Hallo Martina,
da habt ihr wirklich ein paar Probleme
((
Vorweg, kein Ratschlag in diesem Forum kann dir den Weg zu einem wirklich guten, verhaltenstherapeutisch arbeitenden Trainer ersparen.
Aber wie findet man so einen???
Dazu vielleicht nachher - Jetzt ein paar Gedanken zu deinem Text:
:: Unsere Hündin (3 Jahre alt, aus dem Tierheim, Vorgeschichte unbekannt, seit einem Jahr bei uns) zeigt immer mehr problematisches Verhalten........::
Ein eindeutiges Zeichen dafür, das so ziemlich alles was du bisher in den betreffenden Situationen gemacht hast eher kontraproduktiv war/ist. Bzw. auch dafür, dass ihr Verhalten aus IHRER Sicht absolut Sinn macht. Irgendwie wird ihr Verhalten bestärkt.
:: Während der ersten Zeit an der sie nur an der Leine geführt wurde stellte sich aber recht schnell eine Leinenaggression ein. Wobei ich gar nicht weiß ob es wirklich reine Aggression ist, ich denke es ist eine Mischung aus Aggression, Neugier und Angst........::
Was ist "reine Aggression" ??? Aggression ist ein Mischmasch aus verschiedenen möglichen Ursachen:
Ein Teil mag sogar genetische Anlage sein, das steht aber meist im Hintergrund. Dann gibt es noch die "Frustrationstheorie" (Frust verstärkt Aggressionen), das wesentliche ist meiner Meinung nach aber "erlerntes Verhalten". Zu 99% erweist sich die typische Leinenaggression als Angst-oder Unsicherheitsverhalten, das falsch bestärkt wurde, bzw. selbstbelohnend ist. Fast IMMER sind das Hunde, die unsicher sind und keineswegs DOMINANT.
Jegliche aversive Reaktion deinerseits auf Unsicherheit, oder Ängstlichkeit wird daher kontraproduktiv sein.
Wahrscheinlich besteht die Umwelt aus Sicht deiner Hündin aus vielen "Green Slymie Monsters" (so ähnlich drückt sich Turid Rugaas aus). Sie müßte lernen, dass von diesen KEINE Gefahr ausgeht. Im Moment glaubt sie, dass sie die Gefahr durch ihr Verhalten minimiert. Warum auch immer.
:: Entstanden ist das ganze mit auch durch meine Unwissenheit und mangelnde Erfahrung, ich habe sie zu vielen Hunden hingelassen und wenn es dann Knatsch gab die Leine nicht losgelassen (beides falsch wie ich heute weiß :-( ).::
Ja, leider
((.
:: Sie hat auch immer wieder Phasen in denen sie bestimmte Personengruppen anbellt,..............::
Du wirst natürlich selbst immer unsicherer, das spürt sie und automatisch weitet sie den Kreis der "bedrohlichen Erscheinungen" aus.
::......wenn es ganz schlimm wird bellt sie nicht nur aus der Ferne sondern läuft auch hin und ist absolut nicht mehr abrufbar.::
Was genau macht sie dann, wenn sie zu so einer Person hinläuft?
:: Sie läuft dann durch die Gegend und man hat das Gefühl sie wartet regelrecht darauf das "etwas" kommt. ::
Nochmal: Glaubst du, dass ein selbstbewußtes, führungsstarkes Tier (das in der Regel als "dominant" bezeichnet wird) so ein Verhalten zeigen würde? Das Gegenteil wäre der Fall. Ein geborerner Anführer läuft locker durch die Gegend, weil er die Situation "im Griff hat", was auch immer auf ihn zukommt.
Also vergiss bitte das "Dominanzgefasel" !!!
:: Wir haben sie eine lange Zeit am Halti geführt, Kopf abgedreht, Blickkontakt zu uns belohnt, leider lief das nicht so gut da sie im Halti fast noch mehr Zicken macht da sie sich dann noch mehr "angebunden" fühlt.::
Ein grosses Problem, aber logisch erklärbar.
Im übrigen ein weiteres Indiz dafür, dass ANGST die Ursache ihres Verhaltens ist.
Dazu eine Geschichte:
Stell dir vor, du sitzt in einem grossen Saal. Du wärst ein sehr ängstlicher Mensch und VOPR allem hast du absolute Panik vor *hmmm* z.B. Schlangen.
