Grüß Euch miteinander,
Nach einiger Abwesenheit habe ich die interessante Diskussion über CARE vorgefunden. Am aufschlußreichsten dabei ist, daß es zu 90% gar nicht um konkrete Informationen zu Hunden geht. Nun glaube ich, CARE ziemlich gut einordnen zu können, nicht zuletzt dank Heiko´s Berichten. Sie waren für die Community viel wertvoller, als er jetzt vielleicht glaubt. Auch Franziska hat sehr gut dargestellt, was abgelaufen ist. Daniels Beiträge zeichnet dabei eines aus, eine geradezu wütende Verunglimpfungen derjenigen, die mit seinem Konzept nicht klarkommen. Ich kann das gut nachempfinden. Aber so wahr, wie der Satz ist, daß erst der Mensch sein Verhalten ändern muß, bevor der Hund sein Verhalten ändern kann, ist auch der, daß ein Trainer oder Mentor seine Art des Anleitens ändern muß, wenn der Trainee oder Schüler die Art seiner Auführungen ändern soll. Und da sehe ich noch gewaltige Verbesserungsmöglichkeiten im Board.
Ich habe vor Jahren auch einmal mit der "Rudeleinstellung" angefangen. Sie ist enorm hilfreich. Es ist aber durchaus schwierig, das anderen Menschen in Fleisch und Blut übergehen zu lassen, wenn das ihrem Naturell widerspricht. Es gibt Menschen, aus denen wird einfach kein Hund.
Das eigentliche Problem liegt aber viel tiefer.
Erfolgreiche Problemlösungen - hier CARE - landen dann auf dem Trockenen, wenn sie DAS PROBLEM DER LÖSUNG ANPASSEN. In diese Situation gerät man zwangsläufig. Mit jeder erfolgreichen Lösung erweiterte man die Erwartungshaltung ihrer Anwendbarkeit. Man testet. Das ist Lernen am Erfolg, sorry to say, aber so ist es. Irgendwann kommen die Situationen, die man nicht wahrhaben will, die man wegdiskutiert, die man wütend (weil man sich in Frage gestellt sieht) attakiert. Die weiteren gelegentlichen Erfolge sind dann die intermittierende Bestärkung, die das hartnäckige Festhalten an der Lösung festigen. Das ist ja auch OK. Aber
To care or not to care - tertium non datur?
Gibt es keine dritte Alternative?
Es gibt Hunde, denen die Gelegenheit, eine klare Körpersprache zu erlernen, nicht gegeben wurde. Es gibt Hunde, die erlernte Aggressionen zeigen. Es gibt Hunde, die sozial so verunsichert sind, daß sie in Dauerstreß geraten und lernunfähig werden.
Soziale Sicherheit (Geborgenheit) ist eine wesentliche Lebensqualität. Sie hat nichts mit umsorgt werden zu tun. Daniels Satz "Den meisten Hunden geht es so schlecht, weil es Ihnen so gut geht." kann ich voll unterschreiben. Zu sehr und falsch umsorgten Hunden ist die soziale Sicherheit oft ebenso genommen wie vereinsamten. Ist diese Sicherheit genommen, kommt Streß auf. Er kann sich durchaus in Aggression entladen. Angstbeißer sind das beste Beispiel dafür. In meinen Augen der häufigste Fehler ist die Diagnose "Du hast ein Dominanzproblem." Nicht, daß sie unbedingt falsch wäre, was sie häufig genug ist, nein das Wort Dominanz suggeriert eine Lösung, die damit gar nicht gemeint sein muß. Das Problem in solchen Fällen ist ein Ordnungsproblem. Ordnung in der Sozialgemeinschaft muß aber beileibe nicht immer mit offener Aggression (Scheinangriff) gelöst werden. Im Gegenteil, ein sozial bereits verunsicherter Hund wird auf Sicherheitssignale viel besser reagieren, weil er entspannen kann, sein Streß vermindert wird, er wieder lernfähig wird. Für solche Hunde ist CARE geradezu Gift. ("Trotz wiederholter Scheinangriffe..."
Etwa so, als wenn man eine Entzündung mit warmen Umschlägen, die ja bei anderer Gelegenheit Wunder wirken können, behandelt. Teufel mit Beelzebub auszutreiben war schon immer ein riskanter Weg. Aggression kann eskalieren.
Über diesen Aspekt könnte man in Roswithas Beiträgen über ihr Aha-Erlebnis mit ihrer aggressiven Malinois Hündin nachlesen.
Ein weiterer Punkt ist, daß wir uns viel zu wenig Mühe geben, die Körpersprache von Hunden zu verstehen ("Der Hund muß sich uns anpassen, nicht wir uns ihm."
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Wie oft sehen Menschen weiß und erklären es als schwarz!
Ein Beispiel?
