von Sabine & Pyris(YCH) am 17. März 1999 17:43
Hallo Andreas,
Deine Frage beschäftigt mich schon länger. Als Hundehalter denke ich, ich möchte mir meinen Hund wesens- und aussehensmäßig möglichst genau aussuchen, dann soll er verantwortungsvoll gezüchtet und aufgezogen sein. Damit bleibt nur ein Rassehund, also sollen bitte die Rassehundezüchter weitermachen (zumindest die seriösen).
Als Züchter frage ich mich allerdings viel kritischer, welchen Sinn meine Züchterei macht. Es ist sehr einfach, über die Zucht wesensfester, gesunder, leistungsstarker Hunde zu reden, aber die Umsetzung ist äußerst schwierig. Ich kann nur solche Merkmale züchterisch bearbeiten, deren erbliche Komponente ich erkennen kann. Das ist für körperliche Merkmale oft noch einfach, aber schon bei der Leistungsstärke spielt die Qualität der Ausbildung eine recht große Rolle. Beim Wesen sehe ich dann nur noch das Resultat aus Anlage und Umwelt und kann nur sehr bedingte Rückschlüsse auf die ererbte Veranlagung ziehen.
Angenommen, ich habe alle diese Informationen. Dann muss ich über Vererbung im allgemeinen Bescheid wissen und sollte den Erbgang der relevanten Merkmale kennen, um erkennbare Fortschritte erzielen zu können. Selbst wenn ich auch diese Information habe, stehe ich an einem Punkt, wo ich nicht alle meine Wunschziele gleichzeitig verwirklichen kann, d.h. ich muss Prioritäten setzen.
Die Sache läuft darauf hinaus, dass einer schreit, Du darfst keine Hündin einsetzen, die schon mal gezwickt hat (dafür hat sie hervorragendes instinktsicheres Verhalten bei der Welpenaufzucht), der andere schreit, Du darfst keinen Rüden mit schwachem Schutztrieb einsetzen (der aber kaum Defektgene für HD vererbt), der dritte schreit, Dein Hund ist viel zu ängstlich (aber er stammt aus einer Linie, die 3-4 Jahre älter als Rassekollegen wird). Einzig die äußeren Merkmale (Ohrform, Farben, Felllänge etc.) kann ich ohne Nachteile vernachlässigen. ABER WO BLEIBT DA DER RASSEHUND? Wenn die Hunde nicht mehr wie Schäferhunde, Rottweiler oder Westies aussehen, warum züchtet man dann Schäferhunde, Rottweiler oder Westies?
Antworten auf die Frage, wie man es denn richtig macht, haben findige Menschen ja schon veröffentlicht, wie z.B. H. Wachtel mit seiner "Hundezucht 2000". Genetik ist ein kompliziertes Thema. Populationsgenetik wird dann richtig statistisch, das versteht man kaum noch (Herr Wachtel übrigens auch nicht; zumindest konnte er mich nicht davon überzeugen). Er schreibt so viele Un- und Halbwahrheiten, dass man am Ende gar nicht mehr weiß, was man alles nicht glauben soll. Der Inhalt seines Buches: je homogener ein Hund, desto schlechter; je heterogener, desto besser! Selbst wenn es so wäre, dass nur ein heterogener Hund gesund sein kann, dann hieße das aber, dass Rassehunde kein einheitliches Aussehen haben dürften! Wozu also Rassehundezucht?(s.o.)
Jetzt hänge ich wieder an dem Punkt, wozu es Hunde geben soll, die ein bestimmtes Aussehen haben? Ist eine Hunderasse (selbst wenn sie jahrhundertelang als Gebrauchshund benötigt wurde) ein schützenswertes Kulturgut, das man um seiner selbst Willen erhalten muss? Wer braucht (wie in anderen Antworten angeklungen) einen Hütehund als Familienhund? Oder einen Jagdhund oder Schutzhund? Der Mischling, wie wir ihn heute haben, kann keine Alternative sein, denn er ist ja innerhalb ganz weniger Generationen (meist nur ein oder zwei) aus Rassehunden entstanden. Eine Antwort wären solche Hunde, wie sie vor Beginn der Rassehundezucht als Landschläge gezüchtet wurden. Auf Gebrauchsfähigkeit, d.h. heute auf Familien- und Umwelttauglichkeit, mit wenigen charakteristischen äußeren Merkmalen, die den Geschmacksvorlieben der Menschen gerecht werden: klein - mittel - groß, kurz- rauh- langhaarig, meinetwegen noch Hänge- oder Stehohren. Die Farbe kann man sich beim geborenen Welpen raussuchen. Jeder bekäme einen Hund, der in der heutigen Umwelt minimale Probleme verursacht. Die Züchter hätten eine solche Populationsgröße und Variationsbreite (nicht mehr wesensmäßig, versteht sich) und damit einen riesigen Genpool zur Auswahl, dass sie nur noch gesunde Hunde züchten könnten. Theoretisch, meine ich, müsste das funktionieren. In der Praxis fange ich damit nicht an, weil ich glaube, dass ich nicht genug Käufer finden würde, die einen solchen Hund haben wollen.
Ungeklärte Fragen zuhauf. Ich löse das Dilemma für mich, indem ich den letzten Wurf nur gemacht habe, weil ich daraus eine Hündin für mich behalten wollte (meine Rasse ist natürlich die einzige, die ich haben will). Für einen nächsten Wurf habe ich noch keinen Grund gefunden, deshalb passiert in meiner Zuchtstätte derzeit nix. Die Zeit wird ein klareres "Nein" oder "Ja" bringen, denn man entwickelt sich weiter.
Unüberzeugte Grüße von Sabine