Hundesport, Ehrgeiz, Starkzwang I
von Attila(YCH) am 18. Dezember 2002 10:55
Hallo,
im Verlaufe der umfangreichen Diskussion habe ich mich mehr und mehr gefragt - und dies in einer Antwort an P. H. auch angedeutet - warum es immer wieder die Gebrauchshundesportler sind, die am Pranger stehen, wenn es um "Starkzwang, Gewaltmethoden, Tierquälerei" (denn das ist die Klimax der Anklage) geht.
Ich bin Gebrauchshundesportler, wenn auch auf meine Weise. Ich bin mit einem gewissen Ehrgeiz bei der Sache, weniger wenn es um Punkte, als wenn es um die Ausführung der Übungen geht. Gewiß leiten mich dabei zuvörderst die Fragen: Wie lernen meine Hunde? Was macht meinen Hunden Spaß?, aber genauso bin ich davon überzeugt, daß Hundeausbildung (die Hundesport ja in erster Linie sein soll) nur sinnvoll ist, wenn sie dem Hund einen Wechsel von Trieb, Spiel, Bestätigung und Gehorsam vermittelt, in welchem Verhältnis die einzelnen Komponenten auch stehen mögen: nur Spiel und Spaß ohne Lernziel sind genauso sinnlos (oder vielleicht, als Alternative zum Lernen, als "Freiheit" sozusagen, doch berechtigt?) wie purer Drill ohne Freude. Was der Hund erlernt hat, muß abrufbar sein, auch wenn es dem Hund im Augenblick beliebt, etwas ganz anderes zu tun. Das Durchsetzen des Kommandos geschieht mit Zwang, ob man es nun wahrhaben will oder nicht. Erhebt mein Rüde sich aus dem "platz", weil eine läufige Hündin vorbeigeführt wird, obwohl Ablage angesagt war und obwohl er die Übung ohne Ablenkung auch ausführt, habe ich mehrere Möglichkeiten: Hingehen und das "platz" wiederholen (das aber bedeutet: ich negiere das Übungsziel, denn der Hund soll auch liegen bleiben, wenn ich mich entferne); eine Öse am Boden befestigen und den Hund von einer versteckten Hilfsperson ins "platz" zerren lassen; lautstark "platz" brüllen; von einer Hilfsperson "platz" brüllen lassen; dem Hund einen Stromstoß verpassen, wenn er sich erheben will. Man antworte mir nicht, ein Hund, der sich aus dem "platz" erhebt, habe es nicht zuverlässig erlernt - es wird immer wieder vorkommen, daß seine Aufmerksamkeit durch irgendetwas gefangen genommen wird und er aufsteht. Kurzum, alle geschilderten Möglichkeiten sind Zwangsdressur, lediglich graduell unterschieden: denn ein mit scharfer Stimme gesprochenes "platz" übt psychischen Druck auf das Tier aus (da es eine Drohung impliziert), ebenso wie der Stromstoß physischen. Immer dann, wenn er Hund etwas tun soll, was seinem augenblicklichen Triebziel entgegensteht, wird Zwang ausgeübt.
Nun wird eine gewisse Fraktion einwenden, deswegen gehe es ja darum, das hundliche Verhalten sozusagen stets seinem Ziel zuzuführen, zu kanalisieren und das augenblickliche Tun des Hundes in einen Ausbildungsinhalt umzuwandeln, wie man es bei einem Welpen mit "operanter Konditionierung" so schön machen kann. Diese Grundsätze erweisen sich aber nur als haltbar, solange es sich um "erwünschtes Verhalten" im weitesten Sinne handelt; ein "unerwünschtes Verhalten", werden die Angehörigen jener Fraktion sagen, wird über ein "Ersatzverhalten" in die richtige Richtung gelenkt. Ich frage mich, ob dann nicht genau das geschieht, was P. H. beschreibt: der Hund wird vom Welpenalter an in seinem kompletten Verhalten zurechtkonditioniert; es wird ihm nicht die Möglichkeit eingeräumt, etwas von sich aus zu erkunden, von sich aus Aktivität zu zeigen, sondern in seinem ganzen Tun und Lassen ist er auf seinen Hundeführer bezogen. Jeder Gegenstand, den er in den Fang nimmt, ist mit dem Zeichen des "Erlaubten" oder "Unerlaubten" behaftet, jeder Spurt, den er unternimmt, bleibt in einer "Sicherheitsdistanz" zum Hundeführer, jeder Sprung, jedes Bellen, jedes Nachjagen und Fassen ist "konditioniert" und "kontrolliert". Werden Hunde auf diese Weise sicher und souverän, wie ein Gebrauchshund an der Herde oder im Polizeidienst es zweifellos sein muß, oder werden sie schlichtweg abhängig und verfügen lediglich noch über ein beschränktes Verhaltensrepertoire? Sorry, aber wenn an meinem Rüden ein fremder, gleichstarker Rüde vorbeigeführt wird, finde ich es normal, daß er ihn fixiert, vielleicht auch droht, knurrt (wie man damit auch immer umgehen mag) - ich finde es nicht normal, wenn er stattdessen einen Ball anstarrt. Und so gibt es eben "Konditionierungen", die hundliches Verhalten glatt verbiegen, auch wenn sie nichts mit "Starkzwang" zu tun haben. Ein Hund sollte eben immer noch autonom sein und ggf. autonom handeln können, nicht nur ein Spielzeug des Hundeführers.
