von Daggi(YCH) am 04. September 2000 11:15
Hallo Sabine,
aus meinem eigenen Kundenkreis habe ich ein ähnliches Problem. Hier handelt es sich um einen Schäferhund - tatsächlich von einem Schäfer übernommen, der ihn erschiessen wollte, da der Hund Schafe hetzt und so für ihn unbrauchbar war. Der Hund zeigt sich anderen Hunden gegenüber sehr souverän und sehr sozial. Menschen, die seinem neuen Besitzer zu nahe kommen werden mit sehr heftigen Scheinangriffen ( bis zum Schnappen)auf Distanz gehalten. Auf dem eigenen Grundstück ist es nicht möglich Besuch zu empfangen, da der Hund sofort angreift. Die Besitzer haben dem Hund der aus nicht gerade guten Verhältnissen kam aus Mitleid sehr viele Privilegien eingeräumt, was der Hund in ihren Augen mit "Dankbarkeit", aus meiner Sicht mit einer vollkommen übertriebenen Bindung quittierte.
Nachdem sich nun auch die Verwandschaft durch die ständigen Angriffe nicht mehr in den Garten wagte, war man der Ansicht, der Hund sei Verhaltensgetört! Ich habe mir das ganze Spektakel angeschaut und sah folgendes: Ein Hund, der zwischen Unsicherheit und Aggression hin und herschwankte, der mehrfach(eigentlich immer)Erfolg beim vertreiben der "Eindringlinge" hatte, der (er war zu meiner Sicherheit angeleint) immer wieder versuchte, sich in seinen (offenstehenden) Zwinger zurückzuziehen.
Das andere war ein Besitzer, der den Hund fast nicht halten konnte, zwischen "ist ja gut" und "AUS" Rufen hin und herschwankte. Der Hund reagierte auf lauteres Rufen des Besitzers extrem heftig.
Im Gespräch bekam ich mehrfach Aussagen wie: Hier hat ja auch niemand einfach hereinzukommen, der sieht ja auch sehr imposant aus, der will uns nur verteidigen - weil er es bei uns so gut hat! et cetera, wohl nichts Neues.
Zunächst haben wir auf dem Hundeplatz ohne Ablenkung den Grundgehorsam soweit gefestigt, dass Platz auch Platz bedeutet, der Hund auf Zuruf seines Besitzers kommt usw. Dann haben wir auf dem Platz Begegnungen mit Menschen geübt, Begrüssungen nachgestellt, Hund und Besitzer duch Gruppen gehen lassen und auch mal drei, vier Personen auf Hund und Mensch zugehen lassen. Jegliches Angreifen seitens des Hundes wurde restlos ignoriert. Bestärkung ist für diesen Hund nur der Kontakt zu seinem Besitzer, er nimmt weder Futter noch Spiel an, also haben wir bei extremen Verhaltensweisen mit "Herrchenentzug" gearbeitet. Der Besitzer lernte, den Hund dann restlos zu ignorieren, auch nicht auf ihn einzuschimpfen, was aber noch schwerer zu vermitteln war: überschwengliches Lob bei ruhigem Verhalten. Erst als er sich in diesen Situationen unauffällig verhielt, gingen wir zum "heimischen Territorium" über. Zur Zeit geht jeder Besuch( nur Leute, die KEINE Angst haben) durch den Garten ins Haus, so dass der Hund es mitbekommt. Der Hund wird dazu vorher angeleint, auch nach draussen gebracht, der Besuch geht vor, der Hund folgt mit Mensch. Sollte er wieder drohen, bleibt der Besuch im Garten stehen, der Hund wird kommentarlos aus seinem (sicheren?) Garten gebracht, wieder herein geführt, bei ruhigem Verhalten gelobt, ansonsten wieder hinaus.
Mittlerweile ist der Hund durch einen Pfiff wieder auf den Besitzer konzentriert (extra kein Kommando), regt sich recht schnell ab, oft erst gar nicht auf. Der nächste Schritt wird sein, auf kurzen Spaziergängen den Hund an jemand anderen zu übergeben, der dann mit ihm das Grundstück betritt.
Ich denke, das ist ein Standartbeispiel, wie aus falsch verstandenem Mitleid ein Problemhund heranerzogen wird. Ich habe nun schon recht häufig gesehen, dass die Besitzer wenigen das Verhalten des Hundes stört, als die Reaktionen der Umwelt auf solch einen Hund.
Speziell in diesem Fall war JEDE Reaktion der Besitzers bestärkend für den Hund. Ich hätte hier wohl meine Gesundheit massiv aufs Spiel gesetzt, wäre ich mit MP oder Disc vorgegangen. Das Ganze dauert nun schon Geraume Zeit, Fortschritte stellen sich kontinuierlich ein, aber ein einziger Erfolg für den Hund wirft uns wieder um Wochen zurück.
Leider ist der Besitzer auch nur ein Mensch und recht aschwankend in seiner Tagesform!
Vielleicht konnte ich Dir helfen,
liebe Grüsse, Daggi