Halti für ängstlichen Hund?
von Christine(YCH) am 15. Mai 2003 09:11
Lieber Roman
Ich kenne genauso einen Hund. Es ist eine Weisse Schäferhündin aus Spanien und die lässt sich jetzt einfach von niemandem ausser ihrer Besitzerin (machmal auch nicht mal von ihr) anfassen. Kommt jemand Fremdes ins Haus verkriecht sie sich in die hinterste Ecke und kommt frühstens eine Stunde nachdem der Gast gegangen ist wieder hervor, aber auch dann nur mit eingekniffenem Schwanz und am Boden kriechend. Das einzig wirklich positive an ihr ist, dass sie noch nie jemanden gebissen hat oder auch nur ansatzweise gedroht hat zu beissen. Deshalb habe ich mich dazu bereit erklärt "mit ihr" zu arbeiten. So einfach geht das natürlich nicht, denn ich als mehr oder weniger Fremde (obwohl sie mich schon über ein halbes Jahr kennt) darf sie noch immer nicht selbst an der Leine führen, darf sie aber mittlerweise anfassen.
Ein so unsicherer Hund braucht eigentlich nur eins: SICHERHEIT. Er muss lernen, dass wenn immer seine Bezugspersonen dabei sind ihm nichts geschieht. Also: lasst ihn ja nie von irgendwem anfassen mitten auf der Strasse, hindert die Leute daran den Hund anzulocken. Möglicherweise werdet ihr viele verärgern damit, aber es ist ja für den Hund. Wenn ihr unterwegs seit, am besten sind zwei oder mehrere Menschen (die sie unbedingt kennt und zu denen sie Vertrauen hat!) beim Spaziergang dabei. Ihr nehmt sie in die Mitte oder irgendwie zwischen euch (immer unter der Voraussetzung, dass sie das auch mit sich machen lässt und in eurer Mitte laufen möchte. Sonst achtung! Der Hund hat zu mindestens einer Person kein Vertrauen!) so ist sie "geschützt" und fühlt sich auch in einem Rudel integriert. Achtet nicht auf den Hund, während ihr spaziert, sondern plauert miteinander, oder was auch immer, jedenfalls sollt ihr dem Hund Sicherheit vermitteln indem ihr ihr zeigt, dass ihr ein zufriedenes, glückliches und vor allem sicheres Rudel seid, in dem sie auch mitlaufen darf. Wenn sie aus irgend einem Grund nervös wird und Angst bekommt, so belohnt sie ja nicht für ihre Angst, sondern versucht weiter zu gehen, ohne sie zu zwingen, oder wenn das absolut nicht geht, versucht wenigstens einen Kompromiss zu finden. Das heisst: ihr macht zum Beispiel einen grossen Bogen um das Angsterregende, aber ihr kehrt nicht einfach um. Sonst ist der Lerneffekt: angst haben ist gut, da und gerade das wollen wir ja nicht.
Was hat das ganze mit dem Halti zu tun? Nichts! Eben! Es ist eine (ich sage nicht, es sei die einzig richtige, um himmels willen! Ich kenne euren Hund ja gar nicht!)der Lösungen, die möglich sind.
Und nun zum Halti: Ich bin der Meinung, dass das Halti unnötig ist, weil man mit anderen "hundefreundlicheren", also artgerechteren Methoden zu einem besseren Ziel kommt. Es ist genau so eine Methode, wie wir sie kennen: wir bekämpfen die Symptome mit dem Halti, nicht aber die Ursache. Das kann durchaus funktionieren, muss aber nicht immer. Aber: das Halti macht einen unsicheren Hund, besonders, wenn falsch angewendet, noch unsicherer. Er weiss nie, ob er jetzt Angst haben darf, oder nicht. Wenn ihr ihn mit dem Halti einfach an den Angstobjekten vorüberzerrt... dann gute Nacht! Ihr nehmt ihm nicht die Angst, sondern fördert sie. Denn er verbindet dann diesen Gegenstand nicht nur mit: Hilfe, ich habe Angst davor, sondern auch noch mit: um himmels willen, jetzt zerren sie mich dann gleich daran vorbei und das tut mir dann auch noch weh. Angst wird also Bestraft. Merkt ihr nun was?
Bingo, wer Angst bestraft ruft erst mal nur noch mehr Unsicherheit hervor und diese wiederum mehr Angst. Mit der Zeit kann daraus eine Aggression entstehen und dann steht man dann ratlos vor dem Hund und sagt: wie konnte er das nur tun, wir haben doch unser bestes gegeben...
Natürlich, so weit muss es nicht kommen, aber es kann. Ich auf jeden Fall werde die Weisse Schäferhündin nie mit einem Halti bestrafen, sondern weiterhin Vertrauen zu ihr aufbauen, bis ich sie vielleicht selber einmal an der Leine halten darf.
Lieber Gruss
Christine