Jetzt öffnet sich am gegenüber liegenden Ende des Saals eine Türe und jemand wirft einen Sack in den Raum, aus dem sich 3-4 Schlangenkörper winden.
Du sitzt noch weit weg, aber du bist in Alarmbereitschaft. Wenn du ein Hund wärst, der "gelernt hat", dass Bellen die Gefahr beseitigen kann, würdest du das tun. Aber jetzt geschieht noch was viel Schlimmeres! Jemand dreht das Licht ab...........Kannst du dir diese Panik vorstellen? Eine Gefahr, von der du zu wissen glaubst, dass sie da ist, aber du weißt nicht, wie nahe, kannst die Bewegungen nicht mehr sehen..........
Ähnliches passiert, wenn wir Hunde dazu "zwingen" wollen, von der vermeintlichen Gefahr wegzuschauen. Das verstärkt nur das Gefühl des Unbehagens. Das bedrohliche Objekt wird noch bedrohlicher......das ist auch ein Lernprozess, der in der falschen Richtung bestärkend wirkt.....
Die einzige Möglichkeit ist: DESENSIBILISIERUNG!
Langsam, Schritt für Schritt zu lernen, "das Objekt tut mir nix" - UND/ODER ruhiges Verhalten wird bestärkt und ist erfolgreich.
Bei Hunden, die da bereits ausrasten, KANN es helfen, wenn sie auf grossem Gelände frei laufend die Möglichkeit haben sich jemand zu nähern, der Hundeerfahrung hat und sich richtig verhält. Daher vorher meine Frage: "Was tut sie, wenn sie hinläuft". Wenn sie nur in die Nähe der Personen läuft und dort bellend herumspringend verharrt, kann man auch folgendes probieren:
Ich hab seit einiger Zeit einen hyperängstlichen Border-Mix-Rüden in meinem Kurs (Hundeverein), der alle Menschen wie verrückt anbellte.
Wir haben uns alleine auf dem Hundeplatz getroffen.
Ich hab mit Frauchen alles vorher besprochen, so dass ich möglichst wenig, bis gar nix reden mußte (am Anfang). Ich war auf dem Platz und hab im entlegendsten Eck gewartet. Als sie auf das Gelände kam, düste der Hund in meine Richtung. Kläffend, hektisch, aufgeregt.
Ich kauerte am Boden, mit dem Rücken zum Hund und suchte emsig im Gras nach irgendwas Imaginären. Der Hund lief bis ca. 20 Meter hinter mich und bellte dort fleissig weiter. Das Bellen brachte ihm aber gar nix. Weder entfernte ich mich, noch kam ich näher. Frauchen umkreiste mich und stand dann ein paar Meter vor mir, so dass wir uns leise unterhalten konnten. Nach einiger Zeit wurde er ruhiger und kläffte nur noch ab und zu kurz. Die Erfahrung war für ihn völlig neu. Bisher hatte jede dieser seiner Reaktionen irgendwelche Auswirkungen. Die Leute haben versucht ihn zu beruhigen und ihn angesprochen. Macnhe haben geschimpft. Oft hat Frauchen an der Leine zu Ziehen begonnen (oder umgekehrt). Er wurde hin, oder weggezerrt.....usw.
Ich hab kein einziges Mal zu ihm geschaut. Zwischendurch beschrieb mir sein Frauchen seine Aktivitäten. Er lief schnüffeldn umher, näherte sich mir, wenn er einen näheren Punkt erreicht hatte, bellte er wieder. Passierte nix, war er ruhig, entfernte sich wieder und kam wieder näher. Das dauerte ca. 10 Minuten.
Irgendwann war er ziemlich nahe gekommen, anscheinend doch auch interessiert an mir. Ganz langsam hab ich weiterhin am Boden sitzend - mit dem Rücken zu ihm - eine Hand zur Seite ausgestreckt, in der ich ein Pansenstück hielt. Das Spiel ging weiter, wie vorhin beschrieben, aber nach 2-3 Minuten hat er sich das Pansenstück geholt.
Nach einer weiteren Viertelstunde hat er sich immer wieder kleine Leckerbissen aus meiner Hand geholt.
Nach einer Stunde gingen wir gemeinsam über das Gelände, ich hab ihn nach wie vor nicht angesehen.
Dann konnte ich seinem Frauchen vieles erklären. Sie hat ihr Verhalten völlig umgestellt.
Entgegen bisherigen Ratschlägen KEIN einziges Mal mehr geschimpft, oder ähnliches, wenn er ausgerastet ist.
