Erscheinung sehr viel Wert gelegt wird, sehr einheitlich aussehen. (Auf Ausstellungen, meine ich. Natürlich gibt es Möpse mit Nase, nur auf Ausstellungen sieht man sie gar nicht erst.) Meine Rasse, bei der man in Punkto Körperbau doch eher auf Funktionalität achtet, zeigt sich recht unterschiedlich.
: Die Frage "Wozu dann noch Rassehunde" geht ein wenig an dem vorbei, was ich zum Ausdruck bringen wollte....
Übereinstimmung: Die extremen Übertypisierungen und alle Merkmale, die dem Hund Schaden zufügen, findet wohl keiner gut - solange es nicht um die eigene Rasse geht. Aber ist es denn prinzipiell schlecht, wenn ein Schnauzer heute nicht mehr aussieht wie vor hundert Jahren? Oder ein Schäferhund oder ein Rottweiler. Das Aussehen der Hunde darf sich meinetwegen genauso ändern wie das Aussehen der Autos (nur besser nicht so schnell).
: Die Frage nach der Ursache ist die nach dem zeitlichen Erscheinen von Henne und Ei: Ist der "Schuldige" der Hundekäufer, der eine Nachfrage nach einem bestimmten Hund hat oder der Züchter, der dem Käufer erst zeigt, was möglich ist und damit die Nachfrage erst weckt.
Von Schuld, meine ich, kann man nicht sprechen. Da wirken Mechanismen von Angebot und Nachfrage, denen beide Seiten unterworfen sind. Eine Schuld sehe ich eventuell bei Zuchtverantwortlichen und Richtern, die um die lenkende Wirkung ihrer Tätigkeit wissen und somit bewusst in tierquälerische Richtungen lenken. Aber sowohl der Käufer als auch der Züchter haben eine Verantwortung für das, was sie selber tun. Es bleibt jedem freigestellt, Tendenzen mitzumachen oder nicht - und die Konsequenzen zu tragen. So sollte sich jeder an die eigenen Nase fassen, sich gelegentlich selber hinterfragen, statt andere zu verurteilen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: das ist kein Vorwurf an irgendwen, der sich gegen Auswüchse in der Hundezucht engagiert; es ist einfach meine persönliche Meinung (und jetzt bin ich schon wieder bei meiner Lebensphilosophie), dass man am meisten verändert, indem man bei sich selbst beginnt. Vielleicht ist das ein feiges Sich-Heraushalten; ich bin jedoch stolz auf mich, dass ich manche Strömungen in meinem Verein nicht mitmache, obwohl ich mir das Züchterleben damit schwerer mache.
Viele Grüße, Sabine