Manche Halter kann man beobachten, wie sie ihren Hund rufen und er nicht gleich reagiert. Sie werden laut. Hatte der Hund sich schon in Bewegung gesetzt, wird er jetzt langsamer. Der Mensch wird ärgerlich. Der Hund wendet sich ab, fängt vielleicht an zu schnüffeln. ....
Dieser Hund wird mit ziemlicher Sicherheit als unerzogen, stur, dumm, dominant oder was auch immer bezeichnet. Dabei hat er nur eines getan, er hat versucht, auf hundliche Art seinen Menschen zu beschwichtigen. Langsamer werden, Abwenden sind Beschwichtigungssignale.
Sogar schnüffeln kann diese Bedeutung haben (Man konzentriere sich einmal darauf, wenn sich zwei Hunde frei begegnen.) Der Hund stellt seines MenschenAutorität nicht infrage, läßt dessen Dominanzposition unangetastet, im Gegenteil, er erkennt sie voll an und möchte den sozialen Spielregeln entprechend den wütenden Chef besänftigen, einer Aggression vorbeugen. Genau aber die löst er aus.
Woran das liegt? Zumeist daran, daß schon in der Lernphase des Kommens auf Kommando alles durcheinander vermischt wurde. Positive Bestärkung des Kommens wie des Nichtkommens. Bestrafen des Nichtkommens wie des Kommens. Konfuse Signale.
Und da Flucht- und Meidereaktionen viel schneller verallgemeinert werden als andere, sind sie es, die sich auf Dauer etablieren. Das Herbeirufen ist nicht zu einem Signal KOMM geworden sondern zu einer Ankündigung "Ich werde sauer." Und der Hund reagiert sofort richtig. Er besänftigt.
Beinahe schon skurril sind Ausfälle der Form "Fachidioten mit ihren fehlerhaften Interpretationen, ..... wissenschaftsverliebte Profilneurotiker.... "
Dabei ist faszinierend, daß die Erkenntnisse, auf die man sich beruft, genau von jenen praxisdummen Wissenschaftlern stammen, deren Nachfolger man belästert. Nicht umsonst haben Lorenz und Tinbergen für ihre Grundlegung der Ethologie den Nobelpreis bekommen. Ethologie hat sehr strenge Regeln. Interpretationen (um .. zu...) gehören mit zu den Todsünden. Aber Interpretationen sind es, mit denen die große Keule geschwungen wird. Zur Not wird das eigene Glaubensbekenntnis zur wissenschaftliche Grundlage erklärt. Z.B. daß es in einem Rudel keine positive Bestärkung für Wohlverhalten gibt. Das kann so sein. Wahrscheinlich ist es nicht. Um das entscheiden zu können, müßte man die Emotionen, die einen Hund in einer bestimmten Situationen empfindet, kennen, sowie alle Signale, die er wahrnimmt und auf welche er reagiert. Ein empfangenes Signal "Du befindest dich in Sicherheit mit dem was du tust." ist effektiv eine positive Bestärkung für das Tun. Ob aber dieses Signal mit diesem bewußten Vorsatz vom anderen Tier ausgesand wurde, ist für die Wirksamkeit völlig unerheblich. "Kein Wolf sagt einem anderen, was er tun soll!" Wie genau können wir das wissen? Ich ironisiere einmal: vielleicht verständigen sie sich durch Telepathie?
Wenn wir unserem Hund in seiner Sprache sagen können:
"Nix jagen hund, futter ich." dann drücken wir uns sicherlich geradezu perfekt aus.
Wenn wir aber Hunden klar mitteilen können, welches Verhalten ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden erhöht, dann werde ich nicht radebrechen mögen sondern diesen Weg nutzen und wenn ein Clicker dabei wäre (irgendwo mußte er ja einmal vorkommen
). Ein NEIN ist ein NEIN und muß eines bleiben. Das kann man auf verschiedene Arten lernen. CARE ist eine wirksame. Aber das gemeinsame Leben besteht nicht nur aus Abbruchverhalten. Es besteht aus Wahlverhalten, aus Emotionen.
Das schöne ist ja, das wir Menschen, das, was wir als wirksam erkannt haben (z.B.eine Methode), bewußt zu unserem und unserer Hunde Nutzen verwenden können und uns gegenseitig aktiv mitteilen können, wie hier im Board. Diese Gabe, die Mutter Natur den Menschen als letzten Schrei der Evolution mitgegeben hat, nutze ich gern und beschneide mich nicht auf meine hundlichen (Un)Fähigkeiten. Für das Zusammenleben im gemischten Minirudel heißt das: Wo ich zu meinem Hund nicht Hund sein kann, will ich wenigstens richtig Mensch zu ihm sein.
Tertium datur.
martin & mirko
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P.S.
Über Beschwichtigungssignale: Turid Rugaas "On Talking Terms With Dogs: Calming Signals"
Legacy By Mail Inc.(1996) www.Legacy-By-Mail.com