Nach drei Einzelstunden kam sie in die Clickergruppe. Alle anderen hatten die Anweisung, den Hund zu ignorieren.
Seit 2 Wochen, bellt er auf dem Platz KEINEN mehr an.
Sie hat gelernt ihn mittels "Click and Treat" für erwünschtes Verhalten zu bestätigen und einige Übungen gemacht. Z.B. zerrt er nicht mehr an der Leine. Von mir läßt er sich anfassen und kraulen. Ich muss aber immer noch "jähe" Bewegungen vermeiden dabei. Manchmal stupst er mich von hinten an, wenn ich mich hinhocke ;-))
Dabei hat meiner Meinung nach das "Anti-Leinen-Zieh-Programm" (mit Clicker) sehr geholfen ihm Sicherheit zu geben. Das Gefühl "geführt zu werden" nahm viel Stress von ihm ab. Dazu brauchte es bisher keine einzige aversive Einwirkung (weder körperlich, noch verbal).
Frauchen hat sich merklich entspannt, das wiederum beschleunigt den Verbesserungsprozess.
Die beiden machen sich toll und ich freu mich sehr darüber.
Bitte sie dieses Beispiel nicht unbedingt als für eure Situation 1:1 ummünzbar. Es sollte dir nur einen möglichen Weg aufzeigen mit einem Hund gemeinsam "umzulernen".
:: Auch mit Ablenkung haben wir es probiert, sowohl mittels Leckerli als auch per Kommandos die sie ausführen sollte.::
Ablenkung mit Leckerchen, oder irgendeiner anderen Bestärkung führt unter Umständen genau zur Bestärkung des "Unerwünschten Verhaltens".
Stell dir vor: "Hund beginnt zu kläffen, du willst ihn ablenken und ziehst ein Wiener Würstchen aus der Tasche? Was lernt er daraus?
:: Problem ist, es heißt immer man solle die Leine locker lassen um dem Hund nicht schon vorab zu vermitteln "Achtung da kommt was". Das ist aber ganz und gar ausgeschlossen, denn wenn ich die Leine locker lasse hängt sie mir am anderen Hund oder der fremden Person dran und das kann man nun wirklich keinem zumuten.::
Das ist ja schon VIEL zu nahe. Du musst mit der Desensibilisierung vielleicht schon in 100 Meter Entferung anfangen.
:: Wir sind seitdem wir sie haben in einem HSC, aber in diesen Problemen konnte uns da nicht so gut geholfen werden.::
Haben sie dir da nicht auch was von "Dominanz" etc. erzählt. Oder, dass dein Hund glaubt, er sei der Rudelführer und müsse dich beschützen, weil du so schwach bist usw....... Und hat davon irgendwas geholfen?
::Wir wollen jetzt zu einer richtigen Hundeschule wechseln, und hoffen da kann uns geholfen werden.::
Informier dich gut und wähle jemand, der dir wirklich erklären kann, was in deinem Hund vorgeht. Achte dabei, dass die Schlagworte, "Dominanz", "Rangordnung" etc.... keine übermässige Gewichtung haben. Such dir jemanden aus, der was von Lerntheorie versteht und dir erklären kann, "Wie der Hund lernt!"
:: Ich war mittlerweile bei 4 Tierärzten, weil ich dachte das diese Phasen körperliche Ursachen haben könnten,....::
Ich würde eher tippen, NEIN, aber gut, dass du das abgecheckt hast. Es gibt unter Umständen Hunde, die sich ähnich verhalten, weil sie Schmerzen haben und GELERNT haben, dass Stress-Situationen den Schmerz lindern. Das ist eine sinnvolle Funktion der körpereigenen Stressmaschinerie. Kann sich aber auf das Verhalten fatal auswirken.
:: Nun sind wir bei einer Verhaltenstierärztin die es derzeit mit Homöopathie versucht......::
Warum versucht es eine "Verhaltenstierärztin" nicht hauptsächlich mittels "Ergründen des Verhaltens", bzw. "Beeinflussung des Verhaltens" ???
::.....aber ich bin langsam so verzweifelt und weiß mir nicht mehr zu helfen, so daß ich es in Erwägung ziehe.
Ich kann das gut verstehen und wünsche euch beiden, dass ihr einen Ausweg findet.
Alles Gute dafür
und aufmunternde Grüsse
Alex & Aris
PS.: Wenn du mich privat anmailen magst, kannst du das gerne machen