Wenn meine Hunde ein halbes Jahr alt sind, binde ich sie im Wald fest, wo keine Menschenseele ist, und verstecke mich. Ein selbstsicherer Hund wird mir ohne Geschrei und Gejaul nachblicken, sich irgendwann ablegen und mich, wenn ich zurückkehre, freudig begrüßen, als ob nichts gewesen wäre; ein unsicherer Hund wird ohne Unterlaß kreischen und quietschen und nur noch ein Häufchen Elend sein, wenn ich wiederkehre. Ich frage mich, ob wir nicht Hunde heranziehen, die schwache Nerven haben, wenn sie stets und ständig den "Großen Bruder" neben sich wissen und ihn schließlich von sich aus suchen, um ihn um Erlaubnis zu fragen, bevor sie etwas tun; wenn immer erst ein Kong fliegen oder eine Wurst aus der Tasche geholt werden muß, bevor ein Hund eine Übung ausführt. Und wer möchte eigentlich solche Hunde haben? Bei welchen Hundeführern ist dann jener "Wille zur Macht", der den Hund als Untergebenen beherrschen will, tatsächlich vorzufinden?
Wie gesagt, das Wechselspiel von Trieb und Gehorsam ist das, was mich an der Ausbildung interessiert; nur wenn der Hund auf dem besten Weg zu seinem Triebziel noch in den Gehorsam abzurufen ist, bekommen wir einen guten und zuverlässigen Hund. Hundesportler sind, unabhängig von ihren Methoden, zumindest Leute, die sich mit ihren Hunden beschäftigen: sie beschäftigen sich mit der Auslastung, mit der Gesundheit, mit der Ernährung der Tiere und - soweit ich sie kenne und mehr oder weniger schätze - lieben sie alle ihre Hunde, auch wenn diese in Einzelfällen "Sportgeräte" und keine "Familienmitglieder" sind. Trotzdem ist der "Sporthund" oft genug ein Freund, den man aus dem Zwinger holt, um sich mit ihm an der Seite in einen ganz anderen Menschen zu verwandeln und vielleicht sogar den familiären Verpflichtungen zu entfliehen; vielleicht ist es für manche Hunde besser, nicht in die Familie integriert zu sein und eine feste Bezugsperson zu haben, die dem Hund mehrere Stunden täglich ihre Aufmerksamkeit widmet. Irgendeine Liebe zum Tier muß dabei sein, wenn jemand mehrere Hunde hält, mit ihnen kilometerweit herumläuft und jedes Wochenende auf Übungsplätze fährt, um sie zu trainieren.
Wer "Starkzwang" als Auswuchs der Gewalt gegen Hunde betrachtet, sollte sich nicht auf Hundeplätzen umschauen, sondern in der ganz normalen "Familienhaltung". Der gelegentliche, gezielte Einsatz beispielsweise eines Stachels ist nichts gegen die tägliche Quälerei, denen die in der Regel völlig unterbeschäftigten "Familienhunde" ausgesetzt sind, die deswegen Probleme bereiten, weil sie, gänzlich unausgelastet, nach Ersatzbefriedigungen suchen: Stockschläge oder der Klaps mit der Zeitung, Fußtritte, das Wegsperren des Hundes ins Badezimmer oder in den Keller, stundenlange Mißachtung des Hundes oder die Isolierung in miefigen Etagenwohnungen, während "Herrchen" seiner Arbeit nachgeht oder in der Kneipe sitzt, sind an der Tagesordnung! Sie sind so normal, daß wir nicht einmal etwas dagegen machen können, solange der Hund nicht in einem wahren Exzess halbtot geschlagen wird. Die wirklichen Probleme der Hundehaltung liegen in der sinnlosen Vermehrung einerseits, in einer völlig ahnungslosen, vermenschlichenden Haltung (die dann "menschliche" Strafen einschließt, mit denen die Kinder schließlich auch großgeworden sind) anderseits - nicht auf den Hundeplätzen, wo die Mehrzahl der Hundesportler ganz ordentlich mit ihren Hunden umgeht. Ein Generalverdacht der Tierquälerei gegen sie nur auf Grund gegentlicher Setzung von Negativreizen ist unberechtigt - daß es auch hier Extreme gibt, braucht man mir nicht zu erzählen, aber das Extrem ist ja dadurch gekennzeichnet, daß es vom Durchschnitt weit abweicht. Aber gewiß wird die Oma von gegenüber an ihrem dickgefütterten Schoßhund, der jeden in die Wade zwickt, der ihre Wohnung betritt, weitaus mehr schuldig als 99 % der Hundesportler an ihren Hunden - denn mit denen wird wenigstens etwas gemacht.
"Fragen wir uns ehrlich: Wieviele Menschen mag es wohl geben, die sich deswegen einen Hund anschaffen, weil sie die unvoreingenommene Partnerschaft eines sozial hochstehenden Lebewesens suchen, um über die Kommunikation mit einem andersgearteten Geschöpf ihr eigenes Lebensbild zu erweitern, um von ihm zu lernen, und als Gegenleistung dem Partner ein sorgenfreies und erfülltes Leben zu bieten?" (Eberhard Trumler, Der schwierige Hund)
Gruß